Der Erlebnis-Pädagoge von der Ruessdili-Hütte

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Wenn ich im Zollikerberg mit Schulfreunden zusammensitze, taucht in unseren Erinnerungen immer wieder ein Name auf: Jakob Schiltknecht. Eines seiner wichtigsten Projekte war die Ruessdili-Hütte, die in den frühen 1960er-Jahren entstand. (2 Kommentare)

Wenn ich im Zollikerberg mit Schulfreunden zusammensitze, taucht in unseren Erinnerungen immer wieder ein Name auf: Jakob Schiltknecht. Eines seiner wichtigsten Projekte war die Ruessdili-Hütte, die in den frühen 1960er-Jahren entstand.

Arbeit am Dach der Ruessdili-Hütte
Fronarbeit junger Zollikerbergler an der Ruessdili-Hütte (Fotos: zvg)

Schiltknecht war von 1960 bis 1978 Pfarrer im Zollikerberg. Der charismatische Theologe kam aus dem Glarnerland, wirkte 18 Jahre bei uns und verbrachte seine letzten Berufsjahre in Schwanden GL.

Was mag ihn dazu bewogen haben, in unserer wohlhabenden Gemeinde zu arbeiten? Im Rückblick erscheint es mir, als habe er darin eine Mission gesehen: nämlich den konsumverwöhnten Städtern die Natur wieder näherzubringen.

Von 1963 bis ’66 erbauten Mitglieder der Jungen Kirche Zollikerberg unter der Anleitung von Glarner Handwerkern die Ruessdili-Hütte auf einer Alp im Glarnerland. Muskelkraft, handwerkliches Geschick und sehr viel Ausdauer waren gefragt bei den jungen Leuten. Finanziert wurde das Projekt vor allem durch den Verkauf der Schallplatten, die Pfarrer Schiltknecht mit den Mitgliedern der Jungen Kirche aufgenommen hatte. Die «Hüttenlieder» und vier darauffolgende Platten wurden bei Ex Libris, dem Plattenlabel der Migros, erfolgreich verkauft.

Nachfolgende Konf-Klassen und Mitglieder der Kirchgemeinde Zollikon lernten die Ruessdili ebenfalls kennen. In den Arbeitslagern befreiten sie Alpwiesen von Steinen und Gestrüpp. Für einen Aufenthalt in der Hütte musste alles hochgetragen werden, was für eine Woche benötigt wurde. Die Ruessdili war und ist immer noch nur zu Fuss erreichbar. Und trotzdem – oder gerade deswegen – wird die Hütte auch heute noch regelmässig genutzt.

Ich machte mich auf eine Spurensuche und entdeckte, dass meine Nachbarin hier in Wald, die Primarlehrerin Catia Burkhard, Vorstandsmitglied des Vereins Ruessdili ist – Zufälle gibt es.

Ich vereinbarte mir ihr und Adrian Scheidegger einen Termin. Dessen Vater war langjähriger Leiter des Freizeitdienstes. Adrian hatte als Jugendlicher die legendären Bergfeste der Kirchgemeinde und mehrere Arbeitslager miterlebt und sich später als Hilfsleiter engagiert. An den Pfarrer erinnert er sich als «dominierende, starke Figur, der man sich unterordnen musste». Die strenge Hausordnung von damals habe sich über die Jahre jedoch bewährt; die Ruessdili sei immer noch in einem tipptoppen Zustand.

Catia Burkhards Vater war Primarlehrer im Zollikerberg gewesen. Beide Eltern hätten sich in der Kirchenpflege engagiert. Sie habe die Ruessdili in Arbeitslagern beim Wege bauen, Holzen, Steine wegräumen und der Pflege der umliegenden Alpen liebgewonnen. Sie habe zur zweiten Ruessdili-Generation gehört und miterlebt, wie sich die «Pioniere», die die Hütte gebaute hatten, schwer damit taten, ihr Wissen den Jüngeren weiterzugeben. Doch die hätten sich nicht beirren lassen: «Wir verlegten eine zweite Wasserleitung und deckten das Dach neu.»

Adrian engagiert sich nach wie vor für das Projekt. Er schätze die sozialen Kontakte und Freundschaften, geniesse die Stille in der Abgeschiedenheit der Hütte: «Weil es kein WLAN gibt, kannst du dich aus dem Alltag ausklinken.» Auch Catia pflegt als Vorstandsmitglied alte Freundschaften. Sie sagt: «Hier habe ich viel erlebt, hier konnte ich nach beruflichen Strapazen Ruhe und Frieden finden. Die Ruessdili ist für mich zur zweiten Heimat geworden.»

Rückblickend scheint mir Pfarrer Schiltknecht ein Mann gewesen zu sein, der seiner Zeit voraus war. Was er mit den Jugendlichen damals unternommen hat, würde man heute wohl «Erlebnispädagogik» nennen. In den Coronajahren hat die Erkenntnis wieder Raum gewonnen, dass man Grenzerlebnisse nicht nur in weit entfernten Gegenden unserer Welt finden kann. Es genügt, in den Bergen in einer einfachen Hütte Zeit zu verbringen, um zu sich selbst zu finden. 

Ob es wohl weitere ZollikerInnen gibt, die sich für die Ruessdili engagieren möchten, für dieses nachhaltige Projekt, das heutigen Ansprüchen durchaus genügt? Ein Blick auf ruessdili.ch lohnt sich.

Betti Hildebrandt

Betti Hildebrandt war 40 Jahre lang Lehrerin an der Musikschule Zollikon. Vor einem Jahr ist sie ins Zürcher Oberland ausgewandert und pflegt seitdem ihr Heimweh.  

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Sehr schön geschrieben und mich stört das Wort Arbeitslager überhaupt nicht – das war es halt. Auch wir haben in Igis damals in Fronarbeit von der Jungen Kirche aus einen Stall «Tenn» zu einem Musiktreffpunkt umgebaut. Ich habe grad kürzlich die Langspielplatte Lieder beidseits der Alpen von Jacob Schiltknecht digitalisiert.

Bitte vermeiden Sie das Wort „Arbeitslager“ in diesem Zusammenhang. Es ist auch nach Jahrzehnten noch untrennbar mit dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus verbunden. Man sollte eine Verharmlosung des Begriffs vermeiden. Passender wäre vielleicht das Wort „Arbeitswoche“.

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