Nicht schon wieder!
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24. November 2025 – «Wenn meine Tochter von ihrem Alltag als Gerichtsschreiberin erzählt, fühle ich mich oft in meine eigene Vergangenheit zurückversetzt. Die subtilen, scheinbar harmlosen Bemerkungen, mit denen sie konfrontiert ist, erinnern mich oft an Muster, die ich kenne.»

VON BIANKA LICHTENBERGER*
Wenn meine Tochter von ihrem Alltag als Gerichtsschreiberin erzählt, fühle ich mich oft in meine eigene Vergangenheit zurückversetzt. Die subtilen, scheinbar harmlosen Bemerkungen, mit denen sie konfrontiert ist, erinnern mich oft an Muster, die ich kenne.
Jüngst berichtete sie von einer Szene im Büro: Eine Kollegin schwärmte vom Frauen-EM-Spiel des Vorabends. Sie war begeistert von der Atmosphäre – friedlich, positiv, gemeinschaftlich, wie sicher sie sich gefühlt habe. Ein schönes Beispiel dafür, dass Fussball sehr wohl ohne Gewalt auskommen, aber gleichwohl hochkarätigen Sport bieten könne.
Da mischt sich der langjährige Richter ein. Mit einem spöttischen Lächeln fragt er: ‹Interessant, dass Ihnen der Frauenfussball so gefällt! Na, da geht’s ja wohl eher um die Atmosphäre als um die sportliche Leistung, hm?›
Ein Satz, eine Frage – harmlos im Ton, aber beladen mit der alten Botschaft: Männer sind die Norm, Frauen die Abweichung; Männerfussball ist die Regel, Frauenfussball die Ausnahme; Begeisterung für ‹weibliche› Formen des Spiels oder Arbeitens bleibt erklärungsbedürftig, belächelt, relativiert.
Die jüngeren Kolleginnen, gerade am Anfang ihrer Laufbahn, wissen genau, wie sich solche Kommentare anfühlen: als Scherz getarnt, doch im Kern eine Abwertung – nicht nur des Themas, sondern all derer, die es ansprechen.
Bemerkenswert ist allerdings weniger der einzelne Kommentar als das Muster dahinter: Ein erfahrener Mann, der die Begeisterung junger Frauen mit einer ironischen Bemerkung bricht – und damit signalisiert, was als ‹seriös› gilt und was nicht. Genau das habe ich auch erlebt: andere Bühne, andere Generation, aber mit denselben Rollen.
Wir reden viel von Fortschritt und Gleichstellung – doch solange diese subtilen Zuschreibungen weiterbestehen, wiederholt sich das Stück. Und wir sitzen im Zuschauerraum und denken: ‹Nicht schon wieder!›»

Bianka Lichtenberger hat Wirtschaftswissenschaften und Soziologie studiert. Als ausgebildete Wirtschaftsjournalistin hat sie für das «Handelsblatt», die «Wirtschaftswoche», das «Manager Magazin» und den «Spiegel» geschrieben. Sie bekleidete anschliessend Führungspositionen im Bereich globale Organisationsentwicklung bei Alusuisse-Lonza, Schindler, ABB und ist Professorin der Fachhochschule Graubünden. Sie sagt: «Wir leben in einer Welt, die uns je länger je mehr herausfordert.» In ihrer Kolumne wird sie sich solchen Brennpunkt-Themen widmen.