Die Mutter ist meistens dabei
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5. Dezember 2025 – Isolde Tschurtschenthaler (36) ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in Zollikon. Meistens ist sie die Ansprechperson für Mädchen und junge Frauen. Was beschäftigt diese? Was belastet sie? Wie schambesetzt ist der erste Besuch bei der Frauenärztin für eine 14-Jährige?

INTERVIEW: BARBARA LUKESCH
Frau Tschurtschenthaler, in welchem Alter kommen Mädchen, beziehungsweise junge Frauen das erste Mal zu einer Gynäkologin?
Die meisten sind zwischen 13 und 17 Jahre alt. Vielen empfiehlt die Kinderärztin oder der Kinderarzt eine gynäkologische Abklärung, weil sie Schmerzen bei der Periode oder sehr starke oder unregelmässige Blutungen haben.
In diesem Alter ist es ja sicher besonders wichtig, dass die Chemie zwischen Ärztin und Patientin stimmt. Auf welchem Weg finden sich die beiden?
Durch Empfehlung. Die Mütter empfehlen den Töchtern ihre Gynäkologin. Oft ist es auch die Freundin, die von einer Praxis erzählt, in der sie sich gut aufgehoben fühlt.
Welche Bedeutung haben Instagram und TikTok?
Praxen, die auf diesen Kanälen Werbung machen, erreichen sicher viele, aber andere Frauen als wir. Wir haben Patientinnen, deren halbe Familie zu uns kommt: die Mutter, Tante, Schwester, Cousine. Da hat eine die andere nachgezogen. Das hat sicher auch damit zu tun, dass wir in einer kleinen Gemeinde angesiedelt sind und nicht in einer grossen Stadt wie Zürich.
Kommen junge Frauen, die zum ersten Mal bei einer Gynäkologin sind, allein oder in Begleitung?
Die meisten kommen mit ihrer Mutter, die offensichtlich auch in der Pubertät noch immer eine wichtige Vertrauensperson ist. Junge Frauen, die sehr unsicher oder ängstlich sind, nehmen ihre Mütter auch mit ins Behandlungszimmer. Das finde ich völlig in Ordnung.
Wollen junge Frauen lieber zu einer Gynäkologin oder zu einem Gynäkologen?
Ich denke, die Mehrzahl will vor allem in den ersten Jahren lieber zu einer Frau. Einer 14-Jährigen ist es ganz besonders wichtig, dass sie sich verstanden fühlt, sofort den Zugang zu der Ärztin hat und sie sympathisch findet.
Inwieweit hat es auch mit Schamgefühlen zu tun, dass man als junge Frau unbedingt zu einer Ärztin möchte?
Das spielt mit Sicherheit eine grosse Rolle.
Es ist ja auch eine irritierende Erfahrung, dass man sich auf einmal vor einem fremden Menschen ausziehen und mit gespreizten Beinen vor ihm auf den berühmten Untersuchungsstuhl setzen ja, fast legen muss.
Heute sind viele junge Frauen gut vorbereitet, sie wissen, was sie erwartet. Dazu findet beim ersten Besuch meistens noch keine Untersuchung statt, sondern ich beschränke mich auf das Gespräch, das dem Kennenlernen und der Besprechung der Beschwerden dient. Erst in einer weiteren Sitzung würde ich, wenn nötig, eine Untersuchung vornehmen. Dabei ist es besonders wichtig, dass ich eine ruhige Atmosphäre schaffe, jeden Schritt gut und nachvollziehbar erkläre und am besten immer schon vorher demonstriere, was ich als Nächstes tun werde.
Das heisst dann auch, dass Sie auf Ihre Wortwahl achten und möglichst wenig Fremdwörter verwenden?
Genau. Ich sage dann nicht Anamnese, sondern Gespräch vor der Untersuchung. Statt von Scheidenspekulum rede ich von Scheidenspiegel. Oder – noch besser – ich zeige einer jungen Frau das Instrument, damit sie sich etwas Konkretes darunter vorstellen kann.
In welchen Fällen kommt es zu einer ersten Untersuchung?
Wenn ein Mädchen oder eine junge Frau eindeutige Beschwerden hat, mache ich in der Regel eine Untersuchung, schaue mit dem Spekulum in die Scheide, entnehme oft auch einen Abstrich und mache zusätzlich einen Ultraschall. Hatte eine junge Frau noch nie Geschlechtsverkehr, bin ich sehr viel zurückhaltender mit invasiven Untersuchungen dieser Art. Dann mache ich meistens nur vom Bauch her einen Ultraschall, also von oben statt vaginal, um den Intimbereich so weit wie möglich unberührt zu lassen. In einem solchen Fall kann ich auch Geschlechtskrankheiten wie Chlamydien als Ursache der Beschwerden von vornherein ausschliessen. Die treten ja als Folge von Geschlechtsverkehr auf.
