«Ich würde gerne einen Kebab-Stand führen»

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10. November 2023 – Zum Start der dritten Saison des «Talk am Puls» war der reformierte Pfarrer Christian Walti bei Barbara Lukesch zu Gast. Themen waren die Rolle der Kirche in der heutigen Zeit, Waltis «Death Café» in Bern und die Frage, ob es künftig überhaupt noch Pfarrer brauche.

Stimmungsvolles Ambiente im Café am Puls (Foto/Video: ys)
Stimmungsvolles Ambiente im Café am Puls (Foto/Video: ys)

VON YANNICK STAUBLI

Vor knapp 50 Zuhörerinnen und Zuhörern eröffnete Simon Gebs im «Café am Puls» in stimmungsvollem Ambiente einen inspirierenden Diskussionsabend. Mit sichtlichem Stolz stellte der Zolliker Pfarrer seinen Berner Berufskollegen Christian Walti vor. Selbst in Zollikon aufgewachsen, entschied sich dieser für das Theologie-Studium und bahnte sich – mit Gebs als Mentor – den Weg zum eigenen Pfarramt im Quartier Holligen in Bern.

In diesem eher kirchenfernen Quartier sei es wichtig, mit den Menschen einfach mal unkompliziert in Kontakt zu kommen und Vertrauen aufzubauen, sagte Walti. Sehr viele Leute hätten kaum mehr eine Beziehung zur Kirche und seien ihr gegenüber eher skeptisch eingestellt, was es für ihn und sein Team zu einer Herausforderung mache, überhaupt wirken zu können.

Als Beispiel für eine unkomplizierte Kontaktaufnahme nannte er die Aktion «Das Pfarramt uf de Gass», eine freche, unkonventionelle Herangehensweise an den Pfarrerjob:

Waltis Begeisterung für den Austausch mit den Menschen war für das Publikum im «Café am Puls» greifbar. Auf die Frage, was er denn anstelle des Pfarrerberufs sonst machen würde, meinte er: «Ich würde einen Kebab-Stand aufmachen. Ich mag das Essen, finde die Zubereitung genial und liebe es, dass man tagtäglich mit vielen Menschen unkompliziert in Kontakt kommen kann.»

Ein Wohnzimmer für alle

Es wurde zwar letzten Endes keine Kebab-Bude, doch kurz nach seiner Ankunft in Bern gründete Walti im Verbund mit jungen Menschen aus dem Quartier einen Verein. Zusammen mit der katholischen Kirche und der Stiftung «wohnenbern» funktionierte man die nicht genutzte Brache der ehemaligen Kehrricht-Verbrennungsanlage zu einem Begegnungsraum inklusive Restaurant und Bar um.

Im DOCK8 fänden seither eine «kurlige» Mischung von Leuten ein «öffentliches Wohnzimmer» zum Verweilen vor – und er als Pfarrer die Möglichkeit, eine vertrauensvolle Beziehung zu diesen Menschen aufzubauen. Die BesucherInnen, die häufig arbeits- und obdachlos sind, bekommen hier einen gratis Zugang zur Zeitung, zum Internet und zu einer warmen Mahlzeit.

Dafür Bedingungen stellen will Walti aber nicht: «Die Menschen für eine Mahlzeit in den Gottesdienst zu zwingen, geht komplett gegen mein Verständnis von Kirche. Im DOCK8 soll man nichts müssen. Ich bin überzeugt, dass genau deswegen die Begegnungen letzten Endes umso bereichernder sind. Am Schluss sind wir alle gleich, alle ein bisschen betrunken und zusammen über die Rolle von Gott am Philosophieren.»

«Death Café» – Auseinandersetzung mit dem Tod

Den Begegnungsort im DOCK8 nutzt Walti mit seinem Team auch regelmässig für Veranstaltungen. Eine davon ist das «Death Café», welches der Pfarrer bereits seit acht Jahren einmal im Monat durchführt. Dabei sollen die Menschen Gelegenheit haben, sich im intimen Kreis über ihre Gedanken, Ängste und Zweifel rund um das schwierige Thema Tod auszutauschen.

«Es ist ein Thema, bei dem vielen Menschen die richtigen Worte fehlen», sagt Walti, «viele setzen sich sehr einsam mit ihrer Gefühlswelt diesbezüglich auseinander und würden gerne wissen, ob sie mit ihren Gedanken alleine stehen oder ob andere sich ähnlich fühlen.»

Er sei zwar bei der erstmaligen Durchführung fast von einer Lawine von Medieninteresse überrollt worden, bei den Veranstaltungen tauchten dann aber meist nur 10 bis 15 Menschen auf. Es gebe keine Stammgäste, und es seien immer sehr unterschiedliche Zusammensetzungen, sowohl in Bezug auf das Alter wie auch auf das Geschlecht oder die Motivation für den Besuch: «Wir fragen niemanden nach dem Namen oder dem Grund fürs Dasein, man kann auch einfach zuhören.» Den Abend beginne und beende er immer mit einem Ritual, sagt Walti, denn es sei für die Menschen und auch für ihn als Pfarrer wichtig, dass das doch schwere Thema jeweils auch wieder bewusst abgeschlossen werde und anderen, positiveren Gedanken und Gefühlen Platz machen könne.

Intensive Abende

Die Motivation für das «Death Café» entstand bei Walti durch ein Gefühl von eigener Unwissenheit: «Ich hatte zu Beginn meiner Arbeit sehr viele Abdankungen und merkte, dass mich das Studium nicht wirklich darauf vorbereitet hatte, was die Menschen in diesen Momenten beschäftigt und was ihnen überhaupt helfen würde. Ich dachte mir, dass es wichtig wäre zu wissen, welche Fragen und Gefühle die Menschen in diesen Momenten umtreiben.»

Es seien intensive, teils traurige, teils aber auch sehr humorvolle Abende mit spannenden Diskussionen, sagt Walti. Er lerne immer wieder Neues dazu und finde es schön zu merken, dass die Besucherinnen und Besucher etwas Positives aus den Gesprächen mitnehmen.

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