Harter Verdrängungskampf
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20. Mai 2025 – Am Bahnhof Stadelhofen konkurrieren auf engstem Raum drei gynäkologische Gruppenpraxen, alle mit Zolliker Bezug: die Frauen-Permanence, die Ladies Permanence und neuerdings Gynéviva. Experten sprechen von einem «Gesundheitsmodell der Zukunft». (1 Kommentar)
20. Mai 2025 – Am Bahnhof Stadelhofen konkurrieren auf engstem Raum drei gynäkologische Gruppenpraxen, alle mit Zolliker Bezug: die Frauen-Permanence, die Ladies Permanence und neuerdings Gynéviva. Experten sprechen von einem «Gesundheitsmodell der Zukunft».

VON BARBARA LUKESCH
Wer regelmässig am Bahnhof Stadelhofen unterwegs ist, kann die beiden grossen Werbetafeln am Eingang zum Haus Goethestrasse 24 nicht übersehen, mit denen die Frauen-Permanence und Gynéviva neue Kundinnen anlocken. Schräg gegenüber, im Haus Gottfried-Keller-Str. 7, buhlt die Ladies Permanence um dieselbe Klientel: Frauen, die eine gynäkologische Behandlung oder Unterstützung während Schwangerschaft und rund um die Geburt wünschen.
Alle drei Gruppenpraxen bieten ihre Hilfe 365 Tage im Jahr an, gerne auch ohne Voranmeldung – das Modell nennt sich «Walk-In». Zählt man die Ärztinnen und Ärzte zusammen, die gemäss den Websites an diesen drei Orten praktizieren, kommt man auf über 30. Man wundert sich über die Ballung von so viel Fachkraft an einem Ort, ja, sogar im selben Haus, und fragt sich, wie diese Situation entstanden und wie sinnvoll sie ist.
Aufschlussreicher Praxistest
Vor gut zehn Jahren gründete das Spital Zollikerberg an der Trichtenhauser Strasse die Kinder-Permanence und machte damit gute Erfahrungen. Die Eltern sprachen von Anfang an ausgesprochen positiv auf das niederschwellige Hilfsangebot an.
Das animierte die Leitung der Frauenklinik, über Nachfolgemodelle nachzudenken. Um die Versorgungslage besser einschätzen zu können, nahmen Mitarbeiterinnen des Spitals zu zahlreichen gynäkologischen Praxen Kontakt auf und fragten, wann sie frühestmöglich einen Termin bekommen könnten. Das Ergebnis war frappierend: Keine hätte am selben Tag in die Sprechstunde kommen können, viele hätten mehrere Wochen warten müssen, mehrere erfuhren, dass überhaupt keine neuen Patientinnen angenommen würden.
Damit war klar, was zu tun war: Das Spital Zollikerberg gründete die schweizweit erste Frauen-Permanence. Der langjährige Chefarzt und Leiter der Frauenklinik Eduard Vlajkovic übernahm die Projektleitung; die Zolliker Frauenärztin Susanne Baer Altorfer unterstützte ihn beim Aufbau und der Rekrutierung des Teams. Als sich die Möglichkeit ergab, Praxisräume am Bahnhof Stadelhofen zu mieten, einem Hotspot mit Tausenden Passantinnen pro Tag, war die Erfolgsgeschichte schon fast perfekt.
Jetzt brauchte es noch Ärztinnen. Schnell stellte sich heraus, dass zahlreiche Gynäkologinnen und einige Kollegen, darunter ein beachtlicher Teil bereits pensioniert, grosses Interesse an Teilzeit- und ausgesprochen niederprozentigen Anstellungen hatten. So konnte man im Oktober 2015 mit zwei Sprechzimmern starten und erlebte innert Kürze «einen Riesenboom», so Eduard Vlajkovic, «die Patientinnen standen Schlange». Eineinhalb Jahre später ergänzte ein drittes Sprechzimmer das Angebot.
Exodus und Neugründung
2020 kam es zu Konflikten zwischen dem Team der Frauen-Permanence und der Spitaldirektion. 15 der 16 Ärztinnen kündigten und wechselten unter der Leitung von Susanne Baer Altorfer in die neugegründete Ladies Permanence schräg gegenüber an der Gottfried-Keller-Strasse 7. Als Einzige blieb Nadia Pauli, die ärztliche Leiterin der Frauen-Permanence.
Vlajkovic ist überzeugt, dass es vor allem die besseren Gehälter gewesen seien, die nahezu alle Ärztinnen zum Gehen bewogen hätten. Er räumt aber auch ein, dass es dem Spital auf dem Berg nicht gelungen sei, seinem Satelliten in der Stadt mit genügend Wertschätzung zu begegnen. Susanne Baer Altorfer nickt: «Es fehlte uns tatsächlich an Anerkennung.» In vier Jahren sei die Direktorin «genau zweimal» an den Stadelhofer Platz gekommen und habe primär Beanstandungen geäussert. Dazu hätten sie die Entlassungen langjähriger Kolleginnen im Spital Zollikerberg derart vor den Kopf gestossen, dass es für sie eine Frage der Loyalität gewesen sei, selber auch zu gehen. Die Gehaltsfrage hingegen habe keine Rolle gespielt.
Unter der Leitung von Nadia Pauli füllte die Frauen-Permanence ihren Bestand an Ärztinnen und Ärzten unverzüglich neu auf. Damit praktizierten nun zwei «Walk-In»-Praxen für Frauen am Bahnhof Stadelhofen. Überraschenderweise florierten beide. «Die Jahre 2023 und 2024 verliefen sehr gut für uns», konstatiert Susanne Baer Altorfer. Die Anzahl Konsultationen hätten zugenommen. Dank Mund zu Mund-Propaganda sei die Gruppenpraxis immer bekannter geworden. Geholfen habe, dass die Frauen-Permanence mit ihren Patientinnen zusehends fixe Termine vereinbart habe, während die Ladies Permanence dem «Walk-In»-Konzept treu geblieben sei: durchgehender Betrieb von 7.30 Uhr bis 20 Uhr: «So sind wir aneinander vorbeigekommen.»
Die Dritte im Bunde
Im Oktober 2024 spitzte sich die Lage zu, als Gynéviva an derselben Adresse wie die Frauen-Permanence eine dritte Gruppenpraxis eröffnete – unter der Leitung von Nadia Pauli, die zuvor die ärztliche Leitung der Frauen-Permanence innegehabt hatte. Fragt man nach der Motivation für den Wechsel von Pauli, bleibt sie eine Antwort schuldig: «Dazu geben wir keine Auskunft».
Susanne Baer Altorfer schluckte angesichts der neuen Konkurrenz leer, Eduard Vlajkovic bezeichnet die Situation diplomatisch als «sehr speziell». Paulis Wechsel nimmt er gelassen zur Kenntnis: «Was will man tun? Bei uns gibt es nun mal kein Konkurrenzverbot für unsere Angestellten.»
Gynéviva ist ein Unternehmen der Uroviva-Gruppe. Bereits 2013 hatte Uroviva eine urologische Praxis am Bahnhof Stadelhofen eröffnet. Die Wahl dieses Standorts sei naheliegend gewesen, sagt Daniela Weilenmann, Leiterin Marketing und Kommunikation, weil sich neben der Urologie auch ein Zentrum für Männerheilkunde befinde. Auf Grund der zentralen Lage habe man sich zudem entschieden, dort auch eine Permanence für Frauen anzubieten.

Nun sind es also drei Permanencen, die am Hotspot Stadelhofen auf engstem Raum um Patientinnen werben. Ihre Netzwerke sind allerdings unterschiedlich gross und die finanziellen Mittel ungleich verteilt.
Das Spital setzt auf Calatrava
Hinter der Frauen-Permanence Zürich steht das Spital Zollikerberg. Vlajkovic sagt, man habe für jedes gynäkologische oder geburtshilfliche Problem eine Fachperson im Rücken und könne den Frauen das Knowhow des Spitals für Operationen und Geburten anbieten: «Neue Patientinnen für das Spital zu gewinnen, war von Anfang an ein strategisches Motiv unserer Permanence.» Etwas aus der Zeit gefallen mutet an, dass der interessierten Partientin auf der Website www.frauenpermanence.ch drei Ärzte, alles Männer, entgegenblicken. Vlajkovic sieht darin kein Problem: «Kompetenz hat kein Geschlecht.»
Im Verlauf des kommenden Jahres wird die Frauen-Permanence im neuen Calatrava-Gebäude direkt am Bahnhof Stadelhofen wesentlich grössere, teurere und repräsentativere Praxisräume beziehen. «Der neue Standort ist sehr teuer», räumt Vlajkovic ein, «jeder Quadratmeter muss produzieren und rentieren».
Unabhängig vom geplanten Standortwechsel wurden gezielte Werbemassnahmen umgesetzt. Wochenlang hingen Plakate der Frauen-Permanence in der Forchbahn. Am hochfrequentierten Gleis 3 erregte ein grosses, bewegtes Plakat Aufmerksamkeit. Parallel dazu wurde auch Werbung auf digitalen Plattformen wie Instagram und Facebook geschaltet. Tiktok sei in Abklärung, heisst es.
Gynéviva hat junge Frauen im Visier
Auch Gynéviva nutzt Social Media, um junge Frauen mit wichtigen Themen altersgerecht anzusprechen – etwa zu Verhütung, dem ersten Besuch bei der Gynäkologin oder Zyklusstörungen. Auf TikTok und Instagram informieren Gynäkologinnen der Praxis in kurzen Videos über häufig gestellte Fragen. So klärt Nadia Pauli Interessierte beispielweise darüber auf, dass es 20 verschiedene Möglichkeiten gibt, als Frau zum Orgasmus zu kommen.
Zur Eröffnung letzten Herbst setzte Gynéviva auf eine besondere Aktion: man verteilte 1500 Flyer mit einem kleinen Schoggiherzli. Die Resonanz sei positiv gewesen, sagt Daniela Weilenmann, die selber vor Ort war: «Es lief super». Viele Frauen hätten Interesse gezeigt, einige seien gerade auf der Suche nach einer neuen Gynäkologin gewesen, andere hätten den Flyer für ihre Töchter mitgenommen.
Verunsicherung bei der Ladies Permanence
Bei der Ladies Permanence sieht die Situation etwas anders aus. Seit November habe die Zahl der Patientinnen deutlich abgenommen, sagt Susanne Baer Altorfer, sie hätten mit Einbussen zu kämpfen: «Eine Entwicklung, die mich, aber auch alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verunsichert.»
Auf der Suche nach Massnahmen dagegen habe man natürlich auch versucht, die Werbe- und Marketinganstrengungen zu vergrössern. Man sei nun vermehrt auf Linkedin präsent und habe die niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen aus dem näheren Umfeld zu einem Apero eingeladen – in der Hoffnung, die schon erfreuliche Zusammenarbeit zu verstärken. Diese Praxen seien für sie wichtig, weil sie bei Ferien- oder Feiertagsabwesenheiten auf ihrem Telefonbeantworter auf die Ladies Permanence als Alternative verwiesen.
Zerstörerischer Verdrängungskampf?
Macht die Konzentration dreier Permanences für Frauen wirklich Sinn oder findet am Bahnhof Stadelhofen ein zerstörerischer Verdrängungswettkampf statt, der die Kosten im Gesundheitswesen hochtreibt?
Der renommierte Küsnachter Gesundheitsökonom Willy Oggier bezeichnet Permanencen als das «Modell der Zukunft». Es sei sinnvoll und vernünftig, wenn sich mehrere Ärztinnen und Ärzte in einer Gruppenpraxis zusammenschliessen. Man könne sich die Auslagen für teure medizinische Geräte teilen und die Dienstleistungen 365 Tage im Jahr anbieten. Weil sich die Medizin zunehmend feminisiere, was den Trend zu Teilzeitpensen automatisch verstärke, sei die Einzelpraxis zum Auslaufmodell geworden. «Wer», fragt Oggier, «soll denn noch allein all die Anforderungen stemmen, angefangen von der zeitlichen Präsenz bis hin zu den finanziellen Belastungen?»
Dass sich «Walk-In»-Modelle besonders grosser Beliebtheit erfreuten, entspreche den veränderten Lebensgewohnheiten von Städterinnen und Städtern: «Weil sie viel unterwegs oder auf Reisen sind, passt es ihnen gut, wenn sie abends oder auch am Wochenende just in time einen Arztbesuch erledigen können.» Wenn solche Praxen dann auch noch an Hotspots wie einem stark frequentierten Bahnhof liegen, befriedigten sie die Bedürfnisse der Kundschaft noch besser.
Er verstehe gut, dass sich am Stadelhofen gleich drei Gynäkologie-Gruppenpraxen niedergelassen hätten. Momentan laufe das zwar auf einen anspruchsvollen Konkurrenzkampf hinaus – «es werden kurzfristig wohl Überkapazitäten entstehen, die zu Mehrkosten führen». Betrachte er allerdings die Entwicklung des medizinischen Angebots in der Schweiz, rechne er bis spätestens 2040 eher mit einer Unterversorgung im Bereich Allgemein-, Kinder- und Frauenmedizin: «Dann werden wir einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten in diesen Bereichen haben.»
Oggier glaubt nicht, dass eine der drei Permanencen am Bahnhof Stadelhofen aufgeben müsse: «Die Schweiz ist bereit, die damit verbundenen Gesundheitskosten zu tragen.» Die Frage ist, ob alle drei Gruppenpraxen in der Lage sind, diese Durststrecke zu überdauern.
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Diese Praxen sind für Notfälle gut. Aber bei der langfristigen Begleitung, vor allem bei komplexen gynäkologischen und geburtshilflichen Fragestellungen, bevorzugen die Frauen dann eben die kleine, individuelle Praxis. Hier kennt man sie persönlich, und sie werden immer von der gleichen Ärztin, dem gleichen Arzt betreut. Da diese hohe Qualität auch zeitaufwändiger ist, entstehen auch längere Wartefristen, oder es muss ein Aufnahmestop ausgesprochen werden.