«Man hat mich sehr wohlwollend empfangen»

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17. April 2022 – Pascal Marquard hätte sich eine einfachere Gemeinde als Zollikon aussuchen können, denn die hiesige katholische Kirche hat von Konflikten geprägte Jahre hinter sich. Der neue Pfarrer mit seiner faszinierenden Lebensgeschichte scheint ihr gut zu tun.

Pfarrer Pascal Marquard
Pfarrer Pascal Marquard (Foto: rs)

Pascal Marquard trat sein Amt im August 2020 an. Er habe bei den Menschen «eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der eigenen Kirche» gespürt, sagt er. Gravierende personelle Probleme hatten in der Kirchgemeinde für Unruhe gesorgt. Inzwischen habe sich die Stimmung deutlich verbessert.

Marquards Aufgaben mit drei Kirchen und gut 4500 Katholikinnen und Katholiken sind vielfältig. Er hält drei Gottesdienste unter der Woche, je einen in jeder Kirche, und drei weitere am Samstagabend und Sonntagmorgen. Marquard nennt es «mein Grundprogramm».

In der Dreifaltigkeitskirche im Dorf macht er zusätzlich Taufen, in der Kirche St. Michael Zollikerberg die Erstkommunion der Acht- bis Neunjährigen, in der Kapelle Bruder Klaus in Zumikon die Firmung der 16-Jährigen und auf den Friedhöfen Zumikon, Zollikerberg und Zollikon die Bestattungen.

Dazu kommen alle zwei Monate ein Gottesdienst im Spital Zollikerberg, Besuche in Pflegheimen und Spitälern, Krankensalbungen, seelsorgerliche Gespräche, Familienbesuche; zuweilen erteilt er auch noch Religionsunterricht. Da reichen die 42 vertraglich festgelegten Arbeitsstunden pro Woche selten: «Die Belastung ist deutlich höher.»

Erschwerend wirkte sich aus, dass Zollikon im vergangenen Sommer 25% mehr Todesfälle zu beklagen hatte als üblich. Und nun noch der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Die Kirchen haben sich mit den Gemeindebehörden zusammengetan, um den Schutzsuchenden zu helfen und die Gastfamilien zu unterstützen: «Die seelsorgerliche Begleitung dieser Menschen ist eine wichtige Aufgabe, insbesondere von jenen, die Angehörige verloren haben oder im Ungewissen über ihr Schicksal waren oder noch immer sind.»

Marquard ist ein Pfarrer, der die Mitglieder seiner Kirchgemeinde gerne persönlich trifft. Die Antrittsbesuche in Zollikon, Zollikerberg und Zumikon seien sehr wichtig gewesen, sagt er. Er habe den Draht zu den Menschen gesucht und spüren können, «wo der Schuh drückt und welche Erwartungen sie mir gegenüber haben». Man habe ihn «sehr freundlich und wohlwollend empfangen». Am 30. Januar 2022 wurde der neue Pfarrer von Dekan Stefan Isenecker in der Dreifaltigkeitskirche offiziell ins Amt eingesetzt.

Früher Eintritt in den Orden

Pascal Marquard wurde am 1. Oktober 1975 in Zürich geboren. Er sei ein «Nachzüglerkind» gewesen und hätte sich noch mehr Geschwister gewünscht, um unter Gleichaltrigen sein zu können. In der Familie habe man keinen besonders engen Bezug zur Kirche gepflegt – «es gab manchmal ein Tischgebet, aber wir sind nicht jeden Sonntag zur Messe gegangen». An den Schultagen habe ihnen die Mutter jeweils ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet, verbunden mit einem Kuss und Ermahnungen.

Als Jüngling habe er sich für Sport interessiert, «vor allem Wintersport», aber auch fürs Klavier und andere Instrumente sowie für Reisen. Die Trennung von der Familie erfolgte schon früh mit dem Übertritt ins katholische Internat St. Michael in Zug, wo er zunächst die Sekundarschule besuchte und sich anschliessend zum Primarlehrer ausbilden liess. Nach zweijähriger Berufstätigkeit trat er mit 23 Jahren in den Franziskanerorden ein.

Wie kommt ein junger, breit interessierter Mann auf eine solche Idee? Er habe den Orden schon während des Lehrerseminars im Rahmen eines Sprachaufenthalts in Genua kennengelernt, erzählt Marquard: «Das hat mich fasziniert.» Für ihn sei «eine neue Welt aufgegangen, die ich nicht kannte». Es habe ihm gefallen, «Teil einer Gruppe von Menschen zu sein, auch Jüngeren, die gemeinschaftlich unterwegs sind, beten, einen alternativen Weg einschlagen und trotzdem modern und aufgeschlossen sind».

Es folgten zwei Probejahre in Flüeli-Ranft OW in der kleinen Lebensgemeinschaft der Franziskaner, die dort ein Haus, ein Kloster und nebendran eine Schule für verhaltensauffällige Jugendliche unterhalten. Marquard konnte dort auch als Lehrer arbeiten.

Danach wurde er Novize in Padua und begann sein Leben im Orden mit 27 Jahren. Man kleidete ihn in die Kutte ein, er bewegte sich fortan unter Brüdern. Ziemlich hart, wenn Gleichaltrige das Leben in vollen Zügen geniessen – hätte ihn das weltliche Dasein nicht auch gereizt?

«Man entscheidet sich im Leben immer für ein Mehr und nicht für ein Weniger», entgegnet Marquard. Er habe sich für ein «alternatives Mehr» entschieden, jenseits der materiellen Werte: «In die Tiefe kommen, sich mit Fragen beschäftigen, für die andere vielleicht keine Zeit haben, die mir aber Erfüllung bringen, ein Wachstum ermöglichen.»

Fragen welcher Art, erkundigt man sich. «Wie stehe ich zu Gott? Wie steht er zu mir? Welche Charismen hat der Ordensgründer Franziskus von Assisi gelebt, der sich als Sohn einer wohlhabenden Tuchhändlerfamilie umorientierte und als Armer unter Armen lebte? Was hat sein Leben ausgemacht?»

Der Pfarrer als Projektmanager

Es folgten: Studium der Theologie im Ausbildungshaus der Franziskaner in Würzburg, Deutschland. Abschluss an der dortigen staatlichen Universität und Umzug in die Schweiz ins Franziskanerkloster in Freiburg, wo ihn der Churer Bischof Amédée Grab am 13. September 2008 zum Priester weihte und er als Universitätsseel­sorger arbeitete.

Seine Interessen gingen bald über das priesterliche Engagement hinaus. Er war verantwortlich für die umfassenden Sanierungsarbeiten im rund 760-jährigen Kloster. Eine Vision für ein derart geschichtsträchtiges Haus an einer exponierten Lage in der Stadt Fribourg zu entwickeln und ihm ein neues Gesicht für die nächsten 50 Jahre zu geben, sei eine einmalige Chance gewesen.

Bei diesem Projekt hätten sich zentrale Fragen gestellt: Wie positioniert man ein Franziskanerkloster in der heutigen Zeit in einer urbanen, von der Universität geprägten Umgebung? Drei Aspekte seien entscheidend gewesen: Spiritualität (Gottesdienste), Karitatives (wie nähert man sich als Klostergemeinschaft den Bedürftigen der heutigen Zeit?) und Wissenschaft: Es galt, die alte Bibliothek komplett neu aufzustellen und der Öffentlichkeit den grossen Fundus an Kunst und Kunstgegenständen zugänglich zu machen. Kurzum: Das Kloster für die Menschen zu öffnen.

Steile Karriere in Fribourg

2013 wurde Marquard zum Guardian ernannt, zum Leiter des Konvents. Er hatte für die Gemeinschaft zu sorgen, die aus sieben Brüdern bestand. «Man kennt sich gut», sagt er, «trifft sich jeden Morgen in der Kapelle zum Gebet, erkennt, wie es jedem geht, es herrscht eine grosse Vertrautheit.»

Als Vorsteher habe er aber auch repräsentative Verpflichtungen gehabt. Das Kloster in Fribourg sei stark vernetzt mit der Politik: «Es gab regelmässige Essen mit dem gesamten Staatsrat plus Stadt- und Gerichtspräsident.» Fribourg sei voll mit Frauen- und Männerklöstern, zwischen denen zum Teil ein intensiver Austausch bestehe. Es habe ihm Freude gemacht, die mannigfaltigen Beziehungen zu pflegen, eingeladen zu werden und Einladungen auszusprechen. Allerdings habe er auch erlebt, «dass es mit der Zeit schwieriger wird, Konflikte zu bearbeiten und Spannungen auszuhalten».

Wohin hätte diese Karriere noch führen können? Ab 2017 war Marquard ausserhalb des Klosters Pfarrer in der Stadt Freiburg und als Bischofsvikar für Deutschfreiburg Stellvertreter des Bischofs und damit Anwärter für dessen Nachfolge. Aber er entschied sich für einen anderen Weg. Er wollte wieder näher bei seiner Familie sein. Seine Mutter wohnt in Stäfa, sein Bruder in der Stadt Zürich, die Schwester in Basel. Und es gibt noch mehrere Cousins und Cousinen. Sein Vater ist Ende 2018 gestorben.

In den eigenen vier Wänden

Marquard verliess Freiburg und kehrte dem Kloster den Rücken, aber nicht dem Orden. Er bat um «Exklaustration», die es einem Ordensmitglied erlaubt, ausserhalb der Klostermauern zu leben. Heute führt er im Zollikerberg seinen eigenen Haushalt und sagt, er schätze es, «nicht mehr für ein Haus mit 250 Zimmern zuständig zu sein». Er erlebe eine positive Herausforderung: «Ich koche gern, empfange im kleinen Kreis Gäste und mache bis aufs Hemden bügeln alles selber.»

Fehlt ihm das Klosterleben? Er denkt nach und sagt: «Das gemeinschaftliche Gebet unter vertrauten Brüdern von damals vermisse ich manchmal schon.» (rs)

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