«Ich habe immer abenteuerlich gelebt»

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26. Februar 2024 – Claudia Denzler hat 13 Jahre lang harte Drogen konsumiert und lange Zeit auf dem Platzspitz gelebt. Heute arbeitet die 54-jährige Zollikerin als Gärtnerin im Wohn- und Pflegeheim Blumenrain; den Drogen hat sie abgeschworen.

Claudia Denzler
Claudia Denzler (Illustration: Willi Spirig)

Um zwei nach fünf stehe ich auf. Um fünf Uhr ginge gar nicht, ganz zu schweigen von zwei Minuten vor fünf. Das ist eine Marotte, mit der ich mich selbst überliste. Komisch? Auf jeden Fall komme ich so problemlos aus dem Bett.

Die Hälfte der Woche wohne ich im Tösstal auf einem Campingplatz, in meinem 50 Quadratmeter grossen Tiny House, das ich mir selber gebaut habe; die anderen Tage lebe ich mit meinem Partner Daniel in der ausgebauten Scheune eines alten Bauernhauses in Meilen. Auch nicht besonders konventionell. Ich weiss. Aber als Mensch, der eine langjährige, heftige Suchtvergangenheit mit Heroin und Kokain hinter sich hat und immer ein abenteuerliches Leben geführt hat, wäre es schlicht undenkbar, mit einem Ehemann in einer Dreizimmer-Mietwohnung zu sein.

Bin ich im Tösstal, fahre ich um 5.20 Uhr mit meinem unübersehbaren lemongrünen Suzuki-Jeepli los, in Meilen starte ich jeweils zehn Minuten später. Den ersten Kaffee gibt’s noch daheim, den zweiten während der Autofahrt. Um 6 Uhr beginne ich mit meiner Arbeit als Gärtnerin im Blumenrain. Ich bin zuständig für die Blumendekorationen im Foyer und im Speisesaal, für alle Topfpflanzen und den grossen Garten. Die erste Stunde bin ich noch die Einzige im Haus, die schon auf den Beinen ist. Das sind Momente, die ich schätze. Dann kann ich vieles erledigen, was vom Vortag liegengeblieben ist. Um 7 Uhr geht der Betrieb dann richtig los. Der Nachtdienst wird abgelöst, das Küchenpersonal legt los, die ersten Bewohnerinnen und Bewohner zeigen sich auf den Gängen.

Ich bin leidenschaftlich gern Gärtnerin. Am allerliebsten kümmere ich mich um den grossen Garten, schneide Bäume, Stauden, Sträucher. Ich mag körperliche Arbeit und verlege auch gern Platten, um dem Personal zum Beispiel einen Platz direkt vor dem Haus parat zu machen, auf dem sie sich zum Rauchen treffen können. Für die alten Menschen bin ich nicht nur die gute Gartenfee, sondern sie wissen, dass ich auch immer für einen kleinen Schwatz zu haben bin. Das schätzen sie sehr.

Um 9.40 Uhr habe ich 20 Minuten Pause, die ich mit dem Reinigungsteam verbringe, dem ich zugeteilt bin. Ich esse ein paar Früchte und trinke einen Ingwertee – das wird uns alles offeriert. Mit der Pause ist es bei mir so eine Sache. Ich fahre dann energiemässig jeweils so stark runter, dass ich Mühe habe, wieder auf Touren zu kommen. Die Lösung? Ich verzichte oft auf diesen Break und arbeite durch. Am Mittag setze ich mich dann aber auf jeden Fall mit meinen Kolleginnen und Kollegen zum Essen zusammen. Nicht zuletzt wegen meinem Gewicht. Momentan bringe ich 51 Kilogramm auf die Waage, das ist viel für meine Verhältnisse und tut mir gut. Es dürfen einfach nicht weniger als 50 Kilogramm sein.

Nachmittags bin ich in der Regel bis 14.30 Uhr im Blumenrain. Dann habe ich mein Soll erfüllt, so früh wie ich jeweils beginne. Den Rest des Tages verbringe ich mit verschiedenen Aktivitäten. Zum Einen muss ich regelmässig in die Physiotherapie und zum Osteopathen. Wie alle Gärtner und Gärtnerinnen habe auch ich Probleme mit dem Rücken und muss meinem Körper Sorge tragen. Abend für Abend mache ich Dehn- und Stretchingübungen, um die Schmerzen in Schach zu halten. Die Gärtnerei ist nun mal meine Leidenschaft, die mir gleichzeitig auch Leiden verschafft. Auch meine 13 Jahre als Gärtnerin auf dem Friedhof Zollikon möchte ich nicht missen; diese Tätigkeit hat mich ausgesprochen glücklich gemacht und mir erlaubt, eine grosse, wohltuende Distanz zu meiner Suchtgeschichte  zu bekommen.

Doch weil ich mir bewusst bin, dass ich kaum bis zur Pensionierung in diesem Beruf tätig sein werde, habe ich mich während zweieinhalb Jahren zur biblisch-therapeutischen Seelsorgerin ausbilden lassen. Bereits heute führe ich an mehreren Nachmittagen pro Woche Begleitungsgespräche mit Menschen, die psychische Probleme haben. In einem Spital oder Gefängnis würde ich ziemlich sicher eine Beschäftigung als Seelsorgerin finden, so gefragt ist mein Angebot. Zur Zeit aber halte ich lieber an meinem 80 Prozent-Job im Blumenrain fest; es wäre mir fast zu viel, den ganzen Tag als Seelsorgerin zu arbeiten.

Verbringe ich einen Tag im Tösstal, kehre ich gegen den späten Nachmittag auf den Campingplatz zurück. In den Wintermonaten gibt es dann einiges zu tun. Ich muss einfeuern; dazu habe ich mir im Herbst vier Ster Holz kommen lassen. Um über genügend Wasser zu verfügen, habe ich mir einen 1000 Liter-Tank besorgt, in dem ich Regenwasser sammle. Damit kann ich waschen und das Geschirr spülen; zum Trinken eignet es sich aber nicht. Im Haus selber habe ich einen Elektroherd mit zwei Platten und einem Backofen; plus WC und Dusche. Mit meinen zwei Zimmern, dem eigentlichen Campingwagen und einem Vorbau, bin ich sehr zufrieden.

Mein Tiny House habe ich übrigens grün-gelb-rot angemalt, den Farben der Karibikinsel Grenada. Der Grund? Vor zwei Jahren habe ich mir gemeinsam mit einem Kollegen einen Lebenstraum erfüllt. Wir haben mit einem Segelboot den Atlantik überquert und sind nach 22 Tagen in Grenada an Land gegangen. Dieses Erlebnis hat mich glücklich und unglaublich stolz gemacht.

Dass ich keinen Fernseher habe, stört mich nicht. Ich bin abends sowieso dermassen erschöpft, dass ich höchstens noch ein paar Seiten in einer Biografie lesen mag und spätestens um 20 Uhr das Licht lösche. Wenn mich nicht irgendein persönliches Problem plagt, bin ich eine gute Schläferin.»

Claudia Denzler ist mit ihrer berührenden Lebensgeschichte am Donnerstag, 29. Februar, im «Talk am Puls» zu Gast bei Barbara Lukesch und Simon Gebs. Ab 18 Uhr gibt es im Café am Puls einee feine Suppe oder das beliebte Fleisch-Käse-Plättli. Der Talk beginnt um 19.30 Uhr.

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