Ein halbes Tor mehr und Respekt für Frauen
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14. Oktober 2025 – Die Fussball-EM der Frauen hat das Schweizer Publikum begeistert und einen Boom ausgelöst. Chronologie einer wechselvollen Geschichte, die vor mehr als 50 Jahren begann. Auch Zolliker Mädchen profitieren vom Einsatz der Pionierinnen.

VON MADELEINE MARTI*
Geboren 1957 in Baden, wollte ich mit 13 Jahren meinen ersten Schulvortrag zum Thema «Frauen im Fussball» halten. Doch ich fand keine Informationen dazu. Als ich zwei Jahre später selber Fussball spielen wollte, war das nächste Frauenteam zu weit weg, weshalb ich auf Handball umschwenkte.
Dass ich 55 Jahre später in der Schweiz in den grossen Stadien Wankdorf und Letzigrund eine «Women’s Euro 2025» erleben würde, hätte ich mir als 13-Jährige nicht träumen lassen. Noch vor 10 Jahren habe ich in Fislisbach/AG gemeinsam mit nur 200 Zuschauenden das Spiel Schweiz – Deutschland verfolgt. Der Eintritt war gratis, das Resultat 3:1 für Deutschland.

Dank der «Women’s Euro 2025» standen nun im Juli einen Monat lang Frauen im Mittelpunkt – junge und alte. Die über 70jährigen Pionierinnen wurden ebenso gefeiert wie die aktiven 20- bis 30Jährigen. In den Städten, in deren Stadien gespielt wurde (Basel, Bern, Genf, Luzern, Sion, St. Gallen, Thun, Zürich) gab es kostenlos Public Viewing und live-Konzerte. Der Platz vor dem Bundeshaus in Bern war während drei Wochen ein Treffpunkt für alle – mit Spielen, Musik, Kulinarik. Das Wetter spielte mit und die Menschen freuten sich. In den Fanmärschen trafen sich Gäste und Einheimische beider Teams und zogen farbenfroh durch die Städte.
Noch nie wurde öffentlich so viel über die Verbote und Hindernisse gesprochen, die Frauen in den Weg gelegt worden sind. Wenn sie erfolgreich waren, wurden sie sofort zurückgepfiffen: 1970 spielten die Schweizerinnen erfolgreich an der ersten Euro 1970 in Italien, doch ein Jahr später verbot ihnen der Verband, an der WM 1971 in Mexiko teilzunehmen. Madeleine Boll erhielt 1965 mit 11 Jahren als erste Fussballerin eine Spiellizenz, die ihr allerdings ein Jahr später nach dem Vorspiel der Junioren (mit ihr als einzigem Mädchen) zum Europacupspiel des FC Sion (und der internationalen Berichterstattung) vom Fussballverband wieder entzogen wurde.
Der erste Match zwischen zwei Frauen-Fussballteams wurde bereits 1895 in England ausgetragen, in den 1920er Jahren hatten alle grösseren Ortschaften in England ihr Frauenteam. In der Schweiz wurde 1963 in Murgenthal/AG das erste Frauenteam gegründet, der FC Goitschel, benannt nach den beiden französischen Skirennfahrerinnen Christine und Marielle Goitschel, die ebenfalls Fussball spielten. Der Fussballverband verweigerte jedoch die Aufnahme des Frauen-Clubs.
Der Kampf um den Frauenfussball zeigt exemplarisch, wie die Frauen in der Schweiz noch in den 1960er und 1970er Jahren um fundamentale Rechte kämpfen mussten – nicht nur um das Frauenstimmrecht, sondern auch um die Erlaubnis, als Menschen in dieser Gesellschaft Sport treiben zu können und dafür öffentliche Plätze und Hallen zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Im Jahr 1994 wurde das Frauen-Team des Fussballclubs FC Wettswil-Bonstetten aufgelöst mit der Begründung, es seien zu viele Spielerinnen lesbisch. In Wahrheit ging es darum, dass zu wenig Fussball-Plätze vorhanden waren. Damals wurde im TV heftig über Lesben im Fussball diskutiert, was der Lesbenorganisation Schweiz LOS erstmals mediale Aufmerksamkeit beschert hat. Heute gibt es in allen europäischen Nationalteams Spielerinnen, die offen lesbisch leben. In einem Podiumsgespräch im Comedyhaus Zürich meinte eine junge FZC-Spielerin, das Team sei für sie als Lesbe auch ein Safe Space, in dem sie sich nicht verstecken müsse.
Allerdings befürchtete der Coach dieses Juniorinnen-Teams, dass die lesbischen Spielerinnen die jüngeren Spielerinnen negativ beeinflussen würden, und platzierte sich deshalb vor der Garderobe, damit die beiden Gruppen nicht gleichzeitig in der Garderobe waren. Damit hat er den Kontakt und Austausch zwischen jüngeren und älteren Kolleginnen behindert.