Gibt es denn auch andere Gründe als körperliche Beschwerden, die junge Frauen dazu bewegen, erstmals zu einer Gynäkologin zu gehen?
Recht oft schickt eine Mutter ihre Tochter zu einer Gynäkologin, damit diese einmal schaut, ob alles in Ordnung ist. Das sind dann Termine, die weniger Zeit in Anspruch nehmen. Häufiger aber kommen junge Frauen mit einem konkreten Anliegen wie dem Wunsch nach Verhütung.
Dürfen Sie minderjährigen Patientinnen Verhütungsmittel auch ohne Wissen und Einwilligung der Eltern abgeben oder verschreiben?
Ja, das ist möglich. Es gibt kein Mindestalter. Ein Arzt darf minderjährigen Patientinnen, denen er zutraut, die Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken beispielsweise der Pille zu verstehen, ein Rezept ausstellen.
Es gibt keinerlei Alterslimiten?
Im Grunde genommen nicht. Bei über 16-Jährigen geht man davon aus, dass sie über die entsprechende Urteilsfähigkeit verfügen. Zwischen 14 und 16 sollte man etwas genauer hinschauen und in der Regel natürlich auch die Mutter einbeziehen. Es passiert sowieso höchst selten, dass eine 14-Jährige zu uns kommt und sagt: «Ich möchte die Pille, aber niemand darf davon erfahren.» Und bei 13-Jährigen greift man meistens nur dann zur Pille, um extrem starke Blutungen und Periodenschmerzen zu beheben. Was aber immer mit dem Einverständnis der Eltern passiert.
Brauchen Sie die Einwilligung der Eltern, wenn eine 15-Jährige Sie um eine Abtreibung bittet?
Nein. Bei unter 16-Jährigen braucht es allerdings die Beratung bei einer spezialisierten Fachstelle wie Pro Familia. Das sind kantonal organisierte Stellen, deren Beratung kostenlos ist. Sobald dieses Gespräch stattgefunden hat und keine Bedenken von Seiten der Beraterinnen geäussert werden, darf die junge Frau selber entscheiden. Gott sei Dank!
Welche Verhütungsmittel bevorzugen die jungen Frauen?
Viele entscheiden sich immer noch für die Pille, weil sie leicht zu nehmen und jederzeit absetzbar ist – und weil sie sicher ist. Ich finde die Pille manchmal auch sinnvoll, weil sie das Bewusstsein für die Verantwortung für den eigenen Körper und für die Verhütung schärfen kann. Je älter die Frauen sind, um so mehr wollen dann ein anderes Verhütungsmittel. Sie haben genug von den Nebenwirkungen der Pille wie Stimmungsschwankungen, Libidoveränderungen oder Gewichtszunahmen und suchen gezielt nach etwas Natürlichem. Damit kommt in erster Linie das Kondom in Frage. Dazu gibt es die Kupferspirale, die zwar frei von Hormonen ist, deren Einlegen aber manchmal schmerzhaft ist. Sie kann dann aber immerhin rund fünf Jahre im Körper bleiben.
Wie schätzen Sie das Kondom ein?
Es ist eine gute Alternative, die bei korrekter Anwendung wirkungsvoll schützt. Dazu ist es das sicherste Mittel, um sich gegen Geschlechtskrankheiten wie Chlamydien zu schützen, deren Verbreitung stark zugenommen hat.
Mit der Wahl des Kondoms als Verhütungsmittel muss sich eine junge Frau aber auch in hohem Masse auf ihren Partner verlassen können.
Wenn sie an ihrem Partner zweifelt und sich nicht auf ihn verlassen kann, ist er wohl nicht der Richtige für sie. Falls sie mir diese Sorgen mitteilt, rate ich ihr dringend, zunächst mit ihm das Gespräch zu suchen und ihm seinen Teil der Verantwortung für die Verhütung klarzumachen. Sollte das nichts bringen, muss sie sich einen anderen Partner suchen.
Sprechen Sie auch das Thema Sexualität an?
Das kann passieren. Oft schneidet auch eine Patientin das Thema von sich aus an, sicher nicht bei der ersten Konsultation, aber vielleicht bei der dritten oder vierten, wenn wir schon etwas vertrauter miteinander sind.
Welches sind die häufigsten Themen, die die jungen Frauen in diesem Zusammenhang beschäftigen?
Häufig geht es um Unsicherheiten und Unklarheiten in Bezug auf die weibliche Sexualität. Dazu auch Lustempfinden und Selbstbestimmung, aber auch um konkrete Fragen wie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.
* Isolde Tschurtschenthaler (36) ist seit zweieinhalb Jahren Ärztin in der GynZollikon Praxis. Vorher war sie Oberärztin im Spital Zollikerberg. Sie hat drei Kinder.
Teil 1: Dominique Götze über die Menopause
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