Wir amüsieren uns zu Tode
0 KOMMENTARE
18. Dezember 2025 – Manch einer behauptet, es gehe mit der Welt bachab. Dass man da den Impuls zur Flucht aus der Realität verspürt, ist verständlich. Die Welt bietet dafür ja auch reichlich Angebote: Es gibt kaum eine Ablenkung, die für Geld nicht zu kaufen wäre.

EIN BEITRAG DES MOJUGA-TEAMS
Umweltverschmutzung und Ressourcenknappheit, infantile Kriegstreiber mit Waffenarsenalen, die mehrere Menschheiten auslöschen könnten, Polarisierung der Gesellschaft, Verlust von Solidarität und nicht zuletzt Künstliche Intelligenzen, die die Verbreitung von Fehlinformation weiter ankurbeln oder sich im schlimmsten Fall gegen die Menschheit selbst richten könnten. Die Welt befindet sich in einem desaströsen Zustand.
Drehen wir die Uhr zurück: wir befinden uns an der Chilbi Zollikon. Der blinkend-bunte Reigen aus Lichtern, Tönen und Gerüchen, der sich schnell und schneller dreht, könnte als in Zuckerwatte gepackte Karikatur der Welt verstanden werden. In diesem aus den Fugen geratenen Karussell sind Informationen nicht mehr zu verarbeiten. Die Seele schraubt sich in einen rauschhaften Zustand permanenter Überreizung, und die einzige Möglichkeit, sich aktiv zu erleben, ist, zu konsumieren. Nichts ist gratis, keine Interaktion mit der Welt möglich ohne Geld.
Wohlgemerkt, wir sprechen von einer Metapher. Natürlich ist die Zolliker Chilbi mehr als das: eine liebgewonnene Tradition, ein Anlass, den Vereine engagiert vorbereiten, um zusammen mit der Bevölkerung Gemeinschaft zu zelebrieren. Es geht nicht darum zu schmälern, was viele Menschen an Arbeit und Herzblut in diese drei Tage im Jahr hineinstecken.
Wir nutzen das Bild deshalb, weil wir aus der Perspektive der Jugendlichen denken: Sie möchten dabei sein und nichts verpassen. Sie möchten teilnehmen, weil ihre Freundinnen und Freunde auch da sind. Sie haben kein Bedürfnis, für zwei Minuten Kick sieben Franken auszugeben oder sich in Begegnungen mit gebrülltem Smalltalk zu begnügen.
Einfach Zeit miteinander verbringen
Woher wir das wissen? Wie bereits letztes Jahr waren wir vor Ort – mit einem einfachen Zelt, wo nichts geboten wurde ausser Sitzgelegenheiten, Sirup und Material zum Malen. Erneut hat uns verblüfft, dass ein Ort so gerne besucht wird, der ausser der Befreiung vom Konsumzwang nichts zu bieten hat. Viele Jugendliche (und einzelne Erwachsene) kamen, manche blieben, manche gingen und kamen wieder, manche vertieften sich in Gespräche miteinander und mit uns und überraschend viele in ihre Zeichnungen.
Offensichtlich fanden sie, was sie suchten: die Möglichkeit, Zeit miteinander zu verbringen, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Nicht Ablenkung von dem, was sie beschäftigt, sondern im Gegenteil die Möglichkeit, es auszudrücken und mitzuteilen.
Die Philosophin Hannah Arendt definiert in ihrem Hauptwerk «Vita activa oder Vom tätigen Leben» (1958) drei Komponenten eines tätigen Lebens. Konsum als Voraussetzung und Folge von Produktion ist dabei die einzige, die einem Zwang unterliegt: Ohne Essen kein Leben, ohne Arbeit kein Essen.
Die zweite Komponente ist das Herstellen von Dingen, die überdauern und zu denen Menschen eine Beziehung aufbauen können. In einer sich laufend verändernden Welt vermitteln Gebrauchsgüter Beständigkeit und Vertrautheit, wodurch sich ein Gefühl von Zuhause einstellt.
Drittens das Handeln als Kern menschlicher Interaktion und politischen Existierens. Es beschreibt alles, was sich zwischen Individuen abspielt, also letztlich Kommunikation, die Arendt als das «Finden des rechten Worts im rechten Augenblick» und als Gegenstück von stummer Gewalt definiert.
In ihrer Definition ist also Konsum nicht das Gegenteil von Arbeit, sondern deren Ursache und Konsequenz gleichzeitig. Wer mehr konsumiert, muss mehr arbeiten. Wer mehr konsumiert, hat weniger Zeit zum Handeln. Wer nicht handelt, trägt nicht dazu bei, Lösungen für die Probleme zu finden, die sowohl die Gesellschaft als auch die Gattung Mensch an sich bedrohen.
Kurz: Wer sich zerstreuen lässt, treibt die Zerstörung schneller voran, statt ihr etwas entgegenzusetzen, wie es Medienwissenschaftler Neil Postman in seinem Werk «Wir amüsieren uns zu Tode» (1985) auf den Punkt brachte. Basierend auf Arendts Werk richtete er damals seine Kritik gegen die Tendenz der Medien, Information auf Konsumierbarkeit zuzuschneiden, wodurch sie ihre Fähigkeit verlören, Erkenntnis zu vermitteln und Menschen zum Handeln zu ermächtigen.
Leise, unspektakuläre Angebote
Offene Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit. Wir bieten den Kindern und Jugendlichen möglichst wenig Programm an, und wenn doch, dann eines, das Kommunikation nicht schwerer, sondern leichter macht. Im Gegensatz zu den unzähligen Konsum-Angeboten, mit denen Jugendliche täglich konfrontiert werden, sind die Angebote der Offenen Jugendarbeit leise und unspektakulär.
Dass sie nicht nur in wenig begüterten Dörfern auf dem Land gern genutzt werden, sondern auch in reichen Gemeinden in unmittelbarer Nähe zur Stadt, zeigt, dass junge Menschen das Bedürfnis haben, sich mit eigenen Sehnsüchten und Fähigkeiten zu beschäftigen, sich auszudrücken und zu verwirklichen und in einem echten Austausch mit Mitmenschen zu stehen. Es handelt sich um genau jene Grundbedürfnisse, die sich mit Geld nicht oder nur schwer abdecken lassen und die das Potenzial haben, sich politisch aktiv oder andersartig handelnd in die Welt einzubringen.

Die MOJUGA Stiftung ist seit 2016 von der Gemeinde Zollikon mit der Jugendarbeit beauftragt. Alexandra Matulla ist Ansprechpartnerin für die Behörden. Nadja Staudenmaier und Michael Germann sind für die Jugendlichen da. Sie hören ihnen zu, unterstützen sie und werden deshalb auch bei Krisen ins Vertrauen gezogen. Informationen über das Team und die Angebote unter jugendarbeit-zollikon.ch