Die reformierte «Nonne» vom Zollikerberg

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27. November 2025 – Der «Talk am Puls» vom 4. Dezember wird speziell: Dann erzählt Doris Hürzeler (61), seit 25 Jahren Mitglied der Schwesternschaft des Diakoniewerks Neumünster, aus ihrem Leben. Die Diakonissin ist Fachfrau Betreuung und hat die letzten Jahre im Rebwies gearbeitet.

Doris Hürzeler  (Illustration: Willi Spirig)
Doris Hürzeler (Illustration: Willi Spirig)

Wenn ich Frühdienst im Rebwies habe, stehe ich um 5.30 Uhr auf. Nach einer kurzen Körperpflege gehe ich mit Fina, meiner dreijährigen Golden Retriever-Hündin, für eine halbe Stunde spazieren. Egal, ob es stürmt oder schneit, im Sommer genauso wie im Winter. Danach gibt es Zmorge, ein Stück Brot, Butter, Käse, einen Kaffee und ein Glas Orangensaft. Dann sause ich in zehn Minuten mit meinem E-Bike vom Zollikerberg ins Altersheim. Es sei denn, ich nehme Fina mit an meinen Arbeitsplatz. Dann geht’s um 6 Uhr los, und wir laufen gemeinsam längs des Wehrenbachs zum Rebwies. Das dauert rund eine Dreiviertelstunde, die ich sehr geniesse.

Um 7 Uhr beginnt mein Dienst. Ich bin einem Team zugeteilt, das ein dreistöckiges Haus mit rund 75 Bewohnerinnen und Bewohnern betreut. Darunter etliche, die noch sehr selbständig sind, aber auch Demenzkranke, die rund um die Uhr beaufsichtigt und gepflegt werden müssen.

Am Rapport um 7 Uhr erfahren wir, was in der vorangegangenen Nacht passiert ist: wer welche Zusatz-Medikamente erhalten hat, ob jemand ins Spital verlegt werden musste oder ob es sonst jemandem besonders schlecht gegangen ist. Am Computer lese ich nach, was ich als Erstes mit jenen Bewohnern machen soll, die mir zugeteilt sind: Blutdruck messen, auf die Waage stellen, einen Verband wechseln. Bevor ich in deren Zimmer gehe, ziehe ich zunächst all jenen Kompressionsstrümpfe an, die noch viel laufen und ihren Tag weitgehend selbständig verbringen.

Die anderen wasche und pflege ich anschliessend. Gegen 11 Uhr bin ich spätestens mit meinen knapp zehn Patienten fertig. Zwischendrin gibt’s noch ein kleines Znüni: Kafi, Wasser und Obst. Das ist ein Moment, in dem wir Pflegende, manchmal zu zweit, manchmal auch in einer grösseren Gruppe zusammensitzen und ein bisschen plaudern.

Um 11 Uhr gibt’s im Heim Mittagessen. Wer im Betreutenkreis sitzt, braucht dabei Hilfe, die Praktikantinnen, Schüler oder Zivis leisten. Wichtig ist auch, mit jenen Frauen und Männern vor dem Essen auf’s WC zu gehen, die selber nicht daran denken. Ich helfe oft beim Eingeben des Essens, manchmal serviere ich oder schneide jemandem das Fleisch auf seinem Teller in kleine Stücke.

Was viel Zeit braucht, ist die sorgfältige Dokumentation all dessen, was ich vormittags mit den Patienten gemacht habe. Jede freie Minute nutze ich, um Material zu bestellen, zu sortieren und einzufüllen. Weil ich diese Arbeit sehr gern mache, bin ich inzwischen für Material aller Art zuständig: Inkontinenzeinlagen, Medikamentenbecher, Verbandszeug, Desinfektionsmittel und vieles mehr.

Von 12.45 bis 13.30 Uhr haben wir Pflegenden Mittagspause. Dann esse ich im Mitarbeiterinnen-Raum; das Essen ist gut. Trotzdem bringe ich mir manchmal etwas von daheim mit oder kaufe mir im Café eine Wähe.

Um 13.30 Uhr findet der Grossrapport statt, an dem berichtet wird, was im Verlauf des Vormittags los war. Manchmal schliesst sich ein Fachgespräch zu einem Thema wie Hygiene oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Jemand erzählt von einer Weiterbildung, oder eine Schülerin stellt ein Projekt zu einem solchen Thema vor. Das finde ich bereichernd.

Den Rest meines Arbeitsages, der um 16 Uhr zu Ende geht, verbringe ich bei den Bewohnerinnen und Bewohnern. Ich begleite sie ins Café, an ein Konzert im Haus oder beim Konfimachen oder wenn sie zusammen singen wollen. Das sind schöne Momente. Bleibt dann noch Zeit übrig, widme ich mich gern der Bezugspersonen-Arbeit. Dabei kümmere ich mich gezielt um die Bewohner, denen ich gemeinsam mit einer Kollegin als Bezugsperson zugeteilt bin. Ich notiere, was diese Frauen oder Männer brauchen – nimmt beispielsweise deren Bedarf an Verbandsmaterial oder Inkontinenz-Einlagen zu, schreibe ich das auf, damit es angepasst werden kann. Vor allem bei Demenzpatienten, die ja oft unruhig sind und sich den ganzen Tag bewegen, muss ich den Gewichtsverlauf dokumentieren, um zu verhindern, dass sie unterernährt sind.

Auf dem Heimweg gehe ich oft in den Coop und kaufe ein. Nachdem ich mit Fina spazieren gegangen bin und mit ihr herumgetollt habe, lege ich mich gern für ein paar Minuten hin. So ein Arbeitstag hat es schon in sich.

Um 18 Uhr gehe ich in die Kirche, die neben unserem Haus Quelle steht. Dort findet das rund 20 Minuten dauernde Abendgebet mit Liedern statt, das abwechselnd eine von uns 14 Diakonissinnen leitet. Gegen 18.30 Uhr komme ich dann zum Kochen. Manchmal esse ich allein, manchmal aber auch mit meiner Kollegin aus unserer Schwesternschaft. Sie ist nach mir die Zweitjüngste. Wenn ich bei der Arbeit bin, hütet sie meine Hündin. Mit ihr gehe ich auch in die Ferien.

Zum Ausklang des Tages schaue ich Fernsehen. Ich bin eine Romantische und liebe Rosamunde Pilcher- oder Inga Lindström-Filme, aber auch Ärzteserien. Wunderbar! Da geht es um Herz und Schmerz, Sehnsucht und Liebe. Als Diakonissin lebe ich ehelos, was für mich als junge Frau nicht immer einfach war. Ab und zu habe ich gezweifelt und mich gefragt, ob ich aus der Schwesternschaft austreten soll. Mit dem Älterwerden hat sich alles etwas beruhigt.

Mein Leben wird sich entscheidend verändern, wenn ich einmal die letzte und einzige Überlebende der Schwesternschaft sein sollte. Die Stiftung Diakoniewerk Neumünster hat sich verpflichtet, uns Diakonissen bis ans Lebensende zu versorgen. Das heisst, ich muss mir keine Sorgen um eine Bleibe im Alter machen. Meine Zukunft plane ich mit Fina, meiner treuen Begleiterin.

Bevor ich um spätestens 24 Uhr das Licht lösche, gibt’s noch etwas Körperpflege und ein Gebet. Dann schlafe ich schnell ein.»

«Talk am Puls», Donnerstag, 4. Dezember. Die Bar öffnet um 19 Uhr, der Talk beginnt um 19.30 Uhr, anschliessend gemütliches Beisammensein. Eintritt frei. Gastgeber im Café am Puls ist Pfarrer Simon Gebs.

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