Ludwig Hasler, der Hebammen-Künstler

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23. Februar 2022 – Der Zolliker Philosoph Ludwig Hasler hat mit seinem Bestseller «Für ein Alter, das noch was vorhat»* einen Nerv getroffen. In drei Serieteilen porträtieren wir Menschen, die sein Credo beherzigen. Hasler macht den Anfang.

Porträt Ludwig Hasler
Ludwig Hasler (Foto: bl)

Irgendwann war’s dann tatsächlich auch für ihn zuviel. Als Ludwig Hasler seinen siebten Vortrag in einer Woche auf dem 2500 Meter hohen Säntis gehalten hatte und sich beim verdienten Apéro Riche ein Glas Wein und ein paar Häppchen gönnen wollte, brach er zusammen. Der herbeigerufene Notarzt diagnostizierte einen Kollaps des 77-Jährigen, dessen Ursachen klar auf der Hand lagen: Müdigkeit, Höhe und – was dazu kam – die erst einen Tag zurückliegende Booster-Impfung.

Hasler wischt das Thema vom Tisch: «Nachher war Weihnachten, und ich hatte mehr als genug Zeit, um mich wieder zu erholen.» Er räumt immerhin ein, dass ihn abendliche Auftritte, dank denen er erst gegen Mitternacht nach Haus kommt, stärker strapazierten als früher. Aber sonst? Er lacht: «Nichts Schöneres als Tätigsein, Schaffen und Wirken.» Was beim Zolliker Philosophen und Publizisten so viel bedeutet wie Vorträge halten und Schreiben. Er brauche nach wie vor eine Aufgabe, die er als sinnvoll erachte: «Immer nur Urlaub machen, die Enkelkinder hüten und sich mit sich selber und seinen Gebresten beschäftigen, würde mich deprimieren.»

Vom Entsetzen zur Euphorie

Bereits mit 50 Jahren hatte er sich selbständig gemacht, um das «Leben auf der freien Wildbahn» rechtzeitig trainieren zu können. Die Vorstellung, mit 65 «Knall auf Fall» in die Pensionierung geschickt zu werden und nicht zu wissen, wie er sein weiteres Leben gestalten solle, habe ihn mit «blankem Entsetzen» erfüllt. Er stamme aus einer armen Familie und kenne nichts anderes als Schaffen.

Sein Entscheid war goldrichtig. Er konnte schnell einmal vom Publizieren leben, zunächst zwar auf eher bescheidenem Niveau, aber immerhin. Hasler schrieb Kolumnen, Kommentare, Essays und Bücher. Bald kamen auch die ersten Anfragen für Reden dazu.

Er habe gemerkt, erzählt er, dass ihn ein gelungener Auftritt vor Publikum «regelrecht euphorisiere». Sobald er auf einer Bühne stehe, beispielsweise im Rahmen eines Lehrerkonvents vor rund 4000 Personen, komme er in Fahrt. Er habe ein paar Notizen dabei, mehr nicht, spreche aber am liebsten eine Stunde lang frei, inspiriert von der spürbaren Resonanz seiner Zuhörer und Zuhörerinnen: «Solche Erlebnisse sind wie eine Droge für mich, die das vielbeschworene Glück des Nichtstuns immer in den Schatten stellen.»

Im Idealfall feiere er mit seinem Publikum ein Fest. Zuletzt geschehen im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL), wo er vor 1800 Leuten zum Thema «Die Kunst der Innovation» gesprochen und nach drei Minuten gespürt habe, wie sich seine Zuhörerschaft «wie ein einziger Körper» nach vorne geneigt habe und seinen Worten hochkonzentriert gefolgt sei.

Auf den Spuren von Sokrates

Fragt man ihn nach seinem Erfolgsrezept, zögert er eine Weile. Er könne wohl recht gut denken, konstatiert er, schaffe es aber so zu reden, dass ihn alle verstehen. Dabei helfe ihm seine Fähigkeit, einprägsame Bilder und Vergleiche zu kreieren. So bekomme er denn auch häufig ein Feedback, das ihn wirklich freue. Leute sagten ihm, nach kurzer Zeit habe ihr Hirn beim Zuhören auf aktives Mitdenken geschaltet. Das entspreche genau jener Definition von Sokrates, der die Philosophie als «Hebammen-Kunst» verstanden habe und nicht als «Akt des Hineinstopfens von Weisheiten in die Köpfe anderer Menschen.»

Offenbar gelingt ihm dieser Gedankentransfer gut und zwar in nahezu allen Branchen. Hasler tritt sowohl an der Schweizer Bautagung vor 800 Fachleuten auf als auch an Gesundheitskongressen vor Ärztinnen, Pflegefachleuten und Spitaldirektoren oder an IT-Symposien, wo er sich in sein Lieblingsthema Digitalisierung vertiefen kann, oder an der 1. August-Feier 2015 in Zollikon. Finanziell seien diese Verpflichtungen, so Hasler mit einem Schmunzeln, «durchaus interessant». Kein Wunder, sehnt er sich überhaupt nicht nach dem Aufhören.

140 Seiten wie unter Strom

Um so härter traf ihn dann die Pandemie, die das Vortragsbusiness monatelang lahmlegte. Er hatte zwar viel zu tun, weil er zahlreiche Aufträge für Essays und Kolumnen bekam. Aber richtig glücklich wurde er nicht. Das Schreiben sei eine einsame Sache und gefalle ihm nur dann gut, wenn er dazwischen wieder auf die Bühne könne. Was tun? Vorträge per Zoom lehnt er ab, weil er nicht in ein schwarzes Loch hineinreden will, ohne Echo und Resonanz.

Seine Frau riet ihm dazu, endlich wieder einmal ein Buch zu schreiben. Nur: worüber? Er tat sich schwer mit der Themensuche, bis ihn ein Freund – angeregt von einem seiner Vorträge – dazu drängte, einen grossen Essay über das Alter zu schreiben. «Irgendetwas an dieser Idee reizte mich», erinnert sich Hasler. Im Nu hatte er einen Verlag gefunden und schrieb die 140 Seiten wie unter Strom. «Ich merkte schnell, dass ich mit meinen Ausführungen den Kern des Themas Alter traf.»

Im März 2020 lag das Manuskript vor, im September stand Ludwig Haslers Plädoyer «Für ein Alter, das noch was vorhat» in den Buchläden. Der Verkauf ging durch die Decke, die erste Auflage war innert Kürze weg und Platz 1 der Bestsellerliste gestürmt.

Inspiriert von seinen eigenen Erfahrungen ist das Buch ein flammender Appell für ein aktives Alter geworden, das sich nicht im Besuchen von Kursen und Reisen auf Kreuzfahrtschiffen erschöpft, sondern auch das «Mitwirken an der Zukunft» umfasst, wie es im Untertitel heisst. Ein Mitwirken an einer Zukunft, wie Hasler im Gespräch ergänzt, die nicht mehr die eigene sein müsse, und der er am besten dienen könne, indem er mit jungen Menschen zusammenarbeite. Die «Jung & Alt»-Kolumne in den CH-Medien, die er abwechselnd mit der 27-jährigen Journalistin Samantha Zaugg verfasse, sei ein Beispiel für eine solche gelungene Kooperation.

4. Auflage, 17’000 verkaufte Exemplare

Inzwischen ist «Das Alter, das noch was vorhat» fast 17’000mal verkauft worden und liegt in der 4. Auflage vor. Hasler hat längst eine rege Vortragstätigkeit dazu aufgenommen und tourt durch die Schweiz, aber auch das deutschsprachige Ausland. Mit dem Abklingen der Pandemie haben die Anfragen nochmals zugenommen, und sein Terminkalender füllt sich wieder in horrendem Tempo.

Ludwig Hasler wird dieses Jahr 78. Was löst die Vorstellung bei ihm aus, eines Tages einmal kürzertreten zu müssen. Unwirsch knurrt er: «Nichts Schönes». Doch dann zählt er mögliche Alternativen auf. Er würde wohl mehr schreiben, auch