46 Rotmilane am strahlend blauen Himmel

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9. Oktober 2023 – An einem der schönen Spätsommertage kam es letzthin im Süessblätz, wo wir Modellflug-Piloten unserem Hobby frönen, zu einem seltenen Naturschauspiel: Über einem Acker kreiste eine Armada von Rotmilanen. Wir zeigen ein Video und haben Erklärungen von Experten.

Rotmilan im Flug (Foto: Adrian Aebischer)

Der Himmel war strahlend blau, gute Bedingungen, um mit dem «Bergfalken», einem 3-Meter-Segler, aufzusteigen. Es schien ein wenig Thermik zu haben, was man daran ablesen konnte, dass drei oder vier Rotmilane über dem nahen Acker kreisten. Elektromotor an, Steigflug und hin zu den Vögeln, die uns den Aufwind immer zuverlässig anzeigen.

So weit, so normal, schon x-mal erlebt. Doch dann geschah etwas Bemerkenswertes: Von Minute zu Minute gesellten sich weitere Rotmilane dazu. Schliesslich kreiste mein «Bergfalke» mit sicherlich einem Dutzend der Greifvögel, die stets neugierig sind und unsere Gesellschaft zu geniessen scheinen. Kann ja nicht schaden, etwas Abwechslung im Alltag.

Ich wollte die aussergewöhnliche Ansammlung auf einem Video festhalten, landete, zückte das iPhone und schaute in den Himmel – und staunte. So etwas hatte ich noch nie gesehen! Aus dem Dutzend war ein noch viel grösserer Schwarm geworden, der über den zwei Bauern kreiste, die sich an einem Traktor zu schaffen machten, nachdem sie einen Teil des Ackers gepflügt hatten. Ich versuchte die Vögel zu zählen, soweit das möglich war – und kam auf 46.

Was war da am Himmel los? Vincent Sohni ist Fauna-Spezialist beim Naturnetz Pfannenstil. Er sagt, er habe schon einmal über 50 Milane auf einem frisch geackerten Feld im Zürcher Unterland gesehen. Ein frisch gepflügtes Feld sei für sie «ein Schlaraffenland: Kleintiere, insbesondere Regenwürmer liegen offen da. So was spricht sich auch schnell herum, wie man sieht.» In einem solchen Schwarm seien nicht nur Brutvögel vertreten, sagt Sohni, sondern je nach Jahreszeit auch «Jungvögel, Nichtbrüter und Durchzügler aus dem Norden».

Die Schweiz – ein Rotmilan-Paradies

Der Rotmilan geniesst als Brutvogel nationale «Priorität 1». Vor 50 Jahren gab es landesweit nur gerade 90 Paare, inzwischen sind es gegen 3500, was einem weltweiten Anteil von 10 Prozent entspricht. «Nirgendwo in Europa leben mehr Rotmilane auf einem Quadratkilometer als in der Schweiz», sagte der Freiburger Milan-Experte Adrian Aebischer kürzlich gegenüber der Zeitschrift «Schweizer Familie».

Gemäss der letzten Erhebung von «Birdlife» im Jahr 2008 brüteten allein im Kanton Zürich 460 Paare, inzwischen dürften es deutlich mehr sein.  Das Pfannenstil-Gebiet scheinen sie besonders zu mögen.

Laut Angaben der Vogelwarte Sempach hat der Rotmilan «mit einer fast unvergleichlichen Geschwindigkeit das ganze Schweizer Mittelland erobert und in den letzten Jahren auch die Lagen oberhalb 800 Meter über Meer.»

Die Ausbreitung des Rotmilans dürfte mehrere Ursachen haben, heisst es. Die Nahrungsgrundlage habe sich für den Greifvogel verbessert, weil häufigeres Mähen und die praktizierte Fruchtfolge die Erreichbarkeit von Beutetieren wie Mäusen und Würmern erleichterten. Zudem gebe es wegen der höheren Temperaturen deutlich mehr lange, schneefreie Perioden als früher. Ausserdem würden die Vögel in kalten Wintermonaten da und dort von Privatpersonen gefüttert.

Positive und traurige Resultate

Vor acht Jahren startete die Vogelwarte ein Forschungsprojekt, in dem 450 Jung- und 70 Altvögel eingefangen und mit solarbetriebenen GPS-Sendern ausgerüstet wurden. Mit Hilfe von satellitengestützten Ortungssystemen konnten die Wanderungen der Milane aufgezeichnet werden.

Dies führte unter anderem zu folgenden positiven, aber auch traurigen Resultaten:

+ Ein Jungvogel erkundete kurz nach dem Ausfliegen die Walliser Alpen. Er flog unter anderem das Mattertal hinauf und am Matterhorn vorbei wieder zurück ins Rhonetal. Dies zeigt, dass es durchaus möglich ist, auch im alpinen Bereich auf Rotmilane zu treffen.  
+ Zwei Jungvögel blieben in der Schweiz und verzichteten vollständig auf einen Wegzug. Während einer verstarb, überlebte der andere den Winter an einem Schlafplatz in der Westschweiz. 
+ Der schnellste Jungvogel zog in 3 Tagen aus der Schweiz nach Spanien. Zwei Jungvögel zogen weit in den Süden von Portugal!
Kurz nach dem Ausfliegen ertranken zwei Jungvögel in offenen Jauchesilos, und einer kam auf der Autobahn ums Leben.
Bei zwei ausserhalb der Schweiz tot aufgefundenen Individuen (Frankreich, Spanien) besteht der Verdacht auf illegalen Abschuss.

«Früher haben sämtliche Rotmilane im Herbst die Schweiz verlassen», sagt Aebischer, «heute überwintern fast die Hälfte unserer Brutvögel und etwa 5 Prozent der Jungvögel in der Schweiz.» Für uns Modellflieger ist das eine gute Nachricht: wir können noch mehr Segelflüge in angenehmer, tierischer Gesellschaft geniessen. (rs)

Adrian Aebischer und Patrick Scherler, «Der Rotmilan – ein Greifvogel im Aufwind», 2021, 232 Seiten, Haupt-Verlag, 50 Franken.

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