An der Europameisterschaft im Männer-Fussball ist kein einziger schwuler Spieler bekannt; die ganz wenigen, die sich geoutet haben, haben dies nach ihrem Rücktritt aus dem aktiven Fussball getan. Warum dies so ist? Liegt es daran, dass ein schwuler Mann nicht als «richtiger» Mann gilt und deshalb nicht «Männerfussball» spielen dürfte? Oder daran, dass im Männerfussball sehr viel Geld verdient werden kann und Fussballer befürchten, dass sie als «Schwule» ihren Transfer- und Marktwert beeinträchtigen?
Weil alle 31 Spiele der «Women’s Euro» live im Schweizer Fernsehen übertragen wurden, war es einfach, die Daten zu reservieren und zuzuschauen. Frauenfussball wurde zum festen Programmpunkt, zur Standard-Berichterstattung der Zeitungen und der News im Postauto. Im Tram und beim Mittagessen wurde über Resultate und kommende Spiele gesprochen und für die Lieblingsspielerinnen geschwärmt: Sidney Schertenleib, bereits mit 17 Jahren zu Barcelona gerufen, oder Alayah Pilgrim mit ihrem entscheidenden Tor gegen Island und dem gemeinsamen Jubel-Tanz mit Kollegin Leila Wandeler.
Viele Menschen haben erstmals ein Fussballstadion betreten, auch die Nachbarin, von der ich das nie erwartet hätte, oder die Freundinnen, mit denen ich noch nie zuvor über Fussball gesprochen habe, oder die beiden älteren Herren im Tram, die vom letzten Match schwärmten. 2025 sind wir in der Schweiz stolz auf «unsere» Nati und haben alle raffinierten Spielzüge und Tore gefeiert – auch jene der anderen Frauen-Teams. Es gab viel zu beklatschen, faire Spielerinnen, beharrliche Aufholjagden, Dribblings und Tacklings.
Im Durchschnitt wurden 3,42 Tore pro Spiel erzielt – das sind 0.66 Tore mehr als bei der letzten Fussballeuro der Männer. Das Vorurteil, dass Frauen keine Tore erzielen könnten, ist damit endgültig durch Taten widerlegt worden.
Selbst die Polizeidirektorinnen der Stadien-Städte haben sich begeistert über die «Women’s Euro 2025» geäussert und die Clubs und den Verband aufgefordert, die «Women’s Euro 2025» als Vorbild zu nehmen, damit die Fussballspiele der Männer auch ohne Gewalt inner- und ausserhalb der Stadien durchgeführt werden können.
Was bleibt? Der Respekt für Frauenfussball ist gewachsen. Zu hoffen ist, dass dieser Respekt für Frauen und ihre Leistungen selbstverständlich wird und den Frauen der notwendige Raum zugestanden wird – sei es in den Medien oder im öffentlichen Raum.
*Madeleine Marti ist promovierte Literaturwissenschaftlerin, Mitglied der Organisation Queeraltern und der Lesbenorganisation Schweiz LOS.
Mädchenfussball in Zollikon
Seit dem Sommer 2017, als es zum Bruch in der Zusammenarbeit mit dem FC Küsnacht kam, hatte der SC Zollikon keine reine Mädchenmannschaften mehr. Fussballinteressierte Girls, die nicht in gemischten Mannschaften spielen wollten, wurden seither auf umliegende Vereine verwiesen.
Vor einem Jahr fragten Eltern beim Verein an, ob man nicht wieder eine Mädchenmannschaft bilden könnte. Die Eltern machten sich auf die Suche nach Interessentinnen, konnten aber nicht genügend Mädchen zusammenbringen.
In diesem Sommer lösten das «Schüeli» und die in der Schweiz stattfindende Frauen-EM aber weitherum Begeisterung aus. Caroline Boin meldete sich beim Klub und machte einen Vorschlag. Ihr Mann Tim würde sich als Trainer anbieten, und im «Gepäck» habe man bereits zehn Mädchen, die sofort im Verein starten wollten.
Zusammen mit den Anfragen, die bereits über das Kontaktformular des Vereins hereingekommen waren, hatte man nun genügend Spielerinnen beisammen, um eine komplette Mannschaft zu stellen. Die Idee konnte umgesetzt werden.
Der Startschuss für das neue Team erfolgte am 20. August. Inzwischen betreut Tim Boin an seinem freien Nachmittag zusammen mit einer Helferin 17 fussballbegeisterte Mädchen, zumeist Erst- und Zweitklässlerinnen aus dem Dorf, zwei Mädchen wohnen im Berg. Ein Augenschein vor Ort zeigte, wie begeistert, wild und fröhlich die Kleinen dabei sind.
Vorläufig wird jeden Mittwoch von 14 bis 15.30 Uhr trainiert, nach den Herbstferien gibt es mit den Klubverantwortlichen eine Standortbestimmung. Je nach Anmeldungen wäre ein zweites Team und die Teilnahme an der Meisterschaft denkbar. Interessierte können sich über das Kontaktformular auf der Homepage des SC Zollikon melden. https://www.sc-zollikon.ch/contact-us/