«Bei mir gibt es keine normalen Tage»

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10. April 2023 – Die Zolliker People-Journalistin und Kennerin aller Royals Flavia Schlittler liebt ihren Beruf über alles. Als die Queen starb, arbeitete sie 12 Tage am Stück – freiwillig. Ihre zweiminütige «Blick TV»-Sendung «Glamour & Gossip» ist Kult.

Flavia Schlittler Porträt
Flavia Schlittler (Illustration: Willi Spirig)

Normalerweise stehe ich um 5.55 Uhr auf, stelle den Fernseher an und starte meinen Tag mit der RTL-Morgenshow «Punkt 6». Das ist eine Sendung über People, Prominente und natürlich Royals, meine Lieblingssparte, dank der ich topinformiert bin. Dort erfahre ich, wie es Charles und Camilla geht, was bei Fürst Albert von Monaco und seiner Frau Charlène los ist, aber auch alle Neuigkeiten zu Boris Becker.

Wenn wir Coco, unseren Familien-Chihuahua, bei uns haben, muss ich mich irgendwann vom Fernseher losreissen und den Hund füttern und mit ihm die erste Runde machen. In der Zwischenzeit hat mein Lebenspartner Felix, ein gelernter Koch, bereits das Morgenessen für mich zubereitet. Am liebsten deftig: Pizza, Rösti, ein, zwei Käse- oder Mettwurstbrote, dazu Kaffee. Meine Mutter hat uns nach der Devise erzogen: morgens essen wie ein König, mittags wie ein Fürst und abends wie ein Bettler. Daran halte ich mich heute mit 59 Jahren immer noch.

Ja, ich bin 59, werde bald 60, und habe null Probleme damit. Warum auch? Wer allein Zwillinge  grossgezogen hat, sieht alles etwas gelassener.

Weil ich gläubig bin, lese ich im Anschluss eine Seite in dem Buch «366 Liebesbriefe von Jesus».  Das ist mein tägliches Stück Erbauungsliteratur, das von Vertrauen, Hoffnung, Geduld und Liebe handelt. Wunderbar. Das stellt mich auf.  Nachher dusche ich, ziehe mich an und schminke mich. Alles in allem rund eine halbe Stunde.

Im Auto geht’s dann ins Geschäft, das Ringier-Pressehaus direkt hinter der Zürcher Oper. Momentan leite ich mit meinem Kollegen Michel interimistisch das Ressort People beim «Blick», was natürlich heisst, dass mein Tag auch mal primär aus Sitzungen besteht.

Die erste Sitzung ist um 8.30 Uhr, das ist eine Teamsitzung, an der wir zwischen vier und sechs Personen sind, die aktuelle People-Geschichten diskutieren und verteilen: wer schreibt was?

Um 9 Uhr folgt die Tagessitzung mit der Chefredaktion, den Newsroom-Chefs und Ressortleitungen, 13 bis 14 Leute. Da geht’s dann um die Grobplanung des Tages: Was sind die Geschichten? Online kommt an erster Stelle, nachher wird besprochen, was «Blick TV» bringt, und bilateral mit dem Tagesleiter, was im gedruckten «Blick» erscheint. Wenn die Credit Suisse abstürzt, kann eine solche Sitzung gut und gern einmal bis 10 Uhr dauern.

Nachher gehen die Leute an ihr Pult und arbeiten. Ich kümmere mich mit Michel um jene Artikel, die in unserem Team geschrieben werden. Zudem beantworte ich Dutzende von Mails, folge den verschiedenen Social Media-Kanälen, telefoniere oft auch mit Informanten, um an brisante Neuigkeiten zu kommen. Dank zwei dieser sehr verlässlichen Quellen wussten wir an dem Tag, als die Queen starb, schon drei Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe, dass sie gestorben ist. Es hiess, wir sollten uns auf 19 Uhr einstellen. Gegen 19.30 Uhr kam dann tatsächlich die Todesnachricht aus dem Buckingham-Palace.

Jene Tage werde ich nie vergessen. Damals habe ich freiwillig 12 Tage durchgearbeitet. Fast rund um die Uhr. Um 6 Uhr ging’s los im «Blick TV»-Studio, dann habe ich Artikel geschrieben, um 12 Uhr war ich wieder in einer Fokussendung im «Blick TV». Ich habe diese Zeit intensiv erlebt. Der Tod der Queen war das Jahrtausend-Ereignis für alle Boulevardjournalisten. Etwas Grösseres gab es noch nie und wird es auch nie geben.

Weil ich meinen Beruf mit dermassen viel Leidenschaft betreibe, schaue ich an solchen Tagen nie auf die Uhr. Ich vergesse alles andere. Gott sei Dank ist mein Lebenspartner so grosszügig und hat noch nie im Verlaufe unserer jetzt zehnjährigen Beziehung ein vorwurfsvolles Wort gesagt, wenn er wieder mal vergeblich auf mich gewartet hat.

Wenn nicht gerade die Queen stirbt, sieht ein Arbeitstag etwas beschaulicher aus. Dann esse ich im Büro etwas Kleines, ein Stück Hackbraten zum Beispiel, oder einen schönen Teller Nudeln. Um 14 Uhr ist die zweite Tagessitzung. Wenn es mal ganz easy läuft, kann es sein, dass ich um 18 Uhr aus dem Büro komme.

Freitags sieht nochmals alles anders aus. Dann erscheint jeweils meine «Blick TV»-Sendung «Glamour & Gossip», ein zweiminütiges Format zu einem People-Thema. Ursprünglich hatte ich drei Minuten, aber die Zuschauerforschung zeigt, dass die Leute nach zwei Minuten wieder wegklicken – also habe ich es auf zwei Minuten gekürzt, und jetzt passt es perfekt. Auch hier ziehen die Royals am besten: Die Ausgabe, in der es hiess, Camilla werde zur Drachenkönigin, war mein bisheriger Spitzenreiter und wurde mehr als eine Million Mal aufgerufen. Genial.

In meinem Beruf gibt es im Grunde keine normalen Tage. Ich bin fertig, wenn ich meinen Job gemacht habe. Darum treffe ich meine Familie und Freunde am liebsten an den Tagen, an denen ich frei habe. Das wechselt natürlich, mal ist das Montag, mal Freitag oder auch mal Sonntag. Aber selbst dann kann es passieren, dass mir eine brandheisse Info reinschneit und alle Pläne über den Haufen wirft.

So geschehen an einem Samstag, an dem ich in der Badewanne lag und anschliessend meine Cousine und ihren Partner zum Flughafen fahren wollte. Ein Kollege – nach 19 Jahren hat man einfach ein riesiges Netzwerk – rief mich an und sagte: «Mike Shiva ist tot». Da war ich im Nu aus der Wanne und habe mich an zwei, drei verlässlichen Stellen rückversichert. Es stimmte tatsächlich. Und meine Cousine fuhr mit der S-Bahn zum Flughafen. Sie ist meine beste Freundin und kennt mich gut. Sie hat mir das natürlich nicht übelgenommen.» (bl)

Donnerstag, 20. April, Café am Puls im ref. Kirchgemeindehaus Zollikerberg: Barbetrieb ab 19 Uhr, Talk um 19.30 Uhr, anschliessend gemütliches Beisammensein bei Getränken und Häppchen. Gastgeber ist Pfarrer Simon Gebs.

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