«Die Jungen können sehr genau nachdenken»
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10. November 2025 – Der Zolliker Philosoph und Gymi-Lehrer Christoph Baumberger kann den Krisen, unter denen die Welt leidet, auch Gutes abgewinnen. Sie eignen sich für Diskussionen im Unterricht. Und da zeige sich, dass Schülerinnen und Schüler über einen wachen Verstand verfügen.

VON RENE STAUBLI
Philosophie als Pflichtfach im Gymnasium: da sträuben sich bei manchen die Nackenhaare. Zumal dann, wenn es darum geht, anspruchsvolle Bücher zu lesen, um anschliessend anstrengende, abgehobene Diskussionen zu führen. Was er denn sage, wenn eine Schülerin oder ein Schüler ihn frage: «Warum müssen wir das ganze anstrengende Zeug lesen?» Christoph Baumberger geht dieses Problem locker und mit Humor an, wie dieser Videoausschnitt zeigt:
In der praktischen Anwendung der Philosophie im Unterricht gebe es zwei entscheidende Fragen: 1. Was meinst Du mit dem, was Du sagst? 2. Was sind Deine Argumente dafür, dass das stimmt? Im ersten Schritt gehe es darum, die andere Person zu verstehen. Erst danach folge die inhaltliche Auseinandersetzung.
«Tönt gut», sagte Barbara Lukesch, aber das sei doch reichlich idealistisch in einer Zeit, in der niemand mehr zuhören könne und die Polarisierung immer extremer werde. Trump lüge, dass sich die Balken bieten, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus seien auf den Social Media-Plattformen mit Verweis auf die Meinungsfreiheit salonfähig: «Das muss doch der Horror für einen Lehrer sein?».
Natürlich sei das alles Besorgnis erregend und eine echte Herausforderung, räumte Baumberger ein. Er wolle das gleichwohl nicht zu stark dramatisieren, und auf gewisse Weise sei er sogar dankbar für diese gesellschaftlichen Entwicklungen, «denn das eröffnet uns in der Schule interessante Gesprächsfelder».
Bei den Schülerinnen und Schülern gebe es sehr wohl ein Bewusstsein für solche Themen. Sie könnten beispielsweise gut zwischen zweifelhaften und seriösen Informationsquellen unterscheiden «Dass man im Abstimmungsbüchlein über Sachfragen besser informiert wird als auf Social Media, ist ihnen klar.» Trotzdem bewegten sie sich gerne dort und verteilten unbekümmert Likes, wenn ihnen etwas gefalle. Sie wüssten aber sehr genau, dass Trumps Lügen kein Freipass dafür seien, sich selber im privaten Rahmen und in der Schule so zu verhalten.
Einheitssprache – dank KI
Natürlich kam die Rede im Verlauf des Abends auch auf die Künstliche Intelligenz. Das Publikum erfuhr, dass Baumbergers Zöglinge die KI verwenden, aber angeben müssen, wofür. «Sie setzen KI für Recherchen, erste Ideen und extrem stark für die sprachliche Bearbeitung ein – heute bekomme ich im Gegensatz zu früher durchwegs fast fehlerfreie Texte.»
Da bleibe doch kritisches, auch kreatives Denken auf der Strecke, wenn man die KI Ideen suchen, ein Konzept und dann auch noch einen Text schreiben lasse, wandte Lukesch ein. Es stimme schon, dass er in den Arbeiten oft eine Einheitssprache antreffe, «sehr tot, ohne Eigenleben». Diese Verkümmerung sei gewiss ein Problem – aber anderseits auch wieder eine Chance für den Philosophieunterricht: «Wir können KI zum Thema machen und fragen: was ist moralisch, wo sind die Grenzen der künstlichen Intelligenz, hat die Maschine ein Bewusstsein?»
Nicht zuletzt dank aktuellen Ereignissen stosse man im Unterricht immer wieder auf grundsätzliche Fragen. Zum Beispiel: Ist es erlaubt, einen Menschen zu foltern, wenn man mit den gewonnen Informationen andere Menschen vor einem Anschlag retten könnte? Oder ist das nicht erlaubt, weil man dann die Rechte dieses Menschen verletzt? In der Diskussion gehe es darum, die Argumente zu bewerten. Immer entlang der beiden wichtigsten Fragen: Was meinst Du mit dem, was Du sagst? Was sind Deine Argumente dafür, dass das stimmt?
Persönliche Landkarte
Der Philosophie-Unterricht helfe den jungen Menschen, eine ganz persönliche Landkarte ihres Wertesystems zu entwickeln. «Wohin sie sich dann bewegen, ist ihre Sache», sagt Baumberger. Seine Aufgabe bestehe lediglich darin, den Schülerinnen und Schülern Mut zu machen, sich mit wichtigen Themen des Lebens auseinanderzusetzen.
Am Ende des Gesprächs wollte Barbara Lukesch noch von ihm wissen, was er denn sage, wenn man ihn bei einem Nachtessen mit unbekannten Leuten nach seinem Beruf frage. «Ich sage meistens, ich sei Lehrer, dann bin ich fein raus», antwortete Baumberger und lachte: «Wenn man sagt, man unterrichte Philosophie, gibt es immer wieder mal Leute, die das Bedürfnis haben, über die ganz grossen Fragen des Lebens zu reden.»
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