Eine Stadtwanderung, bunt wie eine Wundertüte

1 KOMMENTARE

Barbara Lukesch und René Staubli: «Unsere Wanderung führt vom Hegibachplatz zum Zolliker Gemeindehaus und ist nur 5 km lang. Aber was wir unterwegs erleben, ist eindrücklich und zeigt: Warum denn in die Ferne schweifen…» (1 Kommentar)

BARBARA LUKESCH UND RENE STAUBLI

Vom Hegibachplatz geht es auf der Drahtzugstrasse Richtung Botanischer Garten. Der Name Drahtzug erinnert an zwei Hammerschmieden, die sich in vorindustrieller Zeit am Wildbach niedergelassen hatten. Die Drähte stellten die Arbeiter her, indem sie glühende Eisen schmiedeten und durch immer dünnere Öffnungen aus Metall oder Stein zogen, bis der gewünschte Durchmesser erreicht war. Im Mittelalter machte man das noch mit Muskelkraft, später mit speziellen Zugmaschinen.

Unmittelbar nach der Brücke stossen wir auf die erste Naturoase des Tages. Auf einem ehemaligen Gärtnereiareal summen Wildbienen, wachsen seltene Blumen, und wer Glück hat, entdeckt zwischen den Steinen und an den Tümpeln Amphibien, Reptilien und Heuschrecken. Laut Schautafel handelt sich hier um «nährstoffarme Pionierlebensräume».

Karger Untergrund voller Leben (Fotos: ZN)
Karger Untergrund voller Leben (Fotos: ZN)

Nach einer kurzen Steigung erreichen wir den Botanischen Garten. Mitten in der Stadt stossen wir hier auf eine Oase der Ruhe mit einem schönen Teich, quakenden Fröschen, sogar eine Libelle lässt sich blicken, was heutzutage selten ist.

Oase der Ruhe mit einem schönen Teich
Oase der Ruhe mit einem schönen Teich

Unser Blick fällt auf drei grosse Kuppeln. Es sind sogenannte Schauhäuser. Darin untergebracht sind ein Trockengebiet, ein Tiefland-Regenwald und ein tropischer Regenwald. Tiefland-Regenwälder gelten als «grüne Höllen», weil die Pflanzen im feuchtheissen Klima besonders schnell wachsen und erbittert um Platz und Licht kämpfen müssen. 1976/77 auf einer Fläche von rund 1000 Quadratmetern aus Alurohren und Plexiglas errichtet, stehen die drei «Tautropfen», wie manche sie nennen, seit 2015 unter Denkmalschutz.

Denkmalgeschützte «Tautropfen»
Denkmalgeschützte «Tautropfen»

Im Inneren erfreuen uns Gewächse mit fantasievollen Namen wie «Scharlachroter Zylinderputzer» oder «roter Katzenschwanz». Einen runderen Kaktus haben wir noch nie gesehen. Über uns hängen goldgelbe Kakaofrüchte, welche die Mayas und Inkas als «Geschenk der Götter» betrachteten. Die Samen verwendeten sie als Aphrodisiakum, Heil- und Zahlungsmittel. Wir erfahren, dass Kakao gegen Herz-Kreislauferkrankungen hilft und Schutz vor ultravioletten Strahlen bietet. Die Samen werden fermentiert und geröstet, um schliesslich pulverisiert als Kakaopulver in den Handel zu gelangen.

Scharlachroter Zylinderputzer
Scharlachroter Zylinderputzer
Runder Kaktus
Runder Kaktus
Kakao, Geschenk der Götter
Kakao, Geschenk der Götter

In einem der drei Schauhäuser hat sich seit zwei Jahren eine Amsel eingenistet. Sie sitzt bei unserem Besuch ganz oben neben einem Entlüftungsfenster. Eine Tafel erklärt uns, dass sie ihr Revier gegen andere Amseln verteidigt. Das könne «so aussehen, als ob sie gegen die Scheibe fliegt und raus möchte, dem ist aber nicht so». Sie fliege bei geöffneter Lüftung immer wieder mal ins Freie, finde aber auch am Gewächshausboden zwischen den Blättern genug Nahrung.

Als einzige Besucher machen wir uns einen Spass daraus, mit der Amsel zu kommunizieren. Sie pfeift, wie pfeifen die Melodie nach – ein munteres Hin und Her. Anschliessend sind wir überzeugt, dass wir uns gut verstanden haben.

Schöner, wilder Spaziergang

Nach einem kurzen Rundgang durch die Parklandschaft verlassen wir den Botanischen Garten und folgen dem Burgweg, der bald in die Weineggstrasse mündet. Unten am Bach sehen wir ein altes Fabrikgebäude. Es beherbergt den «Verein Werkstätte Drahtzug», der vor 100 Jahren zur «Hülfe für ältere Arbeitsfähige Zürich» gegründet wurde und sich inzwischen für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung engagiert. Er bietet ihnen Arbeits- und Ausbildungsplätze, eine Tagesstruktur und ein betreutes Zuhause.

Bald treffen wir auf den Quartierhof Wynegg, ebenfalls eine gemeinnützige Einrichtung. Die Mitglieder führen hier mitten in der Stadt einen Bauernhof. Man darf auf Wegen über die Felder gehen und schauen, was alles wächst. Auch die Leute von «Pura Verdura» sind zu Werke, über die wir kürzlich berichtet haben.

Der kurze Streifzug endet auf der Kartausstrasse. Wir halten links, schlüpfen in einen verborgenen Spazierweg, der uns Richtung Lenggstrasse führt, und besteigen den dicht bewaldeten Burghölzli-Hügel. Der ist durchsetzt mit abenteuerlichen Wegen aus Natursteinen. Oben bietet sich durch die Bäume ein schöner Blick auf den Zürichsee. Nach wenigen Metern erreichen wir die Aussichtsbänkli beim bunten Pavillon. Hier machen wir Rast und geniessen die Mai-Sonne.

Pavillon auf dem Burghölzli-Hügel
Pavillon auf dem Burghölzli-Hügel

Gut erholt geht es bergab zur Psychiatrischen Universitätsklinik, die in einem grosszügigen Park liegt. Uns fällt ein hoher, dünner Turm auf, dessen Funktion wir uns nicht erklären können. Die Medienabteilung der Klinik hilft uns auf die Sprünge: «Der Turm oder besser, der Kamin, dient der Abluft der Wärmeerzeugungsanlage. Er ist ca. 30 m hoch, und mutige und schwindelfreie Mitarbeiter gehen jeweils zur Adventszeit hoch, um einen Weihnachtsstern am Kamin an- und zum Strahlen zu bringen.»

Der Kamin, zur Adventszeit mit einem strahlenden Stern
Der Kamin, zur Adventszeit mit einem strahlenden Stern

Für die PatientInnen muss dieser weitläufige Park trotz aller Leiden ein schöner, beruhigender Ort sein. Auf den Wiesen weiden schwarze Schafe mit vielen Lämmern. Beim nahen Teich müssen wir ein wenig Geduld aufbringen, um die gut getarnten Frösche zu entdecken.

Schafe im PUK-Garten
Schafe im PUK-Garten
Wer entdeckt den Frosch?
Wer entdeckt den Frosch?

Nun folgt der Architektur-Abschnitt unserer kleinen Wanderung. Von alt zu neu: die altehrwürdige psychiatrische Universitätsklinik Burghölzli mit ihren strengen Linien wurde in den Jahren 1865 bis 1869 gebaut und am 4. Juli 1870 als «Irrenheilanstalt Burghölzli» eröffnet. Wir haben seither nicht nur medizinische Fortschritte gemacht, sondern auch sprachliche.

Nur ein paar Dutzend Meter weiter steht der imposante und gleichwohl «weiche» Rundbau der Basler Architekten Herzog & de Meuron. Er beherbergt Forschung & Lehre des Uni-Kinderspitals. Wir wagen einen Blick ins Innere und sind beeindruckt. Geschwungene Formen überall – sehr gelungen!

Forschungszentrum des Kispi von Herzog & de Meuron
Forschungszentrum des Kispi von Herzog & de Meuron
Tolle Architektur: Blick ins Innere
Tolle Architektur: Blick ins Innere

Schräg gegenüber kommen wir am neuen Kinderspital vorbei, ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfen. Naturhölzer verkleiden hier den Beton, der riesige Bau ist umgeben von Wildblumenwiesen, durchsetzt mit rotem Mohn. Die Ambulanz vor der Notaufnahme passt farblich gut ins Bild.

Natürliche Umgebung beim neuen Kispi
Natürliche Umgebung beim neuen Kispi

Vom Kispi ist es nur ein Katzensprung zur EPI-Klinik. Nach der Natur und der Architektur stehen nun die Tiere im Mittelpunkt. Wir begegnen einem Therapiepferd, auf dem ein vergnügtes kleines Kind geschaukelt wird, begleitet von drei Pflegenden. Vor dem Stall warten weitere Vierbeiner auf ihre Einsätze und beäugen uns aufmerksam. Fantastisch der Blick über den Zürichsee. Wir setzen uns auf ein Bänkli unter einen Baum und gönnen uns eine weitere Pause.

Ein Therapiepferd der EPI-Klinik
Ein Therapiepferd der EPI-Klinik
Schöne Aussicht auf den Zürichsee
Schöne Aussicht auf den Zürichsee

Zum Schluss wartet ein tierisches Vergnügen. Der Eber Fredi frisst gemächlich auf einer grossen Wiese. Auf einer Schautafel wendet er sich direkt ans Publikum: «Ja, ich bin schon ziemlich in die Jahre gekommen. Ich sehe fast nichts mehr. Meine Lunge ist auch nicht mehr die beste – was Ihr vor allem hört, wenn ich im Schlaf schnarche, als müsste ich den Urwald von Argentinien roden. Mein Geruchsinn und mein Gehör sind aber noch 1A, und meine Beine tragen mich jeden Tag noch über das ganze mir zur Verfügung stehende Gelände.» Gut zu wissen.

Im Gehege neben Fredi grunzen Perla, Claudine, Viktor und Anna zufrieden vor sich hin, alle vier sehr schöne, gefleckte Borstenschweine. Es ist vergnüglich, ihnen ein wenig zuzuschauen und zuzuhören:

An den Fussball- und Tennisplätzen vorbei geht es schliesslich Richtung Gemeindehaus. Während wir auf den Bus warten, kommt uns ein geflügeltes Wort in den Sinn: «Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?»

Anforderungen: 5 km, 121 Meter aufwärts, 84 Meter abwärts, 2 Stunden

Route: PDF von SchweizMobil

1 KOMMENTAR

Toller Vorschlag, wird bald nachgewandert, in der Zwischenzeit üb ich das Pfeifen einer Amsel.

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

eins × drei =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht