Ein Lehrer mit Latzhose und Döschwo
0 KOMMENTARE
12. Mai 2025 – Als Adrian Michael als junger Lehrer auf den Zollikerberg kam, stiess er bei den etablierten Kollegen auf wenig Verständnis. Erst im Dorf avancierte er zum Liebling der Kinder und ihrer Eltern. Letzten Donnerstag war er bei Barbara Lukesch zu Gast im «Talk am Puls».

VON RENE STAUBLI
Vor rund 50 Jahren war der Lehrer noch eine Respektsperson im ursprünglichen Sinn, auch im Zollikerberg: Hemd, Kittel, gebügelte Hose, gemessenes Auftreten. Da trat ein Jungspund mit Latzhose in den Schuldienst ein und fuhr mit dem Döschwo vor – offensichtlich ein Alternativer, der mit den Kindern bei schönem Wetter lieber in den nahen Wald ging, als in der Schulstube herumzusitzen. Unerhört!
Die Chemie im Lehrerzimmer geriet durcheinander. Gottlob entschied sich der exotische Gast bald, noch ein wenig in der Welt herumzukommen. Er liess sich bei der Swissair als Flugbegleiter anheuern und brachte es weit über Europa hinaus. Nach drei Jahren hatte er genug gesehen und über Bekannte erfahren, dass im Rüterwis wieder eine Stelle freiwurde. Ihn zog es in den Lehrerberuf zurück. Als die Kollegenschaft von seinen Plänen erfuhr, war sie alarmiert: Nicht schon wieder!
Es gab hitzige Diskussionen, zuerst im Lehrerzimmer, dann auch in der Schulpflege. Tenor: «Den wollen wir nicht!» Salomonische Lösung: man entschloss sich, den seltsamen Vogel ins Dorf zu verpflanzen, er könne ja dort unten für Unruhe sorgen. Manche hofften, dass das Experiment schief gehen würde – und wurden enttäuscht: der junge Kollege bewährte und etablierte sich.
Wie es zum Übernamen «Mitsching» kam
Barbara Lukesch entlockte dem nunmehr 70-Jährigen im «Talk am Puls» eine ganze Reihe solcher Geschichten. Zum Beispiel, wie er zu seinem Übernamen «Mitsching» gekommen war:
Adrian Michael, so viel wurde an diesem Abend im voll besetzten Saal des Cafés am Puls klar, war ein Lehrer aus Berufung. Schon als Fünftklässler teilte er seiner Mutter mit, er wisse, was er werden wolle: Lehrer. Ihm sei es «im Biotop Schule» schon immer wohl gewesen. Er habe in der Primarschule einen tollen Lehrer gehabt, Herrn Weber, «ein älterer Herr, ungefähr 45», grauer Anzug, gelernter Gärtner, «er gab uns jungen Pflänzli Sorge».
Am Lehrerberuf hätten ihn die grossen Freiheiten gereizt: «Ich hatte nie einen direkten Vorgesetzten, konnte den Unterricht nach eigenen Vorstellungen gestalten, mit den Kindern in den Wald oder in die Badi gehen, wann und wie oft ich wollte».
Selber sei er kein guter Schüler gewesen, gestand Adrian Michael ein. Später, im Lehrerseminar, habe er in fünf Jahren nur dreimal eine genügende Mathematikarbeit geschrieben – «ich wusste, wie es ist, wenn man nicht drauskommt». Für die schwächeren Schülerinnen und Schüler habe er immer ein Herz gehabt und grossen Wert darauf gelegt, «dass die Kinder keine Angst haben mussten, zu mir in den Unterricht zu kommen».
Der Gesang – eine Passion
Sein Ansehen in der Gemeinde wuchs von Jahr zu Jahr. In seinem einführenden Worten vor dem Talk erzählte Gastgeber Simon Gebs, die Eltern hätten immer gehofft, dass ihm das eigene Kind zugeteilt werde. Dass er sich im Dorf einen Namen machte, hatte auch damit zu tun, dass er öffentliche Auftritte nie scheute. Zum Beispiel im Dezember 1995, als er mit Sechstklässlern und dem Zolliker Männerchor in der reformierten Kirche mit dem eingängigen Lied «I’m On My Way» auftrat.
Er legte sich in jeder Hinsicht tüchtig ins Zeug: unter anderem leitete er nebst zahlreichen Klassenlagern auch gegen 40 Ferienlager und schrieb etliche Jugendbücher. «Was war Deine Motivation, diese zusätzlichen Arbeiten zu übernehmen?», wollte Barbara Lukesch wissen. «Singen und dirigieren war mir eine Freude, das Schreiben sowieso, und die Ferienlager waren keine Arbeit, sondern ein grosses Vergnügen.» Schon als Kind habe er in den Schullagern kein Heimweh gehabt, «es war umgekehrt, ich hatte das ganze Jahr über Heimweh nach dem Lager.» Das seien immer tolle Erlebnisse gewesen, zumal ihn öfters ehemalige Schülerinnen und Schüler begleitet und unterstützt hätten.
Die Pensionierung – ein Schock?
Nach 37 Jahren im Schuldienst kam dann vor 8 Jahren der Tag der Pensionierung. «War das für Dich ein Schock, als Du das Ende des Erwerbslebens plötzlich am eigenen Leib zu spüren bekamst?», wollte Barbara Lukesch wissen. «Überhaupt nicht, ich habe ja drei Jahre vor der ordentlichen Pensionierung aufgehört und selber entschieden: jetzt ist gut.» Die Umstände hätten es ihm leicht gemacht: «Ein neues Französisch-Lehrmittel, ein neues IT-Konzept, das wollte ich mir nicht mehr antun.» Er habe eine tolle letzte Klasse gehabt, die Eltern der Kinder seien teils noch selber bei ihm in der Schule gewesen – «es war ein Abgang auf dem Höhepunkt».
Langweilig sei ihm seither nie geworden. Er habe ein Buch über Zolliker Sagen geschrieben und eines über die Pfadi. Er sei viel unterwegs, gerne in Umbrien oder in Falera, wo er ein «Höckli» habe, und einmal pro Jahr in Brasilien bei seinem Bruder.
Er leite die Redaktion des Zolliker Jahrhefts und schreibe auch gern für die «ZollikerNews». Die Leidenschaft für das geschriebene Wort habe seine Mutter bei ihm geweckt: «sie war eine belesene Frau, in unserem Estrich stapelten sich Bücher, die wir als Buben verschlangen, beispielsweise die Nibelungen-Sagen».
Werbetext für Zollikon
Gegen Ende des Abends griff Barbara Lukesch das Thema Heimat auf. Trotz aller Weltenbummelei sei seine Verbundenheit zu Zollikon offensichtlich: «Du hast in den letzten 40 Jahren nie woanders gearbeitet, nie woanders gelebt – würdest Du Zollikon als Deine Heimat bezeichnen?»
«Ja», sagte er, und holte ein wenig aus: Er sei in Wollishofen aufgewachsen, zur Schule und in die Pfadi gegangen – «dort habe ich mich zuhause gefühlt, das war meine erste Heimat.» Später habe er drei Jahre lang in Herrliberg gewohnt – «von dort aus ging ich ins Seminar, ich hatte keinen Bezug zum Dorf und war heimatlos». In Zollikon habe er Wurzeln geschlagen: «da war der Beruf, da waren die Kinder, die Eltern, die Pfadi, die Theatergruppe, die Geschichte von Zollikon, mit der ich mich intensiv befasste – Zollikon wurde zu meiner Heimat».
«Wenn Du einen Werbetext über Zollikon schreiben müsstest», fragte Barbara Lukesch zum Schluss, «wie würde der lauten?» Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: «Zollikon lohnt sich!»
Acht attraktive Gäste
Adrian Michael war in der «Saison 2024/2025» der achte Gast im «Talk am Puls». Vor ihm befragte Barbara Lukesch Ferry Hermida (Präsident des SC Zollikon), Claudia Nett (Tierärztin), Ruth van de Gaer (Online-Betrugsopfer), Sandra Studer (TV-Moderatorin), Christian Krahnstöver (Gastwirt), Diana Päpcke (Pfarrerin) und Peter Zimmermann (Zolliker Polizeichef). Der nächste Talk findet Anfang Oktober statt, wie gehabt im Café am Puls und mit Gastgeber Simon Gebs.
Wenn Sie unseren wöchentlichen Gratis-Newsletter erhalten möchten, können Sie sich gerne hier anmelden.