«Dann kommen sicher Gefühle hoch»

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8. Dezember 2025 – Mit 61 Jahren ist Doris Hürzeler die jüngste von nur noch 14 Diakonissinnen im Zollikerberg. Als sie in Braunwald die Tracht anlegte, war sie 24 Jahre alt. Barbara Lukesch stellte ihr im letzten «Talk am Puls» des Jahres Fragen zu ihrem Leben, das auf einem festen Glauben fusst.

Doris Hürzeler mit Barbara Lukesch (Foto/Video: ZN )
Doris Hürzeler mit Barbara Lukesch (Foto/Video: ZN )

VON RENE STAUBLI

Mehr als 50 Besucherinnen und Besucher fanden sich am Donnerstagabend im Café am Puls zum Gespräch mit der Zolliker Diakonissin ein, das in einer sehr ruhigen, fast schon besinnlichen Stimmung stattfand. Wie sich bald herausstellte, sollte dieser Talk für Barbara Lukesch keine einfache Aufgabe sein, denn Doris Hürzeler ist kein Mensch, der sich breit macht und viel Redezeit  beansprucht. Sie wirkte bescheiden und war wohl auch ein wenig nervös, so exponiert und ohne ihre Mitschwestern auf der Bühne. Einige von ihnen drückten ihr im Publikum die Daumen und hüteten ihren Hund Fina. Auch wenn Doris Hürzeler das Herz nicht auf der Zunge trägt, erfuhr das Publikum viel Interessantes aus ihrem Leben, das sie ganz dem Glauben und dem Dienst an den Nächsten verschrieben hat.

Als 16jähriges Mädchen kam sie nach Braunwald und half im Gästehaus der dortigen Diakonissen-Schwesternschaft im Haushalt mit. Sie servierte, putzte und schaute zu den älteren Schwestern. «Ich dachte damals überhaupt nicht daran, jemals der Diakonie beizutreten», erinnerte sie sich. Doch als die Jahre vorübergingen und sie 24 war, vollzog sie den Schritt trotzdem.

Die anfängliche Faszination habe sich jedoch bald verflüchtigt. Sie sei in eine tiefe Krise geraten, die sich fast nicht beschreiben lasse. Der weitgehende Abschied vom weltlichen Leben sei ihr schwer gefallen, sie habe «nicht mehr gewusst, wer ich bin und was ich muss». Es habe Wochen gedauert, bis sie sich wieder aufgefangen habe. «Doch das ist dann wie eine Befreiung gewesen», erzählte sie, «ich wusste plötzlich, wo ich hingehöre, wo mich Gott haben will»; die Zeit danach habe sie als bereichernd empfunden: «ich war sehr glücklich».

Der Umzug in den Zollikerberg

Als die Diakonie Braunwald aufgehoben wurde, weil es an Schwestern mangelte, stellte sich die Frage: wohin? Mit 19 anderen Schwestern entschied sich Doris Hürzeler, auf den Zollikerberg ins Mutterhaus Neumünster umzuziehen. Wie sich das anfühlte, schildert sie in dieser Videosequenz:

Es war eine ganz andere Welt, in der sie nun lebte. In Braunwald hatte sie immer die Schwesterntracht getragen und sich abmelden müssen, wenn sie das Haus verlassen wollte. Im Zollikerberg legte sie die Tracht beiseite, machte im Haus Magnolia eine Ausbildung im Pflegebereich, half im Restaurant aus und genoss es, weniger Regeln befolgen zu müssen, mehr Freiheiten zu haben. Es war und ist auch heute bei weitem nicht so, wie Barbara Lukesch annahm: «dass es am Morgen eine Befehlsaufgabe einer gestrengen Oberin und einen fast schon militärischen Betrieb mit klaren Strukturen und festen Gebetszeiten gibt».

Auch über Geld wurde beim Talk gesprochen. Die Diakonie verpflichtet sich ja, für die Schwestern «in gesunden, kranken und alten Tagen zu sorgen» und deren Leben «in materieller Hinsicht zu sichern». Ja, sie bekomme Taschengeld, auch Feriengeld und könne gut damit leben, sagte Doris Hürzeler: «Ich kann alles kaufen, was ich will.» Wieviel Geld sie erhält, wollte sie aber nicht verraten. Nur so viel: sie gebe ihren ganzen Lohn aus der Pflegearbeit der Schwesternschaft ab. Bis vor kurzem arbeitete sie als Pflegefachkraft im Altersheim Rebwies, inzwischen hat sie zu einer Institution in Schwerzenbach gewechselt. «Unter dem Strich bekomme ich ungefähr so viel, wie ich abgebe», zog sie Bilanz. Im Lauf der Jahre habe sie aber auch ein wenig gespart, ganz abhängig sei sie von der Diakonie also nicht.

Sie wird als Einzige zurückbleiben

Von den 120 Diakonissinnen, die damals im Zollikerberg lebten, sind nur 14 übrig geblieben. Doris Hürzeler ist mit 61 Jahren die jüngste. Die anderen Schwestern sind mehrheitlich über 90 Jahre alt. Wie geht sie mit der Tatsache um, dass sie eines Tages als einzige zurückbleiben wird?

Doris Hürzeler schilderte eindrücklich, was ihr die immer kleiner werdende Gemeinschaft bedeute: «Das ist meine Familie, und jeder Todesfall ist ein Schreck, es ist ein permanentes Abschied nehmen.» Aber es habe keinen Sinn, deswegen immer traurig zu sein. Aber natürlich beschäftige sie der Gedanke, allein zurückzubleiben, seit Jahren und immer wieder. Schon seit langem sei klar, dass die Diakonie aufgehoben werde. Es gebe keinen Nachwuchs mehr, «es ist halt einfach nicht mehr zeitgemäss, sich für ein solches Leben zu verpflichten».

Weihnachten werden die Diakonissinnen im Zollikerberg in stiller Besinnlichkeit feiern. «Wir machen uns kleine Geschenke, am 24. Dezember gibt es um 16 Uhr einen Gottesdienst und anschliessend ein gemeinsames Nachtessen.» Und dann, sagt Doris Hürzeler, «kommen sicher Gefühle hoch.»

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