Das «Animal Politique» aus Zollikon

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29. September 2025 – Wer kennt sie nicht! Corinne Hoss-Blatter (61), langjährige Schulpräsidentin und FDP-Kantonsrätin, ist beliebt wie wenig andere PolitikerInnen in Zollikon. Wir eröffnen mit ihr die neue «Talk am Puls»-Saison am Donnerstag, 2. Oktober, im Café am Puls.

Corinne Hoss-Blatter (Illustration: Willi Spirig)
Corinne Hoss-Blatter (Illustration: Willi Spirig)

Ich stehe ungern vor 8 Uhr auf; dafür gehe ich nie, wirklich nie vor Mitternacht ins Bett. Meistens wird es 1 Uhr, oft auch 2 Uhr. In diesen späten Stunden habe ich am meisten Energie, dann fällt es mir leicht, Sitzungen vorzubereiten oder einen Text zu schreiben.

Allen Vorlieben zum Trotz muss ich am Montag, dem Kantonsrats-Tag, schon um 6 Uhr aus den Federn. Sonst komme ich mit allen Verrichtungen wie Duschen, Haarewaschen, Föhnen, Schminken und Anziehen zeitlich nicht durch. Meinen ersten Kaffee mit heisser Milch habe ich dann schon getrunken. Unsere Kaffeemaschine ist so programmiert, dass sie kurz vor 6 Uhr mit dem Aufheizen beginnt, so dass ich mit dem ersten Gang in die Küche auch schon meinen ersten Kaffee herauslassen kann. Speditiv, ich weiss. Aber in meinem Alter braucht man für alles etwas länger und sollte sich entsprechend einrichten. Meine Garderobe lege ich drum bereits am Vorabend zurecht. In den Kantonsrat würde ich sicher nicht in Jeans und Schlabberpulli gehen; da darf es dann ein Twinset oder ein Jäggli mit einem hübschen Blüsli sein. Farblich gut aufeinander abgestimmt. Darauf lege ich grossen Wert.

Um 7.30 Uhr verlasse ich das Haus. Ich Böse fahre mit dem Auto in die Stadt, und zwar solange es die Riesenbaustelle am Kreuzplatz gibt. Sobald die beseitigt ist, nehme ich wieder den Bus. Ich fahre sehr gemütlich zum Bullingerplatz, wo der Kantonsrat seit einigen Jahren im Rathaus Hard tagt. Dort hat es eine blaue Zone, in der ich mit einer Tagesbewilligung und gegen eine entsprechende Gebühr parkieren kann.

Um 8.15 Uhr ertönt die Glocke des Kantonsratspräsidenten, mit der er die Sitzung eröffnet, und zwar auf die Minute genau. Die Präsenz ist hoch, sie liegt bei 90 bis 95 Prozent. Ich selber verpasste in der Vergangenheit höchstens zwei der rund 50 Sitzungen pro Jahr. Wir haben alle unsere fixen Plätze, die nummeriert sind. Neben mir habe ich auf der einen Seite den GLP-Kantonsrat Stephan Hegetschweiler aus Zürich und auf der anderen meinen FDP-Parteikollegen Simon Vlk aus Uster.

Nach dem Verlesen der Traktandenliste widmen wir uns den einzelnen Geschäften, die zunächst von einem Mitglied des Gremiums vorgestellt und vertreten werden. Nachher ist die Diskussion eröffnet. Im Grunde wissen alle bereits aus der Kommissionsarbeit, wie sich die einzelnen Parteien zu den hängigen Sachfragen positionieren werden. Spannend wird es immer dann, wenn die Bürgerlichen von FDP, SVP und Mitte und die Linken von SP, Grünen, Alternativen und von Fall zu Fall auch die GLP unterschiedliche Positionen vertreten – das sind zwei absolut gleichstarke Blöcke. Das passiert zum Beispiel bei Flughafengeschichten, bei denen es dann entscheidend ist, wie viele Kantonsräte auf jeder Seite genau an diesem Tag fehlen.

Ich ergreife im Schnitt einmal pro Monat das Wort. In den allermeisten Fällen habe ich meine Voten vorbereitet. Die obligaten Auftritte als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission (GPK) sind eher langweilig. Interessanter finde ich Voten zu Sachgeschäften beispielsweise aus dem Bereich Schule, wo ich mich sehr gut auskenne. Hin und wieder passiert es auch, dass man sich spontan in eine Debatte einmischt. Als im Kantonsrat Stimmen laut wurden, die der Gemeinde Zollikon einen finanziellen Beitrag des Kantons zur Erneuerung von Parkplätzen auf der Binzstrasse im Zollikerberg vorenthalten wollten mit der Begründung, Zollikon sei ja reich genug, bin ich aufgestanden und habe auf den grossen Anteil hingewiesen, den unsere Gemeinde an den Finanzausgleich zahlt. Genützt hat es nichts, meine Einwendungen haben ausser der FDP niemanden zur Meinungsänderung bewogen. Und doch sind solche Interventionen wichtig, die Bevölkerung wählt uns schliesslich genau darum, damit wir ihre Interessen vertreten.

Es ist üblich, dass wir Kantonsräte bei Geschäften, die uns weniger interessieren, den Saal verlassen, miteinander Vorstösse besprechen, natürlich auch lobbyieren, oder uns einen Kafi in der nahegelegenen Bäckerei holen. Bei der Gelegenheit kaufe ich mir auch mein Salötli fürs Mittagessen. Sobald eine Abstimmung ansteht, ertönt die Glocke des Präsidenten und alle strömen wieder hinein.

Um 12 Uhr ist die Sitzung zu Ende, es sei denn, es steht eine Doppelsitzung auf dem Programm. Dann geht es nachmittags weiter. Als Erstes gehe ich dann mal eine Zigarette rauchen. Um 12.15 Uhr geht es Schlag auf Schlag mit den Ausschusssitzungen der einzelnen Parteien weiter. Wir von der FDP verfügen über ein eigenes Fraktionszimmer im Rathaus Hard, in das wir uns zurückziehen können. Ausschüsse sind kleinere Gruppierungen innerhalb der Fraktionen. Als Mitglied des Ausschusses Bildung und Kultur diskutiere ich dann jeweils einzelne Geschäfte und unsere Empfehlungen mit rund zehn Kollegen und Kolleginnen. Gleichzeitig essen wir Zmittag. Um 13.15 Uhr folgt dann die Fraktionssitzung, an der alle 30 FDP-Kantonsrätinnen und Kantonsräte teilnehmen. Die dauert höchstens bis 16 Uhr, beziehungsweise nur bis 14.30 Uhr, falls eine zweite Kantonsratsdebatte anberaumt ist.

Nachher fahre ich in aller Regel nach Hause. Mitunter studiere ich weitere Akten. Nach einer nahrhaften Sitzung bin ich allerdings auch froh, wenn ich – wie etwa alle zwei Wochen – einen Filmabend mit meinem Kinogrüppli habe. Wir treffen uns zunächst zu einem Apéro, vielleicht im «Philosophe» oder in der «Commercio»-Bar, und essen anschliessend etwas Kleines zum Znacht. Nach dem Kinobesuch geht’s endgültig nach Hause. Um spätestens 23.30 Uhr treffe ich in Zollikon ein. Ich schaue mir noch «10 vor 10» an und die Berichterstattung von TeleZüri zum Kantonsrat. Bin jeweils gespannt, welche Voten und Debatten sie ins Zentrum stellen. Vielleicht rauche ich noch eine Zigarette unter dem Abzug in der Küche; und vielleicht trinke ich auch noch ein Glas Wein.˚

Vor dem Ins-Bett-Gehen schminke ich mich ab und wasche mich noch schnell. Die letzten Minuten eines Tages gehören dem Buch, meistens einem Roman, das ich gerade lese.»

«Talk am Puls», Donnerstag, 2. Oktober. Die Bar öffnet um 19 Uhr, Talk um 19.30 Uhr, anschliessend gemütliches Beisammensein. Eintritt frei. Gastgeber im Café am Puls ist Pfarrer Simon Gebs.

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