«Ich trete den Leuten auch mal auf die Füsse»

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2. Dezember 2025 – Sylvie Sieger (FDP) ist seit 20 Jahren Mitglied der Zolliker Behörden: zunächst als Schulpflegerin, dann als Rechnungsprüferin und seit 8 Jahren als Gemeinderätin. Welchen Blick hat sie als Finanzchefin auf den Zustand der Gemeinde? Und wie sieht ihre persönliche Bilanz aus?

Finanzvorsteherin Sylvie Sieger vor dem Gemeindehaus (Foto: ZN)
Finanzvorsteherin Sylvie Sieger vor dem Gemeindehaus (Foto: ZN)

INTERVIEW: RENE STAUBLI

Frau Sieger, zu Ihren Stärken zählen Sie gemäss Website der Zolliker FDP «das Anpacken auch von unangenehmen Angelegenheiten und Diskussionen». Könnten Sie uns ein Beispiel geben?

Da gibt es einen Klassiker: Die Wohnbau-Genossenschaften haben von der Gemeinde in den 1960er- und 1970er-Jahren Baurechte bekommen. Die Zinsen hat man seit 2011 nicht mehr angepasst. Kürzlich haben wir den Genossenschaften klar gemacht, dass eine Erhöhung überfällig ist. Solche Botschaften lösen bei den Betroffenen natürlich nicht nur Freude aus.

Mehr Freude bereitet der anhaltend tiefe Steuerfuss von 76 Prozent. An der Gemeindeversammlung vom 3. Dezember werden Sie wie gewohnt das Budget für das kommende Jahr vorstellen. Ist das für Sie eine Pflicht oder eine Kür?

Eine Pflicht ist das sicher nicht. Mir gefällt, dass ich den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zwei Mal im Jahr den Zustand der Gemeindefinanzen erklären kann. Dabei achte ich darauf, die Zahlen und Entwicklungen plausibel und ohne unverständliche Fremdwörter darzulegen.

Sie werden von einem «Aufwandüberschuss» von 6 Millionen Franken reden. Warum nennen Sie das Kind nicht beim Namen und sagen, die Rechnung schliesse mit einem Verlust von 6 Millionen ab?

Ich achte schon auch darauf, die gängigsten Fachbegriffe zu verwenden. Das mache ich aber nicht, um etwas zu verschleiern. Es ist einfach so, dass das Kind in der Fachsprache so heisst.

Sie sind seit 8 Jahren Zollikons Schatzmeisterin. Können Sie uns in einfachen Worten sagen, wie sich die Gemeindefinanzen unter Ihrer Regie entwickelt haben?

Als ich das Ressort 2018 übernahm, war die Gemeinde bei den Banken mit 50 Millionen Franken verschuldet. Man hat damals das Schulhaus Oescher und das Alters- und Pflegezentrum Blumenrain gebaut, was zusammen rund 100 Millionen Franken kostete. Wir wussten nicht, wie sich die Steuereinnahmen entwickeln. Kam dazu, dass wir auf Geheiss des Kantons neue Vorschriften zur Rechnungslegung übernehmen mussten. Obwohl da kein Geld floss, erhöhte sich die Nettoschuld der Gemeinde; zumindest auf dem Papier ging es uns noch einmal schlechter. Auf dem Tiefpunkt habe ich einmal gesagt: «Wir sind ja eine wandelnde Leiche.» Danach hatten wir aus finanzieller Sicht sehr gute Jahre, begünstigt durch sprudelnde Steuereinnahmen, hohe Grundstückgewinnsteuern und reduzierte Ausgaben infolge geringer Bautätigkeit.

Was würden Sie als Ihre persönliche Leistung in Anspruch nehmen?

Zwei Jahre nach meinem Amtsantritt habe ich das Sparpaket «Fit 2020» auf den Weg gebracht. Da haben mich im Gemeinderat und in der Verwaltung alle gehasst. Ich war relativ neu im Amt und habe allen dreingeredet: «Du musste jetzt sparen!» Oft hörte ich: «Der andere soll sparen, ich sicher nicht!» Ich bin einigen Leuten schon ein wenig auf die Füsse getreten, aber das hat mir nicht viel ausgemacht. Ich habe eine dicke Haut und erledige die Dinge wenn immer möglich mit ein bisschen Humor. In aller Regel kommt es dann gut. Anschliessend kann man mit mir auch noch in die Beiz.

