Vom Glück, mit jemandem reden zu können
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23. Oktober 2025 – Das Thema Einsamkeit beschäftigt die Menschen. Vor allem im Alter ist die Gefahr gross, dass Betroffene darunter leiden und unglücklich werden. In Grossbritannien gibt es seit 2018 sogar ein Ministerium für Einsamkeit. Es besteht offensichtlich Handlungsbedarf – auch bei uns.

VON BARBARA LUKESCH
Als wir Ende Mai ein Interview mit Pfarrer Simon Gebs über Hochaltrigkeit in der Gemeinde brachten – «Die Einsamkeit ist eine grosse Not» –, schnellten die Zugriffszahlen auf ZollikerNews.ch hoch. Der Text wurde schliesslich zum meistbeachteten Artikel unserer letzten Saison.
Im Wissen um die Wichtigkeit des Themas hat das Wohn- und Pflegezentrum Blumenrain vor seinem Eingangsbereich ein gelbes Bänkli aufgestellt, auf dem die Frage steht «Wie geht’s dir?». Dieses soll, so hiess es in der Medienmitteilung, zu Begegnungen und freundlichen Gesprächen einladen. Idealerweise könne dank solcher Begegnungsstellen auch Einsamkeit vorgebeugt werden, «besonders bei älteren Menschen» – teilte Gemeinderätin Sandra Fischer mit, die im roten Hosenanzug auf der Bank Platz nahm, um sie fotogen zu bewerben.
Kein Besuchsdienst im Blumenrain
Angesichts von so viel Sensibilität fürs Thema erstaunt es, dass ausgerechnet das Blumenrain seinen Bewohnerinnen und Bewohnern keinen Besuchsdienst anbietet, also Freiwillige, die auf Wunsch bei einem alten Menschen vorbeigehen, mit ihm mal einen Kaffee trinken, ihn auf einem kleinen Spaziergang begleiten und mit ihm ein wenig plaudern. Eine Stunde lang, einmal pro Woche, mal mehr, mal weniger, ganz individuell und im Grunde unkompliziert, aber sehr wertvoll für alle Beteiligten.
Fragt man den interimistischen Leiter Luc Spoerri, warum diese fundamentale Dienstleistung im Blumenrain fehlt, verweist er zunächst auf alle anderen sozio-kulturellen Angebote und ergänzt dann, dass auch die Pflegenden solche Betreuungsleistungen erbringen. Dazu hätten frühere Erfahrungen mit Freiwilligen gezeigt, dass es den Laien an Wissen zu gerontologischen Krankheitsbildern fehle, was ihren Einsatz erschwere. Abgesehen davon hätten ihre Bewohner viel Besuch auf privater Basis.
Nun haben aber nicht alle alten Menschen Söhne, Töchter oder Bekannte, die sie besuchen kommen. Jene Angehörigen, die ihre Schwiegermutter beziehungsweise den betagten Vater regelmässig im Blumenrain besuchen, betonen, dass kulturelle Anlässe wie Konzerte oder Singnachmittage durchaus attraktiv sein könnten für die alten Menschen, dass sie aber ein persönliches Gespräch nicht ersetzen. Auch die Annahme, dass das Pflegepersonal, das sowieso schon am Limit laufe, auch noch den Job einer Begleiterin oder Unterhalterin übernehmen solle, sei schlicht illusionär. Den Anspruch, dass es gerontologisch geschultes Personal brauche, um mit der alten Mutter eine Runde ums Haus zu machen, halten sie für überrissen.
Vorbild Rebwies
Das Gesundheitszentrum für das Alter Rebwies beschäftigt rund zehn Freiwillige, bei denen man kostenlos Besuchsdienste buchen könne, sagt die Leiterin Silvia Bühler. Dazu kommt ein ganz besonderes individuelles Betreuungsmodell: Drei Studierende, die in Zürich keine billige Wohnung gefunden haben, leben im Rebwies als WG in der ehemaligen Heimleiterwohnung, die nicht mehr gebraucht wurde. Sie bezahlen ihre Miete in Form von sogenannter Nachbarschaftshilfe. Konkret leisten sie genau das, was der Besuchsdienst andernorts anbietet. Die Resonanz in der Institution ist gross und ausgesprochen positiv.
