Ein Zolliker Haus aus dem Mittelalter

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29. April 2022 – Das Haus «Hinter Zünen 8» im Hinterdorf ist vermutlich das älteste Haus Zollikons: Sein Kern stammt aus dem späten Mittelalter. Seine Erbauer sind nicht bekannt. Die vielen hohen Räume weisen jedoch auf eine vornehme Familie hin. (1 Kommentar)

29. April 2022 – Das Haus «Hinter Zünen 8» im Hinterdorf ist vermutlich das älteste Haus Zollikons: Sein Kern stammt aus dem späten Mittelalter. Seine Erbauer sind nicht bekannt. Die vielen hohen Räume weisen jedoch auf eine vornehme Familie hin.

Jahreszahl am Haus Hinter Zünen
Historisch nicht belegt: Jahreszahl 1485 (Fotos: Adrian Michael)

«Hinter Zünen» hiess früher das ganze Gebiet, das von der Kirche aus gesehen bei den Zäunen im hinteren Teil des Dorfes lag. Dieser Name ging auf die Gebäude über, die dort gebaut wurden und den nördlichen Rand der ganzen Siedlung bildeten.

Erstmals erwähnt wird das Gebiet im Jahr 1557. Im Gemeindeurbar heisst es: «5 dagwen [Tagwerk] reben hinder zünen gelegen zwüschent beden strassen». Der älteste Teil des Hauses ist der zweigeschossige Wohnturm im Osten, der sich über eine Länge von 14,5 und eine Breite von 6,6 Metern erstreckt. Von aussen ist er nicht mehr als solcher zu erkennen, aber auf Plänen sind seine massiven Mauern nicht zu übersehen. Er dürfte aus dem ausgehenden Mittelalter stammen und ist damit deutlich älter als das übrige Haus. Die Jahreszahl 1485 oberhalb des Eingangs ist historisch nicht belegt.

Die wichtigsten Räume des Gebäudes sind das Turmzimmer mit seiner Höhe von 3,6 Metern und einer Fläche von rund 40 Quadratmetern sowie die Stube im Erdgeschoss mit dem Kachelofen aus der Zeit um 1770. Beide Räume haben sämtliche Eingriffe unversehrt überstanden und strahlen noch immer die Atmosphäre längst vergangener Zeiten aus.

Turmzimmer
Das Turmzimmer, auch «Rittersaal» genannt
Stube Hinter Zünen
Stube mit Kachelofen

Die wuchtige Bogentür im ersten Stock lässt darauf schliessen, dass sie ursprünglich als Aussentür gebaut wurde, die vermutlich von einer Holzgalerie aus betreten werden konnte. Wie der ursprüngliche Wohnturm mit Bogentür und dem Zwillingsfenster einmal ausgesehen haben könnte, zeigt die Darstellung von Thomas Germann:

Zeichnung ursprüngliches Gebäude
Ursprünglicher Wohnturm mit Bogentür (Zeichnung: Thomas Germann)
Rundbogen-Türe

Die bedeutendste Veränderung erfuhr die Liegenschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als der Turm im Westen durch den Anbau einer Scheune auf die heutige Länge des Gebäudes erweitert wurde. Einen Hinweis darauf gibt ein dendrochronologisches Gutachten, nach dem der älteste Baum für den Dachstuhl im Winter 1547/48 gefällt wurde.

Da ab 1657 für rund 80 Jahre zwei oder drei Parteien das Haus bewohnten, wurde der östliche Hausteil mit baulichen Massnahmen vom westlichen Teil abgetrennt. Die «Infrastruktur» ist deshalb doppelt vorhanden: Es gibt zwei Haustüren, zwei Küchen, zwei Bäder und zwei Treppenhäuser.

Um 1710 wurde die Scheune durch das heutige Wohnhaus als Riegelbau ersetzt. Dazu passt die Inschrift «H 1709 K» am Sturz des Kellerfensters auf der Nordseite, die vermutlich den Beginn dieses markanten Umbaus bezeichnen. Die Initialen beziehen sich auf Heinrich Kienast, der das Haus damals übernahm.

Ostseite Hinter Zünen
Ostseite des Hauses

1788 erweiterte der damalige Besitzer Felix Kienast das Wohnhaus um den Quergiebelanbau im Nordwesten. Er enthielt ein Waschhaus «mit Schütte und zwei Kammern». Das Gebäude umfasst heute elf Zimmer, zwei Küchen und zwei Bäder. Zwei Treppenhäuser führen ins Obergeschoss, eine Treppe in den Estrich und eine weitere zum Dachboden.

200 Jahre im Besitz der Familie Kienast

Erster Besitzer soll 1483 gemäss der Liste im Schwendenhaurodel, dem ersten Verzeichnis aller Zolliker Liegenschaften, ein Ueli Schänikon gewesen sein. Uly Schænikon und sin wib werden schon in den Steuerlisten der 1460er-Jahre mehrere Male erwähnt, allerdings ohne Angabe des Wohnorts. 1547 ist das Haus im Schwendenhaurodel als Heini Schänikos Erben gehörend aufgeführt.

Die urkundliche belegte Geschichte des Hauses setzt 1634 ein, als erstmals ein Bevölkerungsverzeichnis angelegt wurde. Der erste hier nachgewiesene Bewohner war Felix Thomann: Hört ietz Velix Domen u. synen brüder hynderzünen 6.

1666 verkaufte der Sohn Heinrich Thomann seinen Anteil an Felix Kienast, den Sohn von Rudolf Kienast, dem bereits zwei Häuser in der Nachbarschaft gehörten. Mit diesem Verkauf beginnt die Ära der Kienast, in deren Besitz das Haus rund 200 Jahre bleiben sollte. Die Kienast sind die älteste urkundlich fassbare Familie Zollikons.

Im Juni 1879 musste der junge Kienast aus finanziellen Gründen seine Liegenschaft an den Metzger Eduard Enderlin verkaufen. 1884 verkaufte Enderlin das Haus für 33 000 Franken an Jakob Haab, einen Landwirt aus Hirzel. Im Juni 1887 verkaufte dieser das Haus an zwei Auswärtige. Er kaufte es aber schon im Mai 1888 zurück und betrieb darin bis 1903 eine Schenke.

1903 kaufte der Winterthurer Kunstmaler Jakob Friedrich Welti das Haus für 25‘500 Franken. Welti bewohnte das Haus zusammen mit seiner Frau Susanna und seiner Adoptivtochter Bertha.

Treffpunkt namhafter Persönlichkeiten

Im Oktober 1950 verkaufte Welti die Liegenschaft an die Psychologin Dora Kalff-Gattiker. Sie machte es zu einem Zentrum der Sandspieltherapie und des Buddhismus in der Schweiz, durch sie wurde es zu einem Treffpunkt namhafter Künstler und Wissenschaftler. In Dora Kalffs Gästebüchern haben sich neben vielen anderen eingetragen: Der Psychiater Carl Gustav Jung mit seiner Frau Emma, die Musiker Edmond de Stoutz, Yehudi und Hephzibah Menuhin, Nicolas mit Ana Chumachenko, viele Jazzmusiker, der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli, der Schriftsteller Max Frisch sowie zahlreiche buddhistische Lehrer. 1979 war der Dalai Lama mit grossem Gefolge zu Gast. 1955 verbrachte der Komponist Paul Hindemith mit seiner Frau Gertrud ein paar Monate in den Hinter Zünen.

Nach Dora Kalffs Tod kam das Haus 1990 in Besitz ihrer Söhne Martin und Peter Kalff, die es 2015 zusammen mit dem Nachbarhaus Hinter Zünen 6 an die Immobilienfirma von Urs Ledermann verkauften, der in unmittelbarer Nähe des Hauses aufgewachsen war. Anfangs 2022 hat Ledermann das Grundstück an einen nicht weiter bekannten Unternehmer weiterverkauft. Wie es künftig genutzt werden soll, ist nicht klar.

Südseite des Hauses
Südseite mit lauschigem Garten

Literatur: Ursula Bänninger: Sandspiele auf währschaftem Fels, Zolliker Jahrheft 2001; Jürg Barth: Die wirtschaftliche Entwicklung der Zürcher Vorortsgemeinde Zollikon, 1955; Roland Böhmer: Haus «Hinter Zünen», Zürcher Baugeschichten, Chronos Verlag 2007; Heinrich Bruppacher, Alexander Nüesch: Das alte Zollikon, Verlag Zürcher und Furrer, 1899; Ursula Fontana: Zollikon: Haus Hinter Zünen 8, Zürich 2001; Hans Glarner: Zolliker Jahre, Rothenhäusler-Verlag, 1987; Paul Guyer: 1000 Jahre Zollikon, Schulthess-Verlag, 1946; Albert Heer, Ernst Schlatter: «Unser Zollikon» Zollikon 1956; Richard Humm: «Das Haus Zur Hinter Zünen», Zolliker Jahrheft 1981; Hans Kläui: Wie aus alemannischen Siedlungen die Gemeinde Zollikon entstand, Zolliker Jahrheft 1983; Walter Letsch: Die Familie der Kienast, Zolliker Jahrheft 1999; Walter Letsch: Zollikon im Mittelalter, Zolliker Jahrheft 2016

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Vielen Dank Herr Meier, Ihr Kommentar freut mich sehr! Im Lauf des Novembers wird auf Wikipedia noch ein Bericht zum Haus Hinter Zünen erscheinen, in dem ich ausführlicher auf die wechselhafte Geschichte des Hauses eingehen werde.

Danke für den hochinteressanten Bericht. Oft stehe ich vor diesem geheimnisvollen, alten Haus und träume davon, was das Haus wohl alles erlebt haben wird. Das Gebäude zieht mich in seinen Bann…

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