Eine spezielle, gute Wanderung im Dauerregen

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Adrian Michael: «Wandern bei trockenem Wetter – das kann jede und jeder. Nach einer Wanderung im Nebel durchs Moor von Biberbrugg nach Rothenthurm im Dezember 2022 sollte es drum diesmal eine Wanderung im Regen sein.»

VON ADRIAN MICHAEL

Frohlockend nehme ich eines Tages den Wetterbericht für den nächsten Tag zur Kenntnis: Regenwahrscheinlichkeit 100 Prozent, Temperatur um 20 Grad, durchaus akzeptabel also! Und wo startet man eine Regenwanderung? Richtig, in Regensdorf natürlich.

1 Trotz des Regens: Eine Taucherbrille scheint mir doch etwas übertrieben
Trotz des Regens: Eine Taucherbrille scheint mir doch etwas übertrieben

Als ich, ausgerüstet mit Wanderschuhen, Regenhose, zwei Regenjacken und Schirm, aus der S-Bahn steige, sieht es gut aus: Ein leichter Regen fällt! Das Bild auf einem Werbeplakat einer jungen Frau mit Schnorchel scheint mir grad passend. Schon nach wenigen Metern lasse ich die Industriezone und zahlreiche Baugespanne hinter mir und folge dem Wanderweg Richtung Katzensee.

Es regnet
Es regnet (Fotos: Adrian Michael)

Gleich darauf zeigen rechts mächtige mit Klingendraht versehene hohe Zäune, Scheinwerfern, Kameras und lange fensterlose Mauern, dass man hier nicht einmal daran denken sollte, näher zu treten: die Justizvollzugsanstalt Pöschwies. Gerne lasse ich sie hinter mir.

Regenpferde
Regenpferde

Beim Gut Katzensee stehen fünf traurige Pferde im Regen, stoisch lassen sie den Guss über sich ergehen. Eine Bananenpflanze in einem Garten will nicht so recht ins Bild passen.

Dann lasse ich das urbane Umfeld hinter mir, es wartet der Katzensee, den ich nach ein paar hundert Metern entlang der stark befahrenen Strasse erreiche. Bäume lassen stimmungsvoll ihre Äste ins graue Wasser hängen, im stetig fallenden Regen paddelt unbekümmert eine Schar Entchen über den See.

Äste und Enten
Äste und Enten

Bald ist das Rauschen der Strasse verstummt. Wo sonst Badefreudige hin und her spazieren, begegnet mir heute nur ab und zu ein Mensch mit seinem Hund. Rechts entdecke ich zu meinem Erstaunen eine aussergewöhnliche Bahnstation: Eine kleine Dampf-Gartenbahn dreht hier seit über 60 Jahren ihre Runden. Ein schwarzer Hund schaut hinter dem Häuschen hervor und tut seinen Unmut über meinen Besuch kläffend kund. 

Mini-Bahnhof beim Katzensee
Mini-Bahnhof beim Katzensee

Ein angenehmes Gehen ist es auf dem weichen Boden unter dem Blätterdach der mächtigen Laubbäume, unablässig begleitet vom Klopfen der Tropfen auf Schirm, Büsche und Äste, zur Linken immer der graue See. In der Badeanstalt wird nicht gesünnelet, sondern gearbeitet, auf den Liegewiesen stehen Autos von Handwerkern. Hunde und Velos seien in der Badi im Fall nicht erlaubt, verkündet eine Tafel.

Dann wechselt die Szenerie. Ich lasse die Bäume hinter mir, weite Felder tun sich auf. Rechts ragen die Wohnblöcke von Affoltern in den verhängten Himmel, geradeaus steht imposant ein Nussbaum am Horizont.

Nach dem Wald die Weite
Nach dem Wald die Weite

Über den Wolken dröhnt monoton das Summen der Motoren der startenden Flugzeuge, die der Sonne entgegen schweben. Regen durchdringt meine Jacke, aber nur an den Ellbogen. Er hat etwas nachgelassen und einem Nieseln Platz gemacht. Synchron fliegt ein grosser Schwarm Stare auf und lässt sich hundert Meter entfernt vom Wanderweg wieder nieder. 

Auffliegende Stare
Auffliegende Stare

Der Weg, auf dem sich das Regenwasser in grossen Gunten sammelt, führt mich dem oberen Katzensee entlang zum Weiler Seeholz. Hier endet die Seelandschaft und macht weiten Ackerflächen Platz, abgeernteten Maisfeldern, umgepflügten Feldern und Wiesenflächen.

Dem kleinen Katzensee entlang
Dem kleinen Katzensee entlang

Der Aufforderung beim Lindenhof, Kartoffeln selber ernten zu können, widerstehe ich tapfer, stattdessen erklimme ich einen mit Reben bewachsenen Hügel. Links lauert geduldig ein Silberreiher auf einen unvorsichtigen Wurm, ein Mäusebussard zieht seine Kreise. Die Obstbäume sind zumeist abgeerntet, aber neben einem Bauernhof liegen unzählige Nüsse, die in der Nacht heruntergeweht worden sind. Ein paar Kühe schauen, wie Kühe halt so schauen. Bei einem nicht abgeernteten Apfelbaum kann ich nicht widerstehen und greife zu. Kommt es mir nur so vor oder schmeckt der Apfel besser als vom Grossverteiler?

Reiher auf der Lauer
Reiher auf der Lauer
Kühe im Regen
Kühe im Regen

Auf dem Moränenhügel führt mich der Weg in den Wald, dem Tüfelsbüel entgegen; ich könnte mir gut vorstellen, dass sich hinter diesem Namen eine Sage verbirgt. Anzusehen ist dem Ort nichts Aufregendes, einfach Wald und Gebüsch. Nun geht’s ein Stück geradeaus durch einen schönen Laubmischwald. Weit und breit kein Mensch, einmal hüpft ein Reh über den Weg ins Dickicht.

Durch den Laubmischwald
Durch den Laubmischwald

Dann, fast wie ein Kulturschock, gelange ich aus der Waldesruhe in die angrenzende Gewerbezone von Oberhasli. Baustellen wechseln sich ab mit Parkhäusern, einen Recyclinghof gibt’s, eine Schlosserei, hunderte von Occasionsautos, auch ein Polizeiauto steht da. Ob man das einfach so kaufen und nachher damit wegfahren kann? Passenderweise heisst die Bushaltestelle Industrie. Der Anblick wird akustisch untermalt vom Dröhnen startender oder landender Flugzeuge.

Nachdem ich den Dorfrand von Niederhasli passiert habe, geht es, passend zum Motto meiner heutigen Wanderung, weiter über Feld und Flur dem kleinen Ort Nassenwil entgegen.

Nassenwil
Nassenwil

Der Regen hat praktisch aufgehört, die graue Wolkendecke hat sich etwas aufgehellt. Nun erspähe ich am Horizont erstmals auch das Ziel meiner heutigen Wanderung. Es ist – Überraschung! – das stolz auf einem Hügel thronende Dorf Regensberg. Alle paar Minuten donnert, startend oder landend, im Tiefflug eine Maschine über mich hinweg, der Begriff Fluglärm bekommt hier eine ganz andere Bedeutung.

Edelweiss-Flug nach Oslo
Edelweiss-Flug nach Oslo

Wenn jemand wirklich Fluglärm erleben möchte, sei ihm Gegend hier sehr empfohlen. Nassenwil lasse ich links liegen, mein nächstes Ziel ist die Erinnerungsstätte, die an den Absturz einer Crossair-Maschine vom 10. Januar 2000 erinnert, bei dem alle zehn Insassen ums Leben gekommen sind. Gleich nach dem Start ist das Flugzeug abgestürzt, Pilotenfehler. An einem hübsch gestalteten kleinen Plätzchen mit Sitzgelegenheiten aus grossen Steinen, umrahmt von schützendem Buschwerk, ist an einem grossen Stein eine Tafel mit den Namen der Verstorbenen eingelassen.

Gedenkstätte
Gedenkstätte

Unspektakulär geht es weiter, über ein Feld, einem Waldrand entlang. Unter einem Nussbaum liegen zahlreiche Nüsse, die in der Nacht heruntergeweht worden sind. Ich lasse mich nicht zweimal bitten und lange tüchtig zu. Dielsdorf streife ich am südlichen Ende, dann geht es nach einem Schlenker gegen Süden über Feldwege hinauf zum Weiler Burghof und dann geradewegs auf Regensberg zu, mit jedem Schritt rückt die imposante Häuserfront mit dem Turm näher.

Das Ziel: Regensberg
Das Ziel: Regensberg

Der Regen hat aufgehört, dafür ist ein kleiner fieser Westwind aufgetaucht, der mir aber dank meiner höchst klugen Kleiderwahl keine Sorge bereitet.

Dann, nach einem kurzen giftigen Anstieg, erreiche ich Regensberg. Mit einem gepflegten kleinen Mittagessen in einem der alten Gasthäuser wird es nichts, «Heute geschlossen». Jä nu. Auf einer Panoramatafel sehe ich, welch prächtiger Blick auf die Alpenkette mir entgeht. Jä nu.

Dann fährt schon bald der Bus, der mich zum Bahnhof Dielsdorf bringt. Eine spezielle, gute Wanderung war es, trotz oder wohl eher wegen des anfänglichen Dauerregens.

Das verpasste Panorama
Das verpasste Panorama

Anforderungen: 15,3 km, 368 Meter aufwärts, 211 Meter abwärts. 4 Stunden

Route: PDF von SchweizMobil

Adrian Michael hat 37 Jahre lang an der Zolliker Primarschule unterrichtet. Seit 2017 ist er pensioniert. Nebst der Zolliker Lokalgeschichte gehört auch das Wandern zu seinen Steckenpferden.

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