Immer auf Achse

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11. Dezember 2025 – Daniela Baldo hat viel Lehrgeld als Angestellte in verschiedenen Coiffeur-Salons gezahlt. Dann beschloss die 54-jährige Zollikerin, sich selbständig zu machen und zu den Leuten nach Hause zu gehen. Ihr Weg war lang und beschwerlich, aber das Ergebnis zeigt: er hat sich gelohnt.

Daniela Baldo (Foto: ZN)
Daniela Baldo (Foto: ZN)

VON BARBARA LUKESCH

Es gibt Menschen, die ziehen einen Hausbesuch ihrer Coiffeuse jedem noch so schicken Salon vor. Die einen, weil sie es praktischer finden, im eigenen Wohnzimmer oder auch im Büro frisiert zu werden und sich damit die Fahrzeit sparen zu können. Andere, weil sie die Atmosphäre in einem Salon nicht mögen: zu intensive Gerüche nach Parfüm und Haarspray, zu viel Gequatsche. Dritte, und das dürften die meisten sein, weil sie nicht mehr so gut zu Fuss oder gar bettlägerig sind.

Aus diesem Mix unterschiedlicher Bedürfnisse hat die 54-jährige Zollikerin Daniela Baldo ihr ganz individuelles Geschäftsmodell entwickelt. Sie fährt mit dem Auto zu ihren Kundinnen und Kunden. Das Auto muss sein, weil sie ausgerüstet ist mit einem Rollkoffer, der eigens für ihren Berufsstand erfunden wurde. So enthält er nicht nur Schere, Kämme, Bürste, Föhn, Nackenschutz, Frisierumhang, Shampoo, Festiger und all das, was es braucht, um das volle Programm einer Coiffeuse anzubieten. Darüber hinaus lässt sich der Koffer auch in einen Stuhl inklusive Ablagefläche umfunktionieren.

Lehre im Dorf

Wie kam Daniela Baldo auf die Idee, ihren Beruf auf diese spezielle Art auszuüben? Angefangen hat ihre Laufbahn auf absolut konventionelle Art. Sie machte bei Coiffure Schmid im Herzen von Zollikon ihre Lehre. Das Handwerk gefiel ihr, aber die Art, wie ihr Chef und ihre Chefin, ein Ehepaar, sie behandelten, passte ihr überhaupt nicht: «Ich mag es nicht, wenn man mich herumkommandiert.»

So nahm sie nach dem Lehrabschluss eine Stelle in Nürensdorf an. In der ländlichen Gemeinde zwischen Zürich und Winterthur kam sie als Untermieterin im Haus eines frisch geschiedenen Mannes unter. Sie fühlte sich dort zwar sehr wohl, doch innert Kürze machten Gerüchte die Runde, die sie bis an ihren Arbeitsplatz verfolgten: Die hübsche zwanzigjährige Coiffeuse sei die neue Geliebte des Mannes. Sie kündigte umgehend. Solche Lügen liess sie sich nicht gefallen.

Zurück in Zollikon fand sie eine Stelle, die ihr entsprach und der sie zehn Jahre lang die Treue hielt. Bei «Carlo», dem Coiffeur, der seinen Salon im Erdgeschoss des Coop-Gebäudes hatte, fand sie endlich einen Chef, der sie wertschätzte und ihr in seiner Ferienabwesenheit auch die volle Verantwortung für das Geschäft übertrug. Als er wieder zurückkam, behauptete er aus heiterem Himmel, sie habe ihn um 123 Franken betrogen. Sie war so geschockt, dass sie sofort kündigte. Der Chef bedrängte sie, zu bleiben, doch das war undenkbar für sie: «Ich konnte nicht länger mit jemandem zusammenarbeiten, der mir derart misstraut.»

Noteinsatz in Winterthur

Daniela Baldo zog weiter. Diesmal heuerte sie in einem Salon in Winterthur an und wurde Geschäftsführerin, nachdem die bisherige Chefin nach einem psychischen Zusammenbruch in eine Klinik eingewiesen worden war. Plötzlich musste sie 5 Mitarbeitende führen und 3 Lehrlinge betreuen. Sie hatte zwar weder Führungserfahrung noch den nötigen Abschluss als Lehrmeisterin, aber das Amt für Berufsbildung liess sie angesichts dieses Notfalls gewähren. Sie kniete sich in die neue Aufgabe hinein. Als das Geschäft, das längst heruntergewirtschaftet war, geschlossen werden musste, arbeitete sie ohne Lohn weiter, um ihren Lehrtöchtern die Zukunft nicht zu verbauen. Den Lohnausfall musste sie vor Gericht einfordern.

Im Anschluss daran wechselte sie in einen Salon in Zumikon. Von dieser Zeit sagt sie nur: «Es war megaschlimm.» Die Chefin habe sie wie eine Handlangerin behandelt: «Tausend Forderungen, aber kein Entgegenkommen beim kleinsten Wunsch von mir.»

Diese ernüchternde Erfahrung war eine zu viel. Sie sei eine Person, die sich gern auf andere Leute und deren Bedürfnisse einstelle, das sei eine Voraussetzung, um als Coiffeuse Erfolg zu haben: «Aber ich bestehe darauf, umgekehrt auch respektvoll behandelt zu werden.»

Plötzlich war die Idee da

Die Krise ging tief. «Will ich das überhaupt noch?» habe sie sich gefragt. Vielleicht würde es mir besser gefallen, als Rezeptionistin in einem Hotel oder Restaurant zu arbeiten. Doch dazu fehlte ihr das nötige Knowhow am Computer. Sie überlegte hin und her und landete immer wieder am selben Punkt: «Eigentlich liebe ich ja meinen Beruf.» Sie müsste nur einen Rahmen finden, in dem sie ihren Frieden hatte. Plötzlich war die Idee da. «Ich gehe zu den Leuten nach Hause.» Das erfordere keine Wahnsinns-Investitionen, dazu sei sie ihre eigene Chefin und könne ihren Alltag so gestalten, dass er eines Tages auch mit Kindern vereinbar sei. Denn dass sie Mutter werden wollte, war für sie immer schon klar.

Verschiedene Glücksfälle spielten ihr damals in die Hände: ein Shampoo-Vertreter erzählte ihr, dass das Altersheim Riesbach gegenüber dem Balgrist eine Coiffeuse für einen Tag suche. Sofort sagte sie zu, um sich so etwas wie einen finanziellen Sockel zu sichern. Als sie dann noch die Anfrage bekam, als Stewardess auf den City Night Linern nach Hamburg, Berlin oder Dresden an den Wochenenden Dienst zu machen, war sie Feuer und Flamme. Sie war damals 30 Jahre alt, Single und damit flexibel und schuf sich mit diesem Job die Freiheit, in Ruhe ihr Angebot als «fahrende Coiffeuse» aufzubauen.

Ein kleines Inserat brachte den Durchbruch

Im «Zolliker Boten» platzierte sie ein winziges Inserat, das vor allem eine Reaktion auslöste: Ein Journalist vom «Küsnachter» wollte sie porträtieren. Der Artikel prangte schliesslich auf der Front des Lokalblattes für die Gemeinden Küsnacht, Zumikon, Erlenbach und den Zollikerberg und machte sie auf einen Schlag bekannt: «Das war der Durchbruch», erinnert sie sich. Von dem Moment an habe sie «null Werbung» mehr gemacht. Mund zu Mund-Propaganda habe ihr ständig neue Kundinnen und Kunden zugeführt.

So fing alles vor 25 Jahren an: Hausbesuch mit Waschbecken unter dem Arm (Foto: zVg)
So fing alles vor 25 Jahren an: Hausbesuch mit Waschbecken unter dem Arm (Foto: zVg)

Das sind viele alte Menschen, denen der Gang in den Coiffeursalon zu beschwerlich ist. Gern gesehen ist sie aber auch bei Familien, wo sie nicht nur die Frau und Mutter frisiert, sondern auch deren Kinder, die es lieben, dass sie daheimbleiben und spielen können, bis die Coiffeuse sie schliesslich drannimmt. Im Laufe der Zeit habe sich oft auch der Ehemann bei ihr angemeldet, was sie dazu zwang, eher gegen Abend an dieser Adresse aufzukreuzen, wenn der Mann von der Arbeit nach Hause kam.

