Die Verzweiflung der Beatrice L.
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16. Oktober 2025 – Der 92-jährigen Beatrice Landert wird nach knapp 30 Jahren die Wohnung im Zollikerberg gekündigt. Ein Entscheid, der die alte Dame emotional an den Rand ihrer Kräfte bringt, aber auch die Defizite offenlegt, die die Gemeinde Zollikon im Bereich Alterswohnen aufweist. (4 Kommentare)
16. Oktober 2025 – Der 92-jährigen Beatrice Landert wird nach knapp 30 Jahren die Wohnung im Zollikerberg gekündigt. Ein Entscheid, der die alte Dame emotional an den Rand ihrer Kräfte bringt, aber auch die Defizite offenlegt, die die Gemeinde Zollikon im Bereich Alterswohnen aufweist.

VON BARBARA LUKESCH
Und dann fliessen doch noch die Tränen. Auf die Frage, was die Wohnungskündigung bei ihr ausgelöst habe, fängt Beatrice Landert an zu weinen: «Ich bin in einen Abgrund gestürzt und habe mich wie tot gefühlt.» Es sei eine Katastrophe, mit 92 Jahren nochmals zügeln zu müssen, nachdem sie knapp 30 Jahre an der Langwattstrasse gewohnt und dort Wurzeln geschlagen habe. Sie kenne in ihrer Umgebung jeden Baum, jeden Strauch und vor allem zahllose Menschen, mit denen sie bei jedem Gang zum Coop ein paar Worte wechsele. «Hier ist mein Daheim», sagt sie am Stubentisch ihrer gemütlichen Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, «hier fühle ich mich sicher und geborgen.»
Seitdem sie weiss, dass sie Ende März nächsten Jahres rausmüsse, habe sie den Eindruck, sie lebe auf einem fremden Planeten. Irgendwie sei ihr das Gefühl für die Realität abhandengekommen. Sie erwäge ernsthaft, im schlimmsten Fall mit Exit aus dem Leben zu scheiden: «Dabei bin ich wirklich eine zähe Person und Kämpferin.»
Beatrice Landert ist Pflegefachfrau oder «Krankenschwester», wie sie sich selber bezeichnet. Sie war ihr Leben lang erwerbstätig, wegen ihrer beiden Kinder zwar mit Unterbrüchen und in Teilzeitpensen, aber immer sehr engagiert und motiviert. «Anderen zu helfen», sagt sie, sei etwas, was ihr entspreche. Als sie älter geworden sei, habe sie privat Leute betreut und mit über 80 auch noch geputzt.
2500 Franken im Monat reichten immer
Sie habe schon früh gelernt, auf’s Geld zu schauen, und so habe sie tatsächlich etwas auf die Seite legen können. Doch statt dieses Geld für ihr Alter zu sparen, hat sie es ihren beiden Kindern geschenkt. Sie sei ja jahrelang mit ihrer AHV und der Pensionskassenrente von 300 Franken monatlich klargekommen. Bei einem Mietzins von etwas über 1000 Franken, einer Prämienverbilligung bei der Krankenkasse und einem bescheidenen Lebensstil hätten die 2500 Franken, die sie monatlich zur Verfügung habe, immer gereicht: «Mir hat nichts gefehlt.»
Doch in dem Moment, wo der Verwalter Ende Juli persönlich bei ihr vorbeigekommen sei und ihr die Kündigung auf Ende März 2026 mitgeteilt habe, sei das böse Erwachen gekommen. Sie habe ja Verständnis für den Entscheid der Hausbesitzer. Schliesslich habe es vor gut drei Jahren in der Wohnung ihrer Nachbarin gebrannt. Das Feuer habe die Statik des ganzen Hauses in Mitleidenschaft gezogen, so dass der Abriss nur eine Frage der Zeit gewesen sei. Sie seufzt: «Trotzdem war ich immer der festen Überzeugung, dass ich in meinem Alter nochmals davonkommen und von einem Umzug verschont würde.»
Als die Kündigung dann Tatsache war, hielt sie verzweifelt nach einer Alternative Ausschau. Bekannt im ganzen Quartier, ja, im Ort, bekam sie schnell Hinweise auf leerstehende Objekte: Zweieinhalb-, manchmal auch Dreieinhalb-Zimmerwohnungen, für die sie zwischen 1700 und 2200 Franken hätte zahlen müssen. Sie schüttelt den Kopf: «Woher soll ich das Geld nehmen?» Was ihr vorschwebe, sei ein bescheidenes Einzimmer-Studio für höchstens 1200 Franken, am liebsten im Parterre, damit die Katze rein- und rauskönne. Inzwischen wisse sie, dass es auf dem heutigen Wohnungsmarkt nichts mehr in dieser Preisklasse gebe. Dazu komme, dass sie als 92-Jährige wohl bei vielen Hausbesitzern einen schweren Stand habe. Dabei würden alle Leute, die sie kennen und ihr Alter erfahren, lachen und sagen: «92? Das soll wohl ein Witz sein.»
Nur nicht ins Altersheim!
Wie weiter? Einen Grossteil ihrer Möbel, Kleider und Gebrauchsgegenstände habe sie bereits verschenkt: ihrem Sohn einen Tisch, dem Zürcher Brockenhaus ihre Stühle, dem Chramschopf alle Kerzenständer, dem Wettstein-Haus auf der Forch viele ihrer schönen Kleider.
Ende November habe sie dann einen Termin beim Zürcher Mieterschutz. Sie wäre extrem froh, sagt sie, wenn sie noch eine ein- oder zweijährige Fristerstreckung erwirken könne. Voraussetzung sei allerdings, dass auch andere Mieter mitziehen würden: «Ich will ja für mich allein nichts erzwingen.»
Und ein Altersheim? Sie verwirft die Hände. Das halte sie nicht aus: «Ich würde mich eingesperrt fühlen.» Sie sei ein freiheitsliebender Mensch und bedacht auf ihre Selbständigkeit. Schliesslich führe sie ihren Haushalt immer noch allein, gehe einkaufen. Ja, und einen Rollator brauche sie auch noch nicht. Sie lacht.
Dann komme ja vielleicht eine Alterswohnung in Frage? Sie nickt. Das wäre eine Möglichkeit. Sie wisse, dass es in Zollikon die Fachstelle Alter und Gesundheit gibt, die von Gaby Scheidegger geleitet wird. Von einem Besuch habe sie bisher abgesehen, weil sie erst abwarten wolle, wozu ihr der Mieterschutz rate, und ob sie allenfalls eine Fristerstreckung bei ihrem Vermieter erreiche.
Die Idee, bei Gaby Scheidegger im Rahmen dieses Artikels bereits einmal abzuklären, welche Hilfe sie einer Person wie Beatrice Landert leisten könne, begrüsst sie aber ausdrücklich.
Hilfe von der Fachstelle Alter und Gesundheit
Das Gespräch ist informativ. Die Fachfrau rät Landert, auf verschiedenen Ebenen aktiv zu werden: Als Erstes solle sie sich bei ihr melden und bei ihr vorbeikommen; falls gewünscht, besuche sie sie auch gern bei sich daheim. Sie solle sich unbedingt bei ihr auf der Liste wohnungssuchender alter Menschen mit ihren Bedürfnissen eintragen. Dann habe sie sie auf dem Radar und könne sie bei der Wohnungssuche unterstützen: «Mein Netzwerk ist gross und verhilft mir zu Informationen, die nicht allen zugänglich sind.»
Dann müsse sie sich unbedingt bei der Residenz Neumünsterpark anmelden, die von der privaten Stiftung Diakonie Neumünster geführt wird. Diese besitze drei Häuser mit Alterswohnungen, von denen das Baumgarten mit seinen sehr tiefen Mietzinsen Beatrice Landert wohl entsprechen könnte. Gleichzeitig solle sie sich auf die Warteliste der privaten Alterssiedlung Sonnengarten im Zollikerberg setzen lassen, wo ebenfalls kleine Wohnungen in einem verträglichen Preissegment vermietet würden.
