Gianluca Petriella, Figaro aus Leidenschaft

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14. November 2025 – Gianluca Petriella betreibt im Gewerbezentrum seinen eigenen Coiffeursalon. Obwohl er etwas am Rand des Dorfs logiert, ist er sehr erfolgreich. Mit seinen 36 Jahren ist er durch eine Lebensschule gegangen, die ihm viel abverlangte.

Entspannt mit Föhn auf dem Ledersofa: Zollikons Figaro «Gianni» (Fotos: ZN)
Entspannt mit Föhn auf dem Ledersofa: Zollikons Figaro «Gianni» (Fotos: Daniel Meyer)

VON BARBARA LUKESCH

Am Anfang unseres Gesprächs steht eine Zangengeburt. Der Versuch, dem jungen Figaro eine kurze Beschreibung seiner Person zu entlocken, droht gründlich schiefzugehen. «Gianluca Petriella, wer sind Sie?» Die Frage, die die meisten mit der Angabe ihres Berufs beantworten, lässt den 36-Jährigen ratlos zurück. «Puh», stöhnt er und schaut lange ins Leere: «Wie soll ich anfangen?». Er lehnt sich gegen die Wand und überlegt, zögert, fragt die Journalistin, was sie denn sagen würde. Dann löst sich, Gott sei Dank, der Knopf: «Ich bin ein Secondo aus einer Arbeiterfamilie und wurde mit sehr einfachen, klaren Werten wie Anstand, Fleiss und Sparsamkeit erzogen, die mich stark geprägt haben.» Sein Vater habe nebst seiner Arbeit bei der Verpackungsfirma «Ernst» in Küsnacht gemeinsam mit der Mutter viele Stunden pro Woche geputzt. An den Mittwochnachmittagen musste auch der kleine Gianni, wie ihn noch heute alle nennen, mithelfen.

Dabei wäre der 12-, 13-Jährige viel lieber tschutten gegangen, denn er wollte Fussballprofi werden. Mit solchen Flausen konnte der Vater allerdings nichts anfangen. «Der Bub geht in die Schule und macht dann eine Ausbildung!», befahl er, alles andere toleriere er nicht. Natürlich meinte es der Vater nur gut, wollte er seinem Sohn doch den Weg in eine attraktivere berufliche Zukunft ebnen.

Doch dieser hatte keinen blassen Schimmer, wie diese Zukunft aussehen könnte. So schnupperte er in allen möglichen Branchen. Nichts überzeugte ihn. Er wollte weder Elektriker noch Mechaniker oder Sanitärinstallateur werden, und auch als Kellner sah er sich nicht für den Rest seines Lebens.

Grossartige Zeit im «Figaro»

Da schlug sein 14 Jahre älterer Bruder vor, er solle sich doch einmal im Coiffeursalon «Figaro» im Zürcher Seefeld vorstellen. Und siehe da: Die Arbeit, die ihm Kontakt zu vielen Menschen versprach, und sehr abwechslungsreich auf ihn wirkte, packte ihn. Der Vater war erneut skeptisch. Musste es denn wirklich Coiffeur sein? Doch jetzt liess sich Gianni nicht mehr beirren. Im Salon «Création Mikula» an der Claridenstrasse mitten in Zürich absolvierte er eine dreijährige Damen- und eine einjährige Herrencoiffeur-Lehre. Anschliessend blieb er drei Jahre als Angestellter.

Diese Betriebstreue habe vor allem mit seiner Chefin zu tun gehabt, einer «Superlehrmeisterin», der er «enorm viel» verdanke. Nicht nur habe sie ihm grosse technische Fertigkeiten in den Bereichen Schneiden, Färben und Föhnen vermittelt, sondern ihm auch schnell viel Verantwortung übertragen. So wurde er vom 2. Lehrjahr an Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft der Coiffeure und nahm alle drei Monate an Frisier-Wettbewerben im Ausland teil. Dabei habe er immer wieder Topplatzierungen errungen und sei mehrmals Dritter geworden. Er sei glücklich gewesen und habe seinen Job genossen: «Ich fand es grossartig, Tag für Tag mit so vielen Menschen, insbesondere Frauen, zu tun zu haben.»

Nach sieben Jahren am selben Ort hatte er trotzdem genug. Er spürte, dass er einen Tapetenwechsel brauchte. In der «Stapferstube da Rizzo» in Zürich, einem Edelitaliener, bekam er nach einer dreiwöchigen Schnellbleiche die Chance, ein knappes halbes Jahr im Service zu arbeiten. Die Erinnerung an dieses Erlebnis begeistert ihn noch jetzt: «Hey, diese Erfahrung war für mich so etwas wie eine Lebensschule.» So viel Reichtum, so wahnsinnige Preise, so fantastisches Essen und so spezielle Leute. Er grinst: «Ich konnte es supergut mit den Gästen und wurde in den besten Monaten mit fürstlichen Trinkgeldern von bis zu 6000 Franken belohnt. Die Arbeitszeiten seien aber auch nahrhaft gewesen, und er habe gemerkt, dass er überhaupt kein Sozialleben mehr hatte. So ging er wieder.

Harte Erfahrungen in Rom

Die Liebe zu seinem alten Beruf meldete sich zurück, und auf Anraten seiner ehemaligen Chefin beschloss er, in Rom in einem hippen Salon anzuheuern. Bei «Toni und Guy», einem jungen, freakigen und sehr angesagten Geschäft mitten in Rom liess man ihn schnuppern, woraufhin die Besitzer ihm nach zwei Tagen einen 5 Jahres-Vertrag anboten, den er jederzeit einseitig kündigen konnte. Was konnte ihm Besseres passieren? Mit 23 Jahren zügelte er in die Stadt am Tiber und stürzte sich voller Freude und hohen Erwartungen in die Arbeit. Was würde er alles lernen!

Die Freude währte allerdings nur kurz. Keine drei Wochen später war er total ernüchtert. «Was mache ich da eigentlich», habe er sich gefragt, «in einem Land, in dem nichts funktioniert, wo ich mindestens viermal pro Woche zu spät zur Arbeit komme, weil der Zug Verspätung hat und ich allen familiären Wurzeln zum Trotz nicht warm werde mit den Leuten?» Daran habe auch nichts geändert, dass der Job super gewesen sei, er viel an Modeschauen habe frisieren und zahlreiche Weiterbildungs-Workshops habe besuchen können. So kündigte er nach einem Jahr und kehrte in die Schweiz zurück. Im Nachhinein blicke er dennoch mit grosser Dankbarkeit auf diese Zeit, in der er sich selber auf eine neue Art kennengelernt habe und sehr viel selbständiger geworden sei.

Das eigene Geschäft aufbauen

So wusste er nun, dass er sein eigenes Geschäft aufbauen wollte. Das tönt einfacher als es war. Ganz abgesehen davon, dass er noch keinerlei Räumlichkeiten hatte, musste er zunächst einmal seinen Lebensunterhalt sichern und parallel dazu einen Kundenstamm aufbauen.

Da der Vater ihm bei der Pensionierung seine 100 Prozent-Stelle als Hauswart übergab, war zumindest eine Basis gelegt. Zusätzlich fuhr er während 20 Stunden pro Woche den Schulbus an seinem Wohnort – die Haare der ersten Kunden schnitt er abends und an den Wochenenden zuhause. Er habe nun mal von seinen Eltern gelernt, dass es «ohne Fleiss keinen Preis» gebe. So habe er vier Jahre lang 94 Stunden wöchentlich gearbeitet. Er zuckt mit den Achseln: «Das ging, ich war ja noch jung.»

Der Fleiss hatte seinen Preis

Das ging nicht lange gut: mit 27 Jahren erlitt er eine schwere Thrombose und musste sich notfallmässig vier Operationen unterziehen. Nach mehrwöchigen Spitalaufenthalten reduzierte er sein wöchentliches Pensum auf 65 Stunden und konzentrierte sich nach und nach ganz aufs Haareschneiden. Seit fast drei Jahren ist er ausschliesslich als Coiffeur tätig.

Er fand einen 20 Quadratmeter grossen Raum im Gewerbezentrum an der Dachslerenstrasse, in den er nur einen Wasseranschluss einziehen musste. Ein «Glücksfall», sagt er. Ein Kollege entwarf eine Website für sein Geschäft und überzeugte ihn davon, ganz auf Online-Buchungen umzustellen. Was nun noch fehlte, war ein guter Name. «The Hörlidieb» habe ihm sofort gefallen, weil die Kombination aus Dialekt, Deutsch und Englisch überraschend klinge, aber auch witzig. Die vielen Komplimente, die er dafür bekomme, hätten ihn bestätigt.

Im Februar dieses Jahres machte er dann den entscheidenden Schritt: Er zügelte in ein dreimal so grosses Ladenlokal, einen Steinwurf vom alten entfernt, das er von Grund auf umbauen und gemäss seinen Plänen malen und gestalten liess. Es sei für ihn eine Riesensache gewesen, 40’000 Franken zu investieren. Doch das Ergebnis stelle ihn zufrieden. Seine Frau habe ihn extrem stark beim Um- und Aufbau seines Geschäfts unterstützt, und er sei überzeugt, dass er ohne sie niemals so erfolgreich geworden wäre.

Die Selbständigkeit motiviere ihn sehr. Dazu verfüge er nach 20 Jahren Berufserfahrung über grosse Sicherheit, nicht nur im Technisch-Handwerklichen, sondern auch im Umgang mit seinen KundInnen. Diesen Aspekt seiner Arbeit, die Kommunikation und das dabei entstehende Ambiente, halte er für genauso wichtig wie das Waschen, Schneiden und Föhnen. Dass er als Coiffeur nicht Angst haben müsse, von Künstlicher Intelligenz und ChatGPT abgelöst zu werden, sei beruhigend.

Als Coiffeur habe er einen Beruf, in dem er den Leuten sehr nahekomme, körperlich, aber auch emotional. Die meisten würden sich gern mit ihm unterhalten und ihm mitunter auch das Herz ausschütten: «Ich bin ein empathischer Mensch und bekomme sehr genau mit, wie eine Person drauf ist.» Wenn jemand Sorgen habe, höre er den Betroffenen zu und versuche sie zu trösten. Dass sein eigener Energiehaushalt nach einem solchen Kontakt reduziert sei, gehöre nun mal zu seinem Beruf.

Weniger Geduld hat er, wenn sich Kunden stark verspäten: «Zwanzig Minuten Verspätung bei einem Schnitt, der eine halbe Stunde erfordert, geht einfach nicht.» Klartext rede er auch, wenn die Leute mit Fotos aus Illustrierten oder dem Internet kommen und zu ihm sagen: «So!» Er sehe sofort, ob sich diese Frisur realisieren lasse oder überhaupt nicht zu der Kundin passe. Das müsse er ihr mitteilen, um sie vor Enttäuschungen zu bewahren.

Diskretion ist wichtig

Vertrauen, sagt er, sei denn auch ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit. So müssten die Leute auch sicher sein können, dass er alles, was sie ihm erzählen, nicht weitertrage. Er spreizt seine Finger zum Schwur und erklärt: «Ich schweige zu 1000 Prozent.»

An zwei Tagen unter der Woche bleibt sein Geschäft geschlossen. Dann kümmert er sich um seine zweijährige Tochter, deren Betreuung er sich mit seiner Frau teilt, die ebenfalls mit einem vollen Pensum arbeitet. Diese Lösung sei ihm wichtig, sagt er, weil er nicht nur ein Feierabend- beziehungsweise Wochenend-Papi sein möchte. Das habe er zuhause erlebt – und bedauert: «Ich habe meinen Vater geliebt und hätte gern mehr Zeit mit ihm verbracht.»

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