Warum Frauen länger leben
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Balz Spörri: «Schweizer Männer haben bei Geburt eine Lebenserwartung von 82,4 Jahren. Für Frauen liegt sie deutlich höher: 85,9 Jahre. Fast überall auf der Welt leben Frauen länger als Männer, daran hat sich über die Jahrhunderte nichts geändert. Woran liegt das?» (1 Kommentar)

VON BALZ SPÖRRI
Schweizer Männer haben bei Geburt eine Lebenserwartung von 82,4 Jahren. Für Frauen liegt sie deutlich höher: 85,9 Jahre. Fast überall auf der Welt leben Frauen länger als Männer, daran hat sich über die Jahrhunderte nichts geändert. Woran liegt das?
Eine weit verbreitete Erklärung lautet so: Frauen leben gesünder als Männer, sie trinken weniger Alkohol, rauchen seltener und gehen, etwa in der Freizeit, weniger Risiken ein.
Eine Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zeigt jetzt aber, dass die Ursachen für die unterschiedliche Lebensdauer tief in der Evolutionsgeschichte verankert sind.
Die Forschenden untersuchten Daten von 528 Säugetier- und 648 Vogelarten. Das sind ihre wichtigsten Erkenntnisse:
Bei den meisten Säugetieren leben die Weibchen länger als die Männchen, und zwar um etwa zehn Prozent. Bei den meisten Vogelarten ist es umgekehrt. Hier leben die Männchen länger. Dies stützt die These, dass die Lebensdauer massgeblich von den Geschlechts-Chromosomen beeinflusst wird. Bei Säugetieren haben Weibchen zwei X-Chromosomen, Männchen dagegen ein X- und ein Y-Chromosom. Bei den Vögeln ist das System umgekehrt. Offenbar schützen die doppelten Chromosomen vor schädlichen Mutationen der Zellen und fördern so ein längeres Leben.
Darüber hinaus spielen weitere Faktoren eine Rolle. Im Laufe der Evolution setzten sich Männchen mit auffälligen Merkmalen durch, etwa einem farbenprächtigen Gefieder oder einer grossen Gestalt. Diese Merkmale steigern zwar den Erfolg bei den Weibchen und erhöhen so die Zahl der Nachkommen, verkürzen aber die eigene Lebensdauer. Bei Tieren, die monogam leben, wo also kein ständiger Konkurrenzkampf herrscht, leben die Männchen oft länger.
Auch die elterliche Fürsorge beeinflusst die Lebensdauer: Das Geschlecht, das mehr in die Aufzucht des Nachwuchses investiert – bei den Säugetieren sind das meist die Weibchen – lebt tendenziell länger.
Verbesserte Lebensbedingungen, etwa ein einfacher Zugang zu Nahrung oder das Fehlen natürlicher Feinde, erhöhen die Lebensdauer und verringern die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Das zeigt ein Vergleich von Tieren in freier Wildbahn und Tieren im Zoo. Aber: Auch im Zoo verschwinden die Unterschiede nicht vollständig. «Und sie werden sehr wahrscheinlich auch in Zukunft bestehen bleiben», schreiben die Forschenden. Die Evolution lässt sich nicht einfach ausschalten.

Balz Spörri (geb. 1959) lebt als Journalist und Autor in Zürich.
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Es ist ja immer etwas heikel, von Studien über Tiere auf die Menschen zu schliessen, da bei Menschen das Sozialverhalten und ihr Umfeld ja sehr entscheidend sind. Sollte es so sein, dass Frauen länger leben, weil sie sich mehr um die Kinder und das soziale Umfeld kümmern – und dies trotz der grösseren Belastung? Kann sein, dass sie dadurch lernen, mehr soziale Beziehungen zu pflegen und weniger gefährdet sind, Selbsttötung zu begehen – vor allem bei Männern ab 55 Jahren gehen hier die Zahlen in die Höhe. Junge Männer sterben sehr viel häufiger an Unfällen als junge Frauen.
Von der Biologie abzuleiten bleibt also wohl nur der unterschiedliche Chromosomensatz.