Die Gemeinde hat kein Angebot
Und was bietet die Gemeinde selber an? Gaby Scheidegger schüttelt den Kopf: «Es gibt keine Alterswohnungen der Gemeinde», man betreibe nur einige altersgerechte Wohnungen an der Langwattstrasse und im Brunnenbächli, die allerdings via Homegate und damit auf dem freien Markt vermietet werden und damit entsprechend teuer seien. Auch die zehn Alterswohnungen im Blumenrain seien wohlhabenden Bürgern vorbehalten, seien sie doch klar im Hochpreisbereich angesiedelt. Die Notwohnungen der Gemeinde seien extrem klein, teilweise beständen sie nur aus einem WG-Zimmer und seien tatsächlich nur für Menschen geeignet, die sich in einer Notlage befinden.
Noch einen letzten Tipp möchte sie ihr geben, sagt Scheidegger: Sie solle so schnell wie möglich bei der SVA Zürich vorstellig werden und einen Antrag auf Ergänzungsleistungen stellen. Dabei werde auch klar werden, ob und in welchem Masse es den ihr zustehenden Betrag reduzieren werde, dass sie ihr Erspartes ihren Kindern geschenkt habe. Bei Bedarf gehe sie ihr dabei auch gern zur Hand.
Nachdem die Tränen wieder getrocknet sind, erwacht nochmals das Kämpferinnen-Herz von Beatrice Landert, die ja vielen auch als meinungsstarke Leserbriefschreiberin bekannt ist. Als sie in einer der letzten Nächte nicht habe schlafen können, sei ihr plötzlich eine Lösung für die Wohnungsnot in Zollikon in den Sinn gekommen: «Warum macht die Gemeinde nicht aus dem Beugi oder dem Altersheim am See Alterswohnungen?»
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4 KOMMENTARE
Mit viel Interesse und noch mehr Wohlwollen lernte ich durch den Artikel der Zolliker News endlich Beatrice Landert kennen; als (auch) engagierte Leserbriefschreiberin fielen mir ihre vielseitigen und tiegründigen Leserbriefbeiträge seit Jahren auf. Dass es allerdings unter den tragischen Umständen ihrer Wohnungskündigung geschieht, tut mir wirklich leid. Selber wohnte ich vor vielen Jahren im Zollikerberg (an der Rietholzstrasse) und weiss, in welch reizvoller Gegend Frau Landert wohnt – und dass es sicher schwierig ist mit der Wohnungssuche, vor allem im Alter! Daher wünsche ich mir für Frau Landert von Herzen, dass sie eine für sie gute, nahegelegene Lösung finden möge… gerne mit Unterstützung von Zollikon.
Sein Vermögen den Kindern schenken und dann Ergänzungsleistungen einfordern!
Für mich äusserst fragwürdig Frau Landert.
Zu Ihrer Information, Herr Kern: Frau Landert bezieht keine Ergänzungsleistungen. Die Idee, einen entsprechenden Antrag zu stellen, kam von den Fachleuten aus dem Sozialbereich, beispielsweise Gaby Scheidegger von der Fachstelle Alter und Gesundheit. Man darf wohl davon ausgehen, dass ein solcher Antrag auf seine Berechtigung geprüft würde, bevor Frau Landert Ergänzungsleistungen beziehen kann.
Ihr Artikel berührt mich sehr, habe ich doch einen ganz ähnlichen Fall erlebt, in welchem gar die Gemeinde Zollikon die kündigende Vermieterin war. Eine Überprüfung des Liegenschaftenportfolios der Gemeinde hatte wohl ergeben, dass die Wohnungen im fraglichen Haus einträglicher vermietet werden könnten. Den Mietenden wurde zwar mit einer sehr grosszügigen Frist gekündigt, drei der sechs Mietparteien waren aber Damen weit über 80, die seit 50 Jahren in diesem Haus gewohnt hatten. Für meine Mutter war der Umzug in ein Heim aus gesundheitlichen Gründen sowieso eine Frage der Zeit, den anderen beiden Damen aber, die bis dahin körperlich und geistig äusserst rüstig gewesen waren, brach die Kündigung das Herz und den Lebenswillen. Ihre Wohnungen wurden lieblos saniert und zum doppelten Preis neu vermietet.
Bezahlbare Alterswohnungen an zentraler Lage auf dem Beugiareal würden der reichen Gemeinde Zollikon gut anstehen.