Silvia Bühler ist froh um ihre Studierenden, die ihre Kontakte und Dienste selbständig organisieren. Manchmal würden sie auch bei einem Sommerfest gebraucht, wo sie körperlich beeinträchtigte Bewohnende begleiten und ihnen damit Halt und Sicherheit geben.
Bezahlter Dienst im Tertianum
In der hochpreisigen Altersresidenz Tertianum gibt es ebenfalls einen Besuchsdienst, der allerdings kostenpflichtig ist: 90 Franken pro Einzelstunde, 810 Franken für das 10er-Abonnement und 1500 Franken für das 20er-Abonnement. Dafür erhält man – laut Website – «Gesellschaft, Zuwendung und Unterstützung». Konkret: Begleitung auf Spaziergängen oder zu Ärzten und Behörden, Gespräche, Vorlesen, Tierbetreuung und anderes.
Ein Sohn, dessen Mutter im Tertianum lebt, beansprucht das Angebot für seine Mutter, die an einer beginnenden Demenz leidet, regelmässig. Er schätzt, wie «flexibel, auch kurzfristig» es zur Verfügung stehe. Es sei schon passiert, dass seine Mutter zwar um 15 Uhr mit einer Begleiterin verabredet gewesen sei, dann aber noch geschlafen habe und er ihren Termin problemlos um eine halbe Stunde habe verschieben können. Verschiedene «sehr nette Damen» ständen zur Auswahl und er sei froh, dass seine Mutter mit allen gern zusammen sei.
Allein zuhause – die Kirchen helfen
Nun gibt es ja auch sehr viele betagte Menschen, die allein in den eigenen vier Wänden leben und oft stark von Einsamkeit betroffen sind. Heidi Kallenbach, katholische Seelsorgerin für Senioren, kennt dieses Problem gut. Vor allem als Präsidentin vom Besuchsdienst Zollikon, einem Verein, getragen von den beiden Landeskirchen und Pro Senectute, weiss sie, wie wichtig es ist, dass der alleinstehende alte Mann oder die 90-jährige Witwe jemanden hat, der regelmässig zu Besuch kommt, die Lebenssituation und die Bedürfnisse kennt und eine persönliche Beziehung pflegt.
Vergangenes Jahr waren 42 BesucherInnen, darunter 33 Frauen und 9 Männer, für sie unterwegs und kümmerten sich bei 600 Besuchen um insgesamt 25 Personen aus Zollikon und Zollikerberg. Heidi Kallenbach erzählt, dass im Idealfall Freundschaften entständen, die über Jahre Bestand hätten.
Mitunter hätten sie allerdings auch Mühe, ein passendes Paar zusammenzustellen. Manchmal stimme die Chemie nicht, sagt die Seelsorgerin, wie es ja überall im Leben passieren könne. In einem solchen Fall brauche es etwas mehr Geduld, um fündig zu werden. Sie kenne nur eine einzige Geschichte, bei der monatelange Anläufe nötig gewesen seien, bis es geklappt habe.
Was sie mehr umtreibe, sei die Schwierigkeit, die wirklich einsamen Männer und Frauen ausfindig zu haben. Da seien sie auf die Angehörigen oder die Nachbarschaft angewiesen, die ihnen einen Hinweis geben. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn sich diejenigen, die gern einen Besuch hätten, bei ihnen melden würden.
Dass es auch in den Alters- und Pflegeheimen einsame Menschen gibt, die sich einen regelmässigen Besuch wünschten, sei ihr durchaus bewusst. Nur übersteige diese Nachfrage leider ihre personellen Kapazitäten: «Ausnahmen machen wir hin und wieder bei jenen Bewohnenden, die wir schon in den Jahren vor dem Heimeintritt lange besucht haben.»
Einen letzten Ausweg nutzen all jene, die die Nummer 143 der Dargebotenen Hand wählen. Das Sorgentelefon, heisst es dort, werde täglich von AltersheimbewohnerInnen kontaktiert, die nur schon froh seien, wenn ihnen ein Mensch ein paar Minuten seiner Zeit schenke und zuhöre. Ein Mitarbeiter erzählt von einem «alten Herrn», der jeden Abend anrufe und nichts anderes möchte, als dass ihm jemand «Gute Nacht» wünsche.
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