Nie wieder auf die Waage

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22. Oktober 2025 – Viele Frauen, inzwischen auch einige Männer, tun sehr viel, um ihr Idealgewicht zu erreichen oder zu bewahren. Als junge Frau stand ich ebenfalls unter diesem Diktat. Ein richtiges Folterinstrument war für mich die Waage. Irgendwann machte ich ihr den Garaus.

Oh Gott! (Foto: pd)
Oh Gott! (Foto: pd)

VON BARBARA LUKESCH

Der Diätterror hatte mich als junge Frau fest im Griff. Es gab Tage, da ass ich nur ein Jogurt und ein paar Früchte; an Schokolade oder Glacé dachte ich nicht einmal im Traum. Im Kopf zählte ich jede Kalorie mit: 800 pro Tag – keine drüber. Morgens führte mich der erste Gang auf die Waage. 500 Gramm mehr und ich war niedergeschlagen. Im Ernst!

Mit meinen 55 Kilogramm bei einer Körpergrösse von 1,72 Meter sah ich wenigstens noch nicht ganz so elend aus wie eine magersüchtige Kollegin. Trotzdem war wohl auch ich auf dem besten Weg zu dieser heimtückischen Suchterkrankung.

Doch ich hatte Glück. Relativ bald legte sich der Zwang zum «Idealgewicht» und fanatischem Kalorienzählen. Ein wichtiger Schritt zur Erlösung war getan, als ich die Waage in meinem Badezimmer entsorgte. Dieses Monster, das mich Tag für Tag auf die Probe gestellt und mir gnadenlos jede Haltlosigkeit mit mathematischer Präzision an den Kopf geworfen hatte, musste weg. Da ich gleichzeitig meine Garderobe auf Jupes mit einem dehnbaren Bund aus Gummi umstellte, der Gewichtsschwankungen grosszügig verzeiht, durfte ich auch mal zwei, ja, sogar 4 Kilogramm zunehmen, ohne sofort neue Kleider kaufen zu müssen.

Ich genoss es, dass ich daheim keine Waage mehr hatte. Mit der Zeit versiegte auch der Drang, jedes Essen auf seinen Kaloriengehalt zu überprüfen. Es ging mir gut. Vielleicht nahm ich ein paar Kilo zu, aber ich fühlte mich wohl. Trieb viel Sport, fuhr Velo, ging wandern und konnte essen, worauf ich Lust hatte. Fast. Ganz ausgestanden war die Sache wohl noch nicht. Es konnte passieren, dass ich auf ein Stück Kuchen verzichtete oder eine weitere Portion Raclette, weil der alte Reflex – puh, so viel Kalorien! – immer noch wirksam war. Zu gut kannte ich die Kalorientabellen auswendig. Das erforderte offenbar noch etwas Zeit.

Strikt hingegen war ich, sobald eine Waage in meine Nähe kam. Das ist noch heute so. Dann lasse ich nicht mit mir reden. Bei der Jahreskontrolle bei meiner Gynäkologin wollen mich die reizenden Praxisassistentinnen Mal für Mal auf die Waage nötigen. Chancenlos. Wozu muss ich überhaupt mein Gewicht wissen? Was nützt es mir, wenn ich erfahre, dass ich nochmal 2 Kilo zugenommen habe? Damit die Frauen etwas aufschreiben können, sage ich irgendetwas: 86, 78, 69 Kilogramm. Keine Ahnung, was stimmt.

Bei einer Vorsorgeuntersuchung beim Herzspezialisten war es schwieriger. Der Arzt bestand ultimativ darauf, dass ich auf die Waage stieg; er brauche mein Gewicht, um…ja, was eigentlich? Nervös wie ich war, habe ich gar nicht richtig zugehört. Zugestimmt habe ich erst, als er mir versprach, die Zahl schweigend zu notieren und keinen Pieps zu machen. Auch keine Mimik, die Entsetzen zum Ausdruck bringen würde, oder ein Stirnrunzeln, das Besorgnis zeigte.

Warum führe ich mich so zickig auf? Meine Horrorvorstellung ist, dass ich inzwischen wirklich 86 Kilogramm wiege. Das kann ich mir zwar kaum vorstellen, denn dann wäre ich genauso dick wie mein Mann. Würde ich diese Zahl tatsächlich schwarz auf weiss auf dem Display der Waage sehen, würde sie mir mit Sicherheit einen gehörigen Schreck einjagen. Ich wäre verunsichert, ja, vielleicht sogar unglücklich und würde im schlimmsten Fall wieder anfangen Kalorien zu zählen. Drum: Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss.

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