Immer auf Achse

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1. Mai 2025 – Der 70-jährige Primarlehrer Adrian Michael hat auch als Pensionär nichts von seiner Neugier und Unternehmungslust eingebüsst. Er wandert, bereist mit dem Zug die Schweiz, schreibt Artikel oder lernt Gedichte von Schiller auswendig. Am 8. Mai ist er Gast im Talk am Puls.

Adrian Michael (Illustration: Willi Spirig)
Adrian Michael (Illustration: Willi Spirig)

Auch wenn seit meiner Pensionierung kaum ein Tag wie der andere verläuft, ist der Morgen immer ziemlich gleich: Kaffee, Zeitung, Sofa. Seitdem ich mich vor einiger Zeit dabei ertappt habe, dass ich frühstücke, ohne Hunger zu verspüren, verzichte ich darauf, das geht wunderbar.

Oft fahre ich weg. Ich mag Zugfahrten; das GA ermöglicht mir unkompliziertes Reisen in zahlreichen Verkehrsmitteln. Gern besuche ich Sehenswürdigkeiten an Orten, wo ich noch nie gewesen bin wie die Sandsteinhöhlen von Lobsigen, das Centre Albert Anker in Sins oder das grossartige Thuner-Panorama. Zmittag gibt es jeweils am Zielort oder im Speisewagen, was ich besonders gern mag.  Manchmal führen solche Besuche zu einem Artikel in Wikipedia, für die ich seit rund 20 Jahren tätig bin.

Manchmal sind die Ausflüge verbunden mit einer Wanderung. Dafür schaue ich am Vortag auf die Karte: Welche Gegend lohnt sich erkundet zu werden, wo gibts ein Tal, in dem ich noch nie war oder ein Berg, den zu ersteigen (oder auch mit einem Bähnli zu erfahren) sich lohnt? Bei solchen Ausflügen staune ich immer wieder über die unglaubliche landschaftliche Vielfalt, die die Schweiz bietet. An anderen Orten fährt man stundenlang geradeaus, und es sieht immer gleich aus. Bei uns kann man innerhalb einer Stunde in einer vollkommen anderen Umgebung sein.

Wenn ich nicht wegfahre, „arbeite“ ich, das heisst, ich schreibe. Zu schreiben habe ich eigentlich immer etwas, sei es ein Bericht für das Zolliker Jahrheft, Texte für ein Projekt über Flurnamen des Verschönerungsvereins oder einen Artikel für ZollikerNews.ch. Beim Schreiben höre ich Musik. Meist sind es italienische Belcanto-Opern, Symphonien oder Klavierkonzerte. Hin und wieder kommen Klassiker der Popmusik und Oldies aus meiner Jugendzeit zu Ehren oder auch mal die grossartigen Lieder von Johnny Cash.

Weil ich vor ungefähr einem Jahr damit begonnen habe, klassische deutsche Gedichte auswendig zu lernen, liegt in meiner Wohnung praktisch immer ein Blatt mit einem Text, zur Zeit ist es Schillers Ballade «Der Handschuh»: «Vor seinem Löwengarten, das Kampfspiel zu erwarten, sass König Franz … « Einerseits tue ich damit etwas für mein Gedächtnis, andererseits fasziniert mich neben den mitunter dramatischen Geschichten auch der Rhythmus sowie die Sprachkunst der Dichter und Dichterinnen.

Samstags treffe ich mich seit mehr als zehn Jahren mit meinem Cousin regelmässig zu einem Bier in der Stadt. Wir unterhalten uns über die städtische Politik, Serien und natürlich Popmusik. Vor vielen Jahren führte er im Niederdorf erfolgreich das „Musicland,“ ein Geheimtipp, wo es die begehrten Direktimporte aus den USA zu kaufen gab. Als Jugendlicher habe ich ihn sehr bewundert, stellte er doch mit seinen langen Haaren, dem bestickten afghanischen Pelzmantel und seinem Musikgeschmack den Prototyp eines Hippies dar, sehr cool. Und dass er einmal John Lennon in der Rhätischen Bahn gegenübersass, hat mich natürlich am allermeisten beeindruckt.

Bei schönem Wetter fahre ich manchmal mit dem Schiff vom Bürkliplatz nach Rapperswil und mit dem Zug wieder zurück. Auf der zweistündigen Fahrt kann ich bei einem Schluck «Käpt’ns-Wein» essen, lesen, etwas schreiben oder einfach die Dörfer ruhig an mir vorbeiziehen lassen.

In der Stadt gehe ich gern ins Kunsthaus, wo ich die grossartigen Gemälde der grossen Meister immer wieder gerne betrachte. Die Moderne hingegen sagt mir weniger zu, die Bilder berühren mich nicht.

Tage, an denen ich einfach nur zu Hause bin, gibt es kaum. Höchstens vielleicht, um wieder einmal den sich rasant vermehrenden Staubmäusen zu Leibe zu rücken, Küche und Bad gründlich zu putzen oder einen Berg Wäsche wegzubügeln.

Hin und wieder helfe ich auch für einen Tag in einer Klasse im Oescher aus. Da die betreffende Lehrerin nach meiner Pensionierung im Sommer 2017 mein Klassenzimmer übernommen hat, ist es für mich ein nostalgisches «Heimkommen». Noch immer erinnert manches an die acht Jahre, die ich dort unterrichtet habe. So hängt zum Beispiel immer noch ein Blatt an der Wand, das ich vor vielen Jahren aufgehängt habe. Darauf steht: «Wer fragt, scheint unwissend, wer nicht fragt, bleibt es.» Solange sich die Kinder freuen, wenn ich komme, helfe ich gern aus. Ich darf ja dann das Schönste an meinem Beruf ausleben: mit den Kindern in der Klasse arbeiten, aber ohne Prüfungen, Korrekturarbeiten und Sitzungen.

Abends gehe ich gern mit jemandem essen oder bereite mir selber etwas zu. Anschliessend habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, so gegen 19:30 Uhr noch für etwa eine Dreiviertelstunde auf die Allmend und im Wald spazieren zu gehen, auch bei Regen oder Dunkelheit – ein ruhiger Tagesausklang. Dann schaue ich mir vielleicht noch eine Episode aus einer Serie an oder eine Doku, gerne zu historischen Themen. Dabei erfahre ich immer wieder etwas Neues und manchmal denke ich, schade, dass ich das nicht früher gewusst habe, das hätte ich gern den Kindern erzählt. Gegen 22 Uhr ist Lichterlöschen, ich schlafe immer sofort ein.»

«Talk am Puls», Donnerstag, 8. Mai. Die Bar öffnet um 19 Uhr, Talk um 19.30 Uhr, anschliessend gemütliches Beisammensein. Eintritt frei. Gastgeber im Café am Puls ist Pfarrer Simon Gebs.

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