Wie werden sich die Gemeindefinanzen Ihrer Meinung nach in den nächsten 8 Jahren entwickeln?

Wir haben in den letzten acht Jahren kein grosses Bauprojekt vollständig realisiert. Die Sanierung des Schwimmbads Fohrbach ist das erste ganz grosse Unterfangen seit langem. Mittlerweile stecken Projekte im Umfang von über 100 Millionen Franken in der Pipeline, und in diesem Betrag sind noch nicht einmal alle Wünsche enthalten. Die Abarbeitung dieses Investitionsstaus wird sich auf die künftigen Rechnungen auswirken; es wird sicher wieder strenger. Kommt dazu, dass wir heute noch nicht abschätzen können, wie sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf unsere Gemeinde auswirken werden.  

In den Unterlagen zuhanden der Gemeindeversammlung steht folgender Satz: «Der Finanzplan zeigt aber auch klar, dass es für zusätzliche freiwillige Ausgaben der Gemeinde keinen Platz hat. Es sei denn, Sparmassnahmen und/oder Steuererhöhungen würden anstehen.» Was verstehen Sie unter «zusätzlichen freiwilligen Ausgaben»?

Zum Beispiel die eineinhalb Millionen Franken, mit denen wir den Erhalt der Trichtenhausermühle als Restaurant mit Saal unterstützen. Das ist total freiwillig.

Es war der Volkswille…

Schon klar, aber eben: wenn man noch viele solche Wünsche hat, dann muss man andernorts sparen und/oder die Steuern erhöhen. Es ist meine Aufgabe als Finanzvorsteherin, diese Dinge anzusprechen und die Notwendigkeit solcher Ausgaben zu hinterfragen. Aber wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, eine Investition sei unbedingt nötig, dann müssen wir uns danach richten.

Haben Sie noch ein anderes Beispiel für «zusätzliche freiwillige Ausgaben»?

Was wollen wir uns leisten in Sachen Kultur? Sollen wir aus dem Ortsmuseum und der Villa Meier-Severini ein riesiges Kulturhaus machen? Wenn die Bevölkerung sagt: «Ja, das wollen wir, dafür zahlen wir», dann bewegen wir uns ganz klar im Bereich der freiwilligen Ausgaben.

Was meinen Sie zu dieser Idee: den Steuerfuss von 76 auf 79 Prozent anheben und mit dem Geld den Dorfplatz endlich menschenfreundlicher machen, die Alte Landstrasse in eine Wohnstrasse verwandeln und das Seeufer bei der Schifflände attraktiv gestalten?

Ich fände es toll, wir könnten das schaffen ohne die Erhöhung auf 79 Prozent (lacht). Ich bin bei Ihnen, dass man diese Orte aufwerten könnte. Der Dorfplatz ist ja tatsächlich nicht sehr attraktiv – ausser am Samstag, da blüht er wirklich auf. Es ist einfach schwierig, sich bei solchen Fragen über das Vorgehen zu einigen. In Basel hat man bei der Sanierung der Freie Strasse die Bäume und Bänkli vergessen. Jetzt haben sie das mit mobilen Elementen gelöst. Ich habe dem Gemeinderat ein Foto geschickt und die Frage gestellt: Wollen wir auf dem Dorfplatz auch so eine Übergangslösung, oder wollen wir es erst später und dafür richtig machen? Das ist Sache des Gesamtgemeinderats und noch nicht entschieden.

Wie stehen Sie zur Idee des Gemeindepräsidenten Sascha Ullmann, auf dem Beugi-Areal an bester Lage ein neues Gemeindehaus einzurichten?

Für mich heisst das Schlüsselwort DigiLex. So nennt der Kanton ein Projekt, das den durchgängig elektronischen Geschäftsverkehr innerhalb der Behörden und der Bevölkerung vorschreibt. Die Gemeinde wird über die nächsten Jahre deshalb immer digitaler werden müssen, und sie engagiert sich als Pilotgemeinde. Da stelle ich mir wirklich die Frage, ob es mitten im Dorf ein Gemeindehaus braucht oder nur eine gemütliche Anlaufstelle mit Sesseln, Mineralwasser und Kaffee, wo man sein Anliegen einer netten Person vortragen kann, die einem weiterhilft. Ich glaube ausserdem nicht unbedingt, dass ein Gemeindehaus im Zentrum das Dorf belebt.

Was hat für Sie angesichts des Steuersatzes von 76 Prozent Priorität: Sparmassnahmen oder Steuererhöhungen?

Unsere Strategie zielt darauf ab, den Steuersatz so zu regulieren, dass sich das Nettovermögen der Gemeinde zwischen minus 20 Millionen und plus 40 Millionen Franken einpendelt. Man muss permanent herausspüren, was nötig ist, was die Bevölkerung will, wie man das finanzieren kann und wo man bereit ist, zu sparen.

Wo würden Sie denn in erster Linie sparen, wenn die Steuereinnahmen zurückgehen?

Bei Investitionen, die im Luxusbereich liegen.

Was verstehen Sie unter «Luxusbereich»?

Wenn man auf dem Zollikerberg ein Betreuungshaus-Provisorium baut, das 7,5 Millionen kostet, befinden wir uns im Luxusbereich. So etwas wäre in finanzschwachen Gemeinden kaum realisierbar.

Das heisst, es geht Ihnen nicht um den ausgewiesenen Bedarf, sondern um die Ausführung?

Genau. Eine derart teure Lösung führt in den Folgejahren auch zu höheren Aufwendungen, weil man ein Provisorium über sehr viel kürzere Zeit abschreiben muss als ein normales Gebäude. Das spürt man dann in der Erfolgsrechnung.

Gehören die neuen Sportgeräte auf der Buechholz-Anlage ebenfalls in den Luxusbereich?

Jetzt haben wir es uns ja leisten können, und die Bevölkerung hat grossen Spass daran. Die Anlage kommt Jung und Alt zugute. Ich würde das jetzt nicht als Luxus bezeichnen. Aber ich finde beispielsweise das Wasserspiel zwischen dem Oescher-Schulhaus und dem Betreuungshaus völlig unnötig. Die Zolliker Kinder haben (sie zeigt Richtung See) einen so grossen Tümpel; die Schüler und Schülerinnnen brauchen auf dem Pausenplatz kein Wasserspiel. Das ist für mich klarer Luxus.  Zudem sind die damit verbundenen Unterhaltskosten solcher Extravaganzen meist sehr hoch.

Wenn man die Vermögenssituation der Gemeinde betrachtet, so befinden wir uns derzeit auf dem Gipfel. Das Nettovermögen ist auf 108 Millionen Franken angewachsen, der Steuerfuss ist mit 76 Prozent tief. Das wäre doch ein idealer Zeitpunkt, als Finanzvorsteherin zurückzutreten, finden Sie nicht auch?

Eigentlich wäre das ja auch mein Plan gewesen. Acht Jahre als Finanzvorsteherin sind ja irgendwie auch genug. Aber ich kandidiere nochmals für eine Amtperiode; dann ist Schluss.

Offensichtlich haben Sie den Wunsch verspürt, zu neuen Ufern aufzubrechen. Sie haben bei der FDP-Ortspartei Ihr Interesse an einer Kandidatur für das Gemeindepräsidium angemeldet. Was hat Sie dazu bewogen?

Zum einen sicher das Gefühl, dass ich bei der Finanzabteilung in den letzten acht Jahren ein wenig aufgeräumt habe; das Notwendige scheint mir erledigt. Zum andern bin ich gut im Dorf verankert, was sicher ein Vorteil ist. Und ich bin eine Frau, das wäre auch nicht schlecht gewesen. Also habe ich mich bei der Partei gemeldet. Als sich dann auch Patrick Dümmler um die Kandidatur bemühte, war klar, dass die Partei entscheiden muss – beziehungsweise darf –, wen sie ins Rennen schickt. Ich meine, die Wahl zu haben, ist ja eigentlich sehr komfortabel für eine Partei.

Die Mitglieder der FDP haben sich dann mit einem Stimmenverhältnis von 2:1 für Dümmler entschieden. Was hat er, was Sie nicht haben?

Er hat eine wahnsinnig gute Auftrittspräsenz. Man glaubt ihm, man hat Vertrauen. Er ist eine sichere, etwas weniger nervöse Figur als ich, der man gerne folgt.

Ein zentraler Punkt in Ihrer Bewerbung war offenbar das Thema «Investitionsstau». Seit Jahren plant die Gemeinde Projekte, die sie dann nicht oder nur mit Verspätung umsetzt. Wo liegt das Problem, und wie könnte man es besser machen?

Der tragische Tod des Abteilungsleiters Liegenschaften Pierfrancesco Zanellas im Januar führte zu einer langen Vakanz. Das Fohrbach-Projekt hat intern sicher auch sehr viele Ressourcen gebunden. Manchenorts fehlt es aber auch ein bisschen an der sorgfältigen Planung und dem Zusammenspiel von Politik und Verwaltung…

…etwa bei der Sportanlage Buechholz, wo erst während der Bauarbeiten klar wurde, dass man eine Entwässerung vergessen hatte…

… oder beim Abbruch des Projektwettbewerbs zur Erweiterung der Schule Buechholz. Da hat es schon an der nötigen Sorgfalt gefehlt.

Inzwischen haben Sie 20 Jahre Behördenerfahrung in der Schulpflege, der Rechnungsprüfungs-Kommission und dem Gemeinderat, für den Sie im März 2026 erneut kandidieren. Was reizt Sie am öffentlichen Dienst?

Ich kann im eigenen Dorf arbeiten und muss als gewählte Exekutivpolitikerin keine Angst haben, plötzlich die Stelle zu verlieren. Mich reizt die Komplexität der Aufgabe in einem Gremium, wo nicht alle gleicher Meinung sind – mit einer Bevölkerung und einer Verwaltung, die unterschiedliche Wünsche und Interessen haben. Der Spagat ist zuweilen enorm, aber das finde ich total spannend – ich mag Knacknüsse.

Sie sind Juristin, beschäftigen sich aber hauptberuflich mit Immobilien. Wenn Patrick Dümmler zum Gemeindepräsidenten gewählt werden sollte, würde sein Liegenschaften-Ressort frei. Das würde auch aus fachlicher Sicht zu Ihnen passen. Hätten Sie Interesse?

Ich warte jetzt einmal die Wahlen ab, schaue, wer in den Gemeinderat kommt, und entscheide das dann nachher.

Personen, die Ihnen nahestehen, sagen, sie seien «sehr seriös» und «eine echte, rechtsliberale FDP-Frau». In welche Richtung sollte sich Ihrer Meinung nach die Gemeinde längerfristig entwickeln?

Wir müssen uns Gedanken machen, was wir an Wohnbauten wollen, in welcher Dichte, was für Schulhäuser, was für Freizeit- und Begegnungsorte? Wen will man anziehen: Alte, Familien, und soll es auch Platz für Studenten geben, wenn der Nutzungsvertrag im Beugi dereinst endet? Diese Planung ist sehr wichtig. Wir müssen es so hinbekommen, dass es für die nächsten Generationen passt.

Macht die Gemeinde diesbezüglich zu wenig?

Dass Zollikon in Sachen Planung 40 Jahre lang fast nichts gemacht hat, spürt man jetzt.

Sylvie Sieger (Jg. 1966, zwei Kinder im Alter von 27 und 24 Jahren) hat in Basel Jus studiert und 1991 abgeschlossen. Sie lebt seit 25 Jahren in Zollikon, wo sie die eigene Familien-Immobilienfirma leitet. Seit Oktober ist sie zudem bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little als Senior Executive Consultant beschäftigt. Sie war Mitglied der Schulpflege (2006 – 2014) und der Rechnungsprüfungs-Kommission (2014 – 2018). Als Gemeinderätin steht sie seit 2018 der Finanzabteilung vor.

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Sylvie Sieger (Jg. 1966, zwei Kinder im Alter von 27 und 24 Jahren) hat in Basel Jus studiert und 1991 abgeschlossen. Sie lebt seit 25 Jahren in Zollikon, wo sie die eigene Familien-Immobilienfirma leitet. Seit Oktober ist sie zudem bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little als Senior Executive Consultant beschäftigt. Sie war Mitglied der Schulpflege (2006 – 2014) und der Rechnungsprüfungs-Kommission (2014 – 2018). Als Gemeinderätin steht sie seit 2018 der Finanzabteilung vor.

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