Beliebt ist auch, dass sich Daniela Baldo strikt an die Wünsche ihrer Kundschaft hält. Wer sich die Haare schon im Vorfeld waschen will, kann das genauso tun wie jene, die am liebsten selber den Föhn in die Hand nehmen.

Reiche pochten auf tiefe Preise

Ein grosses Thema sei für sie am Anfang die Festlegung der Preise gewesen. Ihre Dienstleistungen sollten für alle zahlbar sein, doch nach kurzer Zeit merkte sie, dass ihre Gutmütigkeit immer wieder ausgenutzt wurde. So erfuhr sie wiederholt, dass sehr reiche Leute auf besonders tiefe Preise pochten, «obwohl ich das Geld unter Garantie dringender gebraucht habe als sie». Heute verlangt sie beispielsweise für Waschen, Schneiden, Föhnen zwischen 85 und 95 Franken, je nach Aufwand und Dauer.

Im Laufe der Jahre hat sie sich eine treue Stammkundschaft aufgebaut, darunter auch eine Frau, die seit Anbeginn vor 25 Jahren auf ihre Dienste zählt. Es hat sich herumgesprochen, dass sie ein besonderes Händchen für alte und sehr alte Menschen hat. So frisiert sie immer wieder auch Kundinnen, die bettlägerig sind und trotzdem noch grossen Wert auf ein gepflegtes Äusseres legen.

Eines Tages habe sie den Anruf einer Angehörigen bekommen, die sie fragte, ob sie auch einem sehr gebrechlichen alten Mann nochmals die Haare schneide, er werde in drei Tagen mit Exit aus dem Leben scheiden. Warum denn nicht, sagte sie sich. Als er sie mit den Worten «Bis zum nächsten Mal» verabschiedete, sei es ihr allerdings kalt den Rücken heruntergelaufen.

Eher lustig sei die Begegnung mit einer alten Frau gewesen, die sich zum ersten Mal bei ihr meldete und um einen Hausbesuch bat. Die beiden hatten alles klargemacht, als Daniela Baldo realisierte, dass sie ja die Adresse dieser Neukundin noch gar nicht wusste. Auf ihre Frage kam die überraschende Antwort: «Keine Ahnung!» Sie sei erst seit kurzem in dieser neuen Wohnung. Die Coiffeuse liess sich beschreiben, was die Frau denn sehe, wenn sie aus dem Fenster schaue. Und siehe da! Sie wohnte am Brunnenbächli, keine drei Minuten von der Langwattstrasse entfernt, wo Daniela Baldo ihr Daheim hat.

Das Engagement im Spital

Ja, und dann fand die fahrende Coiffeuse ihren Traummann, wurde Mutter dreier Töchter und trat etwas kürzer. Doch ziemlich schnell erwachte wieder der Wunsch nach verstärkter beruflicher Tätigkeit. Einmal mehr kam zum richtigen Zeitpunkt die richtige Anfrage: Das Spital Zollikerberg wünschte sich eine Coiffeuse für einen Tag in seinem hausinternen Salon. Sie sagte zu. Später dann trat das Pflegeheim Magnolia mit dem gleichen Ansinnen an sie heran. Sie baute sich einen neuen Kundenkreis auf, der vor allem aus den angrenzenden Alterswohnungen kommt.

Ihre Freude am Kontakt mit alten Menschen ist ungebrochen. Sie liebt es, ihre Lebensgeschichten zu hören und spürt gut, wie gern auch sie einmal über etwas anderes reden als ihre Krankheiten. Um sich noch besser auf die Bedürfnisse dieser Frauen und Männer einstellen zu können, hat sie einen Kurs in Sterbebegleitung besucht, wo sie viel über Hochaltrigkeit gelernt hat. Sie lacht: «Ich bin zwar keine Fachfrau in Altersfragen, komme aber mit meiner direkten Art gut mit meiner Kundschaft klar.»

An strengen Tagen nimmt sie bis zu zehn Termine wahr; oft aber sind es auch deutlich weniger. Früher habe sie alles gemacht für ihre Kunden, erzählt sie, heute denke sie mehr an sich und ihre Familie und halte sich die Wochenenden frei: «Es sei denn, eine Stammkundin hat einen wichtigen Anlass am Sonntag und möchte unbedingt, dass ich sie am Samstag frisiere.»

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