Vom Glück, auf der richtigen Seite zu leben
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30. April 2025 – Heute ist Abgabetermin für die Steuererklärung 2024. Die Rechnung fällt für die EinwohnerInnen diesseits und jenseits der Zolliker-Zürcher-Gemeindegrenze sehr unterschiedlich aus. Ist das gerecht? Wir befragten die natürliche Intelligenz – und die künstliche. Und staunten.
30. April 2025 – Heute ist Abgabetermin für die Steuererklärung 2024. Die Rechnung fällt für die EinwohnerInnen diesseits und jenseits der Zolliker-Zürcher-Gemeindegrenze sehr unterschiedlich aus. Ist das gerecht? Wir befragten die natürliche Intelligenz – und die künstliche. Und staunten.

VON RENE STAUBLI
Unten auf der Karte ist die Gemeindegrenze zwischen Zollikon und Zürich rot eingezeichnet. Die Zürcher und die Zolliker Wohnhäuser «Im Walder» und am «Blumenrain» liegen nur wenige Meter auseinander. Mit einem steuerbaren Einkommen von 150’000 Franken und einem steuerbaren Vermögen von 100’000 Franken bezahlt ein erwerbstätiges Paar – er katholisch, sie evangelisch – auf der Zürcher Seite 20’512.05 Fr. Staats- und Gemeindesteuern. Dem benachbarten Paar in Zollikon werden nur 16’455.30 Fr. in Rechnung gestellt. Die Differenz beträgt 4’056.75 Fr, was über 10 Jahre die stattliche Summe von rund 40’000 Franken ausmacht, den Preis eines gut ausgestatteten VW Golf.

Der Zolliker Steuerfuss liegt derzeit bei 76 Prozent der einfachen Staatsteuer, der Zürcher Steuerfuss bei 119 Prozent. Womit ist die grosse Differenz von 43 Prozent zu rechtfertigen? Wo man doch praktisch am selben Fleck wohnt? Ist das gerecht?
Mit dieser Frage wenden wir uns an die natürliche Intelligenz, angesiedelt beim Generalsekretariat der Finanzdirektion des Kantons Zürich – und erhalten vom Kommunikationsbeauftragten eine klassische 08.15-Antwort: «Die Differenz geht auf die unterschiedlichen Gemeindesteuerfüsse der Stadt Zürich und der Gemeinde Zollikon zurück.» Vielen Dank, sehr aufschlussreich.
Etwas frustriert wenden wir uns an die künstliche Intelligenz und fragen aus der Sicht eines interessierten Zolliker Steuerpflichtigen: «Ist es nicht ungerecht, dass unsere Nachbarn, die nur 20 Meter entfernt auf Stadtzürcher Boden wohnen, so viel mehr Steuern bezahlen müssen als wir?»
Die künstliche Intelligenz antwortet nicht erst nach Tagen wie die chronisch überlastete natürliche, sondern umgehend. Und nicht mit einer Binsenwahrheit, sondern mit einer ausführlichen Erklärung:
«Das ist eine berechtigte Frage – und du bist definitiv nicht der Erste, der sich das denkt. Die Unterschiede bei den Steuern in der Schweiz können tatsächlich frappierend sein, selbst wenn man nur wenige hundert Meter voneinander entfernt wohnt. Aber ‹ungerecht› ist dabei ein ziemlich subjektives Wort. Lass uns das mal ein bisschen aufdröseln: Warum gibt es solche Unterschiede?
In der Schweiz ist das Steuersystem stark föderal aufgebaut. Das bedeutet: Bund, Kanton und Gemeinde erheben alle Steuern. Die Gemeinden und Kantone haben einen grossen Spielraum, wie hoch sie die Steuern ansetzen. Deshalb gibt es grosse Unterschiede zwischen verschiedenen Gemeinden – selbst innerhalb desselben Kantons wie Zürich.
Zollikon z.B. hat traditionell sehr tiefe Steuerfüsse, weil die Gemeinde reich ist, viele wohlhabende Steuerzahler hat und dadurch mit tiefen Steuern trotzdem genug Einnahmen erzielt. Der Bedarf an staatlicher Unterstützung (z.B. Sozialhilfe) ist eher gering.
Zürich hingegen hat eine viel diversere Bevölkerung. Die Stadt trägt höhere soziale Lasten (Infrastruktur, Sozialhilfe etc.). Diese muss sie mit höheren Steuern auffangen.
Ist das ungerecht? Kommt drauf an, wie man Gerechtigkeit definiert:
Leistungsgerechtigkeit: «Wer viel nutzt oder braucht, zahlt mehr» – dann wäre es vielleicht gerecht, dass man in Zürich mehr zahlt.
Gleichheitsgerechtigkeit: «Alle zahlen gleich viel für die gleichen Leistungen» – dann wirkt es eher ungerecht, dass Zollikon günstiger ist. Oder man könnte sagen: Es ist halt einfach Teil des Systems, und man kann es ja bewusst ausnutzen (z. B. durch Umzug).
Interessiert es dich, wie man dieses System gerechter gestalten könnte?»
Wow, die künstliche Intelligenz fragt nach, ob man noch ein wenig mehr wissen möchte. Es nimmt uns natürlich Wunder, wie ein gerechteres Steuersystem nach Ansicht von ChatGPT aussehen könnte. «Aber klar», schreiben wir zurück: «mach das bitte!»
«Ansätze, um das System gerechter zu gestalten, könnten sein:
1. Stärkere Steuerharmonisierung zwischen Gemeinden: Man könnte Mindest- oder Zielvorgaben für die Steuerfüsse einführen, sodass extreme Unterschiede (wie Zürich vs. Zollikon) weniger drastisch sind.
2. Kantonal ausgeglichene Finanzausgleiche: Innerhalb des Kantons Zürich gibt es bereits einen Finanzausgleich zwischen reichen und ärmeren Gemeinden. Dieser könnte ausgebaut oder stärker gewichtet werden.
3. Verstärkte kantonale Finanzierung bestimmter Aufgaben: Wenn z.B. soziale Aufgaben (wie Gesundheitswesen, Bildung) stärker über den Kanton finanziert würden, wären Unterschiede im Steuerfuss weniger gravierend.
4. Einführung progressiver Gemeindesteuern: Heute ist der Steuersatz innerhalb einer Gemeinde meist proportional. Man könnte überlegen, innerhalb jeder Gemeinde progressive Ansätze einzubauen, sodass hohe Einkommen automatisch mehr beitragen – unabhängig vom Wohnort.
5. Stärkere Raumplanung und Durchmischung: Eine sozial und ökonomisch gemischte Bevölkerung in allen Gemeinden könnte verhindern, dass sich reiche Gemeinden abkapseln. Das ist natürlich ein langfristiges, strukturelles Thema.
Zusammengefasst: Man müsste Anreize setzen, dass die Lasten gerechter auf alle Gemeinden verteilt werden, ohne den Föderalismus komplett abzuschaffen. Es geht um ein besseres Gleichgewicht zwischen lokaler Autonomie und kantonaler Solidarität.»
Nicht schlecht, die künstliche Intelligenz. Das müsste der natürlichen Intelligenz bei der Finanzdirektion eigentlich zu denken geben.
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