«Ein Handschlag gilt bei uns noch etwas»

0 KOMMENTARE

9. Dezember 2025 – Der 63-jährige Jürg Hoss steht etwas im Schatten seiner bekannten Frau Corinne. Dabei ist seine Arbeit als Liquidator hochspannend und anspruchsvoll. Im Interview mit dem Zolliker Jahrheft* schildert er seinen Werdegang und seine Wertvorstellungen.

Liquidator Jürg Hoss (Foto: Privatarchiv)
Liquidator Jürg Hoss (Foto: Privatarchiv)

INTERVIEW: DOMINIQUE BÜHLER

Jürg, wie hast du deine Kindheit verbracht?

Ich genoss eine gutbehütete Kindheit. Ich habe einen zwei Jahre älteren Bruder. Wir wohnten in der Nähe des Klusplatzes in Zürich. Ich machte eine KV-Lehre in einer Unternehmensberatungsfirma und besuchte die Berufsmittelschule. Natürlich half ich als Jugendlicher manchmal im Geschäft meines Vaters mit, doch ich plante vorerst nicht, dort je einzusteigen. Ich wollte in die Welt und ging mit 24 für fünf Jahre nach Amerika, nach Atlanta, Georgia, wo ich als Finanzchef in einer Kunstrasenfirma tätig war.

Warum bist du aus Amerika zurückgekommen?

Gegangen bin ich damals, weil ich unbedingt im Ausland arbeiten wollte, um meinen Horizont zu erweitern; zurückgekommen bin ich mit vielen Erfahrungen, aber auch mit der Überzeugung, dass fünf Jahre genug sind.  Es war eine gute und richtige Entscheidung.

Dann bist du ins Geschäft deines Vaters eingestiegen?

Als ich 1991 aus Amerika zurückkam, hatte mein Vater mehr und mehr zu tun, und so war es naheliegend, dass ich ihn unterstützte. Und als ich so richtig im Geschäft drin war, wollte ich nie mehr heraus. Die tägliche Arbeit eines Liquidators ist eine dankbare, interessante und vielseitige Arbeit. Zehn Jahre lang habe ich bei meinem Vater wahnsinnig viel gelernt. Gelernt, wie man Bilder liest, wie man Möbel richtig einordnet, wie man zum Schluss die Preise festsetzt. Vor allem aber habe ich auch gelernt, dass es bei den Liquidationen nicht bloss darum geht, einen guten Erlös zu erzielen, sondern genauso sehr darum, die Hinterlassenschaft würdevoll und angemessen zu veräussern.

Was verstehst du darunter?

Bei jeder Liquidation geht es darum, den Menschen, die dahinterstehen, die Würde zu erweisen. Der Respekt vor dem Verstorbenen – oder manchmal auch unglückseligen Konkursiten – ist am wichtigsten. Eine Liquidation ist deshalb immer eine zwar endgültige, aber auch menschliche Angelegenheit, die gut in Szene gesetzt werden muss.  Dazu muss die Hinterlassenschaft erst in die bestmögliche Form gebracht werden. Alles muss sauber sein und repräsentabel aussehen. Geputztes Silber lässt sich nicht nur besser verkaufen als ungeputztes, es soll auch zu Ehren der ehemaligen Besitzer glänzen. Ich will auch nicht, dass in einer versteckten Ecke einer Schublade plötzlich noch Unterwäsche gefunden wird. Persönliches hat in einer Liquidation nichts verloren, auch keine Fotos. Die Dinge werden nicht einfach verhökert, sondern in Ehren weitergegeben.

Wie gehst du vor, um diesen Zustand zu erreichen?

Dazu muss alles gesichtet werden. Diese Arbeit mache ich nicht allein. Ich habe ein kleines und motiviertes Team von Mitarbeiterinnen, die mir jederzeit zur Hand gehen. Zudem engagiere ich je nach Auftrag auch eine Reinigungs-, Transport- und/oder Sicherheitsfirma. Dafür habe ich keine eigene Infrastruktur. Mein Team wähle ich sorgfältig aus, denn nicht jeder und jede ist für diesen Job geeignet. Nebenher selber handeln oder für sich selbst Dinge erstehen wollen, ist absolut tabu. Ich muss auch total darauf vertrauen können, dass die Dinge, die bei genauer Sichtung noch in Verstecken gefunden werden, bei mir zusammenkommen, damit ich sie den Erben übergeben kann.

In Verstecken?

Ja, sehr oft finden wir bei den Aufräum- und Reinigungsarbeiten noch Geld – viel Geld zuweilen – und wertvollen Schmuck.

Wie setzt du dein Team zusammen?

Die meisten arbeiten schon seit vielen Jahre für uns, einige haben schon für meinen Vater gearbeitet. Unser ältester Mitarbeiter Joe ist 89 Jahre alt. Er ist bei der Kundschaft äusserst beliebt. Letztes Jahr kam er zu mir und sagte: «Ich will aufhören, bevor du mich darum bittest.» Und ich antwortete ihm: «Das würde ich nie! Und jetzt sage ich dir: Du musst noch bleiben, mindestens so lange, bis die Liquidation in Gstaad vorbei ist. Ich brauche dich!» Und zu meiner Freude hat er dies dann auch getan und bei der Liquidation des Parkhotel Gstaad sein Verkaufstalent mit fast 90 nochmals unter Beweis gestellt.

Wie viele festangestellte Mitarbeiter hast du?

Es gibt einen harten Kern von etwa fünf Personen. Ich biete ihnen jedoch keine festen Arbeitsverträge an, sondern zahle pro Auftrag. Ich entscheide, welche Aufträge ich annehme oder ablehne, wie die Preise festgesetzt werden und was, wie und wo getan wird.

Das heisst sowohl für dich wie deine Crew viel Arbeit für ungewissen Lohn?

Nein, nein. Zum Glück gibt es immer genug zu tun. Unser Lohn lässt sich gut abschätzen – jedenfalls habe ich mich dabei noch nie vertan, dazu habe ich Erfahrungen genug gesammelt.

Gibt es eine Ausbildung zum Liquidator?

Nicht eigentlich. Doch viele kommen über ein Studium der Kunstgeschichte in diese Branche, das bietet eine gute Basis. Denn natürlich muss man schon einiges an Fachwissen mitbringen, zudem stets recherchieren und sich weiterbilden, um erfolgreich zu sein. Ich selbst habe vieles in der praktischen Mitarbeit bei meinem Vater gelernt. Er war ein harter, konsequenter und guter Lehrmeister. Ich war auch eine Zeitlang bei Sotheby’s in London, um sattelfest zu werden. Man muss nicht alles wissen, aber es ist schon gut, wenn man von allem eine Ahnung hat und sich im Bedarfsfall an ein Netzwerk von Spezialisten wenden kann, denen man voll vertraut.

Was entscheidet über deinen Erfolg?

Die Preise müssen stimmen. Genauso wie die Art der Präsentation. Und in diese Stimmigkeit gilt es vorab alles zu investieren – womit man oft bereits Zehntausende von Franken ausgegeben hat, ohne nur einen Franken verdient zu haben. Für junge Liquidatoren ist es oft nicht einfach, das finanzielle Risiko abzuschätzen. Doch damit die Liquidation für alle zufriedenstellend verläuft, ist dies unabdingbar.

Welchen Einfluss hat der Ort, an dem eine Liquidation stattfindet?

Die Örtlichkeit einer Liquidation hat Einfluss auf den Verkauf.  Ob eine Liquidation zum Beispiel in Winterthur oder Zollikon stattfindet, unterscheidet sich wie Tag und Nacht. Die Winterthurer schätzen das Wiederverwerten von gebrauchten Einrichtungen und Objekten enorm, und in Zollikon steht die Kunst im Vordergrund.  Das macht es so spannend. Was mir auch gefällt: Auf dem Land wird noch vermehrt mit Bargeld bezahlt.

Wie wichtig ist Vertrauen bei deiner Arbeit?

Unsere Arbeit basiert auf Vertrauen, es wird nur versprochen, was man auch halten kann. Ein Handschlag gilt hier noch was!

Tatsächlich?

Wenn das Vertrauen zum Handschlag nicht da ist und das Vertrauen fehlt, dass ich es gut machen werde, lasse ich es lieber sein. Das gilt immer, egal ob es um Liquidationen aus Privateigentum oder um Geschäfts- oder Firmenkonkurse geht.

Dir und deinem Vater wurde 2001 die grösste Liquidation der Schweizergeschichte – die Swissair-Liquidation – anvertraut. Sie hat euren Namen schweizweit bekannt gemacht. Wie kam es dazu?

Unsere Firma war schon seit längerem auch für grosse Projekte zuständig, so zum Beispiel für das Hotel Palace in Lugano, und so fiel die Wahl auf uns. Der Auftrag war tatsächlich gigantisch: Vor allem das Inflight-Material, das wir neben der Büroeinrichtung verkauften, war zahlenmässig beeindruckend: Wir verkauften 720’000 Hutschenreuther Porzellanteller, 360’000 versilbertes First Class Tafelbesteck oder 75’000 First Class Schlafsäcke und Wolldecken. Ganz zu schweigen von den kleinen Spirituosenfläschchen.

150’000 Menschen kamen 2002 an die Liquidation nach Bassersdorf, um sich ein Souvenirstück der einst grossen schweizerischen Fluggesellschaft zu ergattern. Hat sich dein Geschäftsleben durch diesen gigantischen Auftrag verändert?

Ja, es hat mir das Vertrauen gegeben, tatsächlich Grossaufträge abwickeln zu können. Und es hat viele neue Auftraggeber gebracht, die uns durch diese Liquidation kennen gelernt haben.

Politik wäre nichts für dich gewesen?

Ich geniesse es sehr, dass ich nicht jede Entscheidung diskutieren muss, sondern kompromisslos selbst bestimmen kann, wie ich alle Details einer Liquidation regle. Es ist wunderbar, ein Team zu haben, das mich nun schon lange gut kennt und immer mit mir an einem Strick zieht.

Du bist also ein rundum zufriedener Geschäftsmann?

Absolut! Es war ein Glücksfall, dass ich meinen Vater nach meiner Rückkehr aus Amerika unterstützt habe, obwohl ich damals noch nicht daran dachte, das Familienunternehmen weiterzuführen. Es ermöglichte mir ein unabhängiges Leben als selbständiger Unternehmer.  Und nicht nur das: Je länger je mehr freut es mich, dass meine Arbeit nicht nur finanziell, sondern genauso mit grosser Dankbarkeit entlöhnt wird. Vielen Menschen ist die Liquidation ihres Erbes eine riesige Sorge. Oftmals kann ich bei ungeklärten Fragen unter den Erben auch schlichtend eingreifen und zu Problemlösungen beitragen.

Kannst du ein Beispiel erzählen?

Gerne. Ich bekam einen Anruf aus einem Pflegeheim. Eine Frau hatte ihre Lieblingsbilder von zu Hause mitgenommen und im Zimmer aufgehängt. Den Verantwortlichen war unklar, ob die Bilder wertvoll waren, sie scheuten sich vor der Verantwortung. Da fuhr ich hin und sah: Es waren tatsächlich einige wunderschöne Gemälde des Bodenseemalers Adolf Dietrich. Gut eine halbe Million wert.  «Was machen wir nun?», fragte der Heimleiter, «wir können doch der Frau die Bilder nicht wegnehmen.» Da die Frau gerade für zwei Tage im Spital war, nahm ich die Bilder mit, liess in der Druckerei gute Farbkopien herstellen, bewahrte die Originale sicher auf und brachte die Kopien zurück ins Pflegeheim. Gute zwei Jahre lebte die Frau noch, ohne dass ihr etwas aufgefallen wäre. Und dann rief mich ihr Willensvollstrecker an und bat mich, die Bilder zu verkaufen.  Das tat ich natürlich gern. Bei solchen Anrufen muss man stets bereit sein, das Risiko eines vielleicht nutzlosen Extra-Aufwands auf sich zu nehmen, die Bilder hätten auch wertlos sein können.

Schildere doch noch ein weiteres Beispiel!

Manchmal helfe ich auch jüngeren Auftraggebern. Einmal fanden wir in der Schublade eine Pistole. Ich war dafür, sie einfach zu entsorgen. Das wäre eine pragmatische Lösung gewesen ohne grossen administrativen Aufwand.  Doch der junge Willensvollstrecker hatte Skrupel. Wir brachten sie der Polizei, der befürchtete Aufwand ging los, da war dann gar nichts gratis und die Erbschaft wurde geschmälert.

Wie sieht es bei Konkursen aus?

Auch bei Konkursen muss ich manchmal Klartext reden. Da haben die Besitzer einer Wohnung manchmal ein Problem wegen des Mietzinsausfalls von ein paar Monaten. Und dies, nachdem jemand vierzig Jahre dort gewohnt hatte und nichts gemacht worden ist, weil die alten Leute dies nie einforderten. Das ist einfach lächerlich. Man darf sich nicht verstellen, man muss direkt sein. Das hat mich mein Vater bereits gelehrt. Und wenn dann den Erben Steine vom Herzen fallen, weil sie dank meiner Hilfe nicht bloss einen guten Erlös, sondern auch eine grosse Sorge los sind, fühle ich mich gut. Es ist wirklich eine dankbare Aufgabe. Man muss immer eine pragmatische Lösung bereit haben. Da hilft die Erfahrung schon – da ist es von Vorteil, etwas älter zu sein.

Bleibt dir neben der Arbeit auch noch etwas Freizeit?

Ja, die nehmen wir uns zwischendurch schon. Denn wenn ich eins gelernt habe, dann das: Es ist wichtig sich selbst auch was zu gönnen. Immer wieder erstaunt es mich, wie auch wohlhabende Leute plötzlich Angst bekommen, es könne nicht mehr reichen und altersgeizig werden. Ganz extrem fand ich es, als ich einen Multimillionär kennenlernte, der es sich nicht mehr leisten wollte, seine Toilette zu reparieren und stattdessen ins Keller-WC ging. Nein, man sollte sich und auch seinen Kindern wirklich noch zu Lebzeiten etwas gönnen.

Noch ein Wort zur Zukunft. Was denkst du, wird eure Tochter eher das elterliche Geschäft weiterführen, in die Politik gehen oder etwas ganz anderes machen?

Noch ist alles offen.  Eine solche Geschäftsübergabe kann man nicht planen. Vielleicht wird es sich ergeben, vielleicht nicht. Ich würde es ihr natürlich zutrauen, sie könnte das. Sie kennt das elterliche Geschäft ja gut, und natürlich würden wir sie dabei unterstützen. Doch es muss nicht sein, falls nicht, werde ich das Geschäft in ein paar Jahren ohne grosse Wehmut schliessen.

*Auszüge aus einem Interview im Zolliker Jahrheft, das Dominique Bühler mit Corinne und Jürg Hoss geführt hat. Das Zolliker Jahrheft kann man unter dieser Adresse für 25 Franken bestellen oder für 22 Franken abonnieren.

Wenn Sie unseren wöchentlichen Gratis-Newsletter erhalten möchten, können Sie sich gerne hier anmelden. Sie können diesen Artikel auch gerne in Ihrem Netzwerk teilen:

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

eins × zwei =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht