«Eine Reparatur ist keine Hexerei»

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27. Oktober 2025 – Die erste Durchführung des Repair Cafés im Zollikerberg war ein voller Erfolg. Mehr als 30 Leute kamen mit ihren defekten Geräten in den Freizeitdienst. Paul Jenkinson hatte alle Hände voll zu tun: als Empfangschef, Reparateur und freundlicher Ratgeber.

Reparaturannahme bei Paul Jenkinson – hier mit defektem Mixer (Fotos: ZN)
Reparaturannahme bei Paul Jenkinson – hier mit defektem Mixer (Fotos: ZN)

VON RENE STAUBLI

Paul Jenkinson hatte zwischen 14 und 16 Uhr keine ruhige Minute. In der Schlange standen Leute mit einer Kaffeemaschine, einem Bügeleisen, einem Jupe, einem Rucksack, einem Föhn, sogar ein kleiner Reisswolf war dabei.  Der Schreibende brachte sein defektes Digital-Tonbandgerät mit, das seinen Geist kürzlich aufgegeben hatte.

Für die einen stellte Jenkinson einen Reparaturzettel aus – mit ersten Hinweisen für die Reparateure im Nebenraum: «Evtl. Schalter kaputt?». Dort sassen passionierte (und meist schon pensionierte) Männer mit ihren Werkzeugsets an langen Tischen und nahmen sich geduldig der Probleme an –  offensichtlich mit grosser Motivation, Fachkenntnis und handwerklichem Geschick.

Die Bilanz kann sich sehen lassen: 10 Artikel konnten repariert werden, für 4 reichte die Zeit nicht, sie kommen nächstes Mal dran. 5 Geräte waren irreparabel, darunter ein Regenschirm mit kaputten Rippen. Etliche Leute bekamen hilfreiche Ratschläge: wo sie ein Ersatzteil beschaffen könnten oder wo es Hilfe bei einem Softwareproblem gäbe. Eine Frau wollte ihre grosse Laterne, die für Kerzen gedacht ist, mit einer Glühbirne versehen lassen. «Das ist keine Reparatur, sondern eine Änderung», brachte man ihr schonend bei, «diese Dienstleistung können wir nicht bieten.»

Paul Jenkinson – ein Glücksfall

Paul Jenkinson ist gebürtiger Engländer. Er lebt mit seiner Frau seit 17 Jahren in Zollikon. Zu unserem Treffen kommt er mit dem ÖV direkt von der Arbeit beim Schienenfahrzeug-Konzern Alstom in Oerlikon. Als Ingenieur ist er dort mit seiner Abteilung dafür besorgt, dass die Züge, Lokomotiven und Strassenbahnen, die das Unternehmen in die ganze Welt verkauft, 30 bis 40 Jahre lang funktionstüchtig bleiben.

«Wenn eine Lokomotive, die einen zweistelligen Millionenbetrag kostet, plötzlich still steht, müssen wir Ersatzteile besorgen.» Alstom führe zu diesem Zweck eine Datenbank mit zigtausend Komponenten, die umgehend geliefert werden können. Damit ist auch der Bogen zum Thema Repair-Café geschlagen.

Er steuere langsam Richtung Frühpensionierung, sagt Jenkinson an seinem Wohnzimmertisch, «da wollte ich mir etwas einfallen lassen, wie ich die neu gewonnene freie Zeit verbringen könnte». Seine Frau ist freischaffend und hat ihr Büro zuhause, da müsse er schon schauen, dass er ihr nicht die ganze Zeit auf die Füsse trete.

Zuerst habe er sich ein Repair Café in Oerlikon angeschaut, nur einen Katzensprung von seinem Büro entfernt. Doch dann googelte er weiter und geriet auf die Seite des Quartiervereins Zollikerberg, wo er entdeckte, dass ebenfalls ein Repair Café geplant wurde. «Da sah ich, dass sie Leute suchen und dachte mir: super, das wäre ja noch näher.» Zunächst habe er keinen Kontakt herstellen können, weil die Website des Quartiervereins down war, aber dann habe sich Renate Diener bei ihm gemeldet, «der gute Geist hinter dem Projekt», und habe ihm versichert, dass sie es sehr schätzen würde, wenn er mit dabei wäre.

Weil er der erste Reparateur war, der sich gemeldet hatte, habe er «quasi stillschweigend die Führung der Reparaturmannschaft übernommen», lacht er. Inzwischen engagieren sich um die 20 Leute im Freiwilligen-Team. «Wir haben bereits mehrere Reparateure in diversen Fächern und mit unterschiedlichen Fähigkeiten», sagt Jenkinson. Für Textilarbeiten habe sich eine Frau gemeldet, die ihre Nähmaschine mitbringe, damit sie Kleider und Ledersachen vor Ort flicken könne. Auch in der Organisation gebe es viel zu tun, vor allem in der Startphase. Es seien mehrheitlich ältere Leute, die sich engagieren – Leute, die Zeit haben, gerne handwerklich tätig sind und etwas gegen die verbreitete Wergwerfmentalität tun möchten.

Die Sache mit dem Staubsauger

«Ich bin entschieden dafür, dass man Sachen – wenn immer möglich – repariert, statt sie einfach wegzuwerfen», sagt Jenkinson. Zum einen spare man damit Geld, zum andern verhalte man sich umweltfreundlicher. Neulich sei bei ihnen der Staubsauger defekt gewesen. «Das Gerät hat noch funktioniert, aber die Saugdüse vorne war kaputt.» Er habe online lange Zeit vergeblich nach einem Ersatzteil gesucht, und als er es endlich in einem Online-Shop in Neuseeland entdeckte, weigerte sich der Händler, das Teil rund um die Welt zu schicken. «Ich habe weitergeforscht und schliesslich eine gleichwertige Alternative gefunden.»  Das sei ein bisschen seine «Déformation professionelle».

Jenkinson verfügt über viel handwerkliches Geschick. «Ich habe keine zwei linken Hände», stapelt er ein wenig tief. Er mache in der Freizeit gerne etwas Handfestes, weil er unter der Woche hauptsächlich am Computer arbeite. Im Garten gebe es immer etwas zu tun, und nach dem Kauf des renovationsbedürftigen Hauses an der Sägegasse habe er auch mit angepackt: «Die Parkettböden habe ich selber verlegt, beim Elektrischen konnte ich auch gewisse Sachen erledigen, Wände streichen sowieso, und Reparaturen aller Art im Haushalt mache ich ebenfalls gerne.»

War neu kaufen gestern?

«Die Wegwerfgesellschaft wankt – neu kaufen war gestern, heute wird repariert», wirbt die Stiftung für Konsumentenschutz für ihr Projekt, das inzwischen 257 Repair Cafés in der ganzen Schweiz umfasst. Pro Jahr werden rund 18’000 Reparaturen durchgeführt.

Ist das mehr als ein Modetrend? Jenkinson ist davon überzeugt. Es gebe inzwischen in der EU Bestrebungen, das Recht der Kundinnen und Kunden auf reparierbare Konsumgüter gesetzlich zu verankern. Viele Firmen bemühten sich, die neue ISO-Norm «Umweltfreundichkeit» zu erfüllen.

Unter anderem möchte man damit auch Missbräuche verhindern, wie sie früher immer wieder vorkamen. Apple zum Beispiel verwendete bei den iPhones eigens kreierte Schrauben, die man nur mit einem Spezialwerkzeug lösen konnte. Wer ein iPhone besass, hatte keine Möglichkeit, das Gerät zu öffnen; man musste in einen Apple-Laden gehen, um sich helfen zu lassen, natürlich gegen Bezahlung. «Es war eine Massnahme, um das Gerät für die Kundschaft möglichst wartungsunfreundlich zu machen», sagt er.

Wie verträgt sich das neue Bewusstsein mit der Absicht der Firmen, möglichst viele neue Produkte zu verkaufen, um so den Umsatz und den Gewinn zu steigern? Das Wachstum könne nicht ewig unbegrenzt sein, sagt Jenkinson, denn wichtige Ressourcen seien irgendwann erschöpft. Man sehe das heute auch daran, dass China die Lieferung seltener Erden einschränke, die für die Produktion von Smartphones und anderen elektronischen Geräten gebraucht werden. Sie zu reparieren bedeute, Rohstoffe zu sparen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die Reparateure im Repair Café sehen sich nicht als reine Dienstleister. Vielmehr versuchen sie, die Leute auch zu motivieren, künftige Reparaturen mit geeigneten Werkzeugen selber vorzunehmen. «Eine Reparatur ist keine Hexerei», sagt Jenkinson, «und wenn wir die Leute ermutigen, es selber zu versuchen, fördert das auch das Selbstbewusstsein».

Das Tonband des Schreibenden kam in gute Hände. Roland suchte aus einem Schächtelchen einen Mini-Kreuzschlitz-Schraubenzieher heraus, um das Gerät zu öffnen. Zum Vorschein kam eine Platine mit Hunderten von kleinsten Lötstellen. «Ich glaube, es wäre sinnvoll, das Gerät zuerst einmal mit Pressluft auszublasen», sagte er, «vielleicht ist es ja nur der Staub.» Er ging ins Hinterzimmer und kam nach wenigen Minuten wieder zurück, legte die Batterien ein und betätigte den Schiebeschalter – und siehe, es funktionierte!

Das Repair Café, lanciert vom Quartierverein mit der Unterstützung von «Senioren für Senioren», Chramschopf und der Stiftung für Konsumentenschutz, geniesst vorläufig beim Freizeitdienst auf dem Zollikerberg Gastrecht. Dort hat man auch Werkzeuge und Materialien gelagert. Die Schule war nur bereit, ihre Werkstatt ein- bis zweimal pro Jahr zur Verfügung zu stellen. «Das bringt aber dem Projekt nichts – ein Repair Café muss regelmässig und in kurzen Abständen angeboten werden», sagt Renate Diener, alles andere mache keinen Sinn. Das Team ist nun auf der Suche nach einer Werkstatt, die es – wenn der Zuspruch so hoch bleibt – jeden Monat benützen könnte.

Wichtig sind aber nicht nur die Reparaturen. Der Name Repair Café sei Programm, sagt Jenkinson. Wer vorbeikomme, könne in der Ecke auch Kaffee trinken, Kuchen essen, plaudern, ein wenig verweilen und warten, bis das Gerät repariert sei.

Warten und plaudern bei Kaffee und Kuchen
Warten und plaudern bei Kaffee und Kuchen

Das nächste Repair Café findet am Samstag, 22. November, wieder von 14 bis 16 Uhr statt – entweder im Freizeitdienst oder in einem neuen Lokal, wenn sich eines findet. Das Freiwilligen-Team ist dankbar für jeden Hinweis.

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