Es droht ein Einheitsbrei

0 KOMMENTARE

Balz Spörri: «Kürzlich erhielt ich zum ersten Mal eine private E-Mail, die mit Hilfe von ChatGPT verfasst worden ist. Es ging um die Planung eines Familienfestes. Ich stutzte etwas beim Lesen, weil darin Wendungen vorkamen, die ich vom Absender der Mail zuvor noch nie gehört oder gelesen hatte.«

So illustriert ChatGPT diesen Text
So illustriert ChatGPT diesen Text

VON BALZ SPÖRRI

Kürzlich erhielt ich zum ersten Mal eine private E-Mail, die mit Hilfe von ChatGPT verfasst worden ist. Es ging um die Planung eines Familienfestes. Ich stutzte etwas beim Lesen, weil darin Wendungen vorkamen, die ich vom Absender der Mail zuvor noch nie gehört oder gelesen hatte.

So war etwa von einem «unvergesslichen Abend» die Rede, oder von einem Anlass, wo man sich unbeschwert «austauschen» könne. Eine Frage drängt sich deshalb auf: Lässt sich menschliche Sprache von Texten unterscheiden, die von grossen, KI-getriebenen Sprachmodellen wie ChatGPT generiert worden sind? Oder kann man die beiden gar nicht mehr auseinanderhalten?

Zwei Forscher der Universität Konstanz gingen dieser Frage jüngst in einer breit angelegten Studie nach. Sie analysierten fast 500’000 Texte von Menschen und elf verschiedenen KI-Sprachmodellen aus ganz unterschiedlichen Bereichen wie Nachrichten, Rezepte, Poesie oder Wikipedia-Einträge. Verglichen wurden linguistische Merkmale wie Satzlängen, Wortformen, Worthäufigkeiten oder Emotionalität.

Vereinfacht gesagt, kam die Studie zu folgendem Befund: Noch gibt es Unterschiede zwischen den Schreibstilen von Menschen und KI-Modellen: Von Menschen verfasste Texte sind tendenziell eher länger, die Sätze sind einfacher gebaut, sie sind emotionaler und vor allem sind sie vielfältiger.

Genau diese Vielfalt gerate jedoch in Gefahr, wenn wir für das Schreiben von Texten immer häufiger KI-Systeme einsetzen, warnen die Wissenschafter. Am Ende würden sich die Menschen alle ähnlich ausdrücken, fürchtet Co-Autor Segun Aroyehun. Mit dem Einsatz von KI-Systemen, so Aroyehun, «könnte sich eine kleine Anzahl dominanter Sprachstile und kultureller Perspektiven durchsetzen und die Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen und Ideen allmählich verdrängen».

Bereits gebe es Anzeichen für eine solche «sprachliche Homogenisierung», schreiben die Forscher. Neuere KI-Modelle weisen nämlich zunehmend ähnliche sprachliche Muster auf. Es droht also ein kommunikativer Einheitsbrei. Wollen wir das wirklich?

Hier geht es zur Studie

Balz Spörri (geb. 1959) lebt als Journalist und Autor in Zürich.

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

fünf × 3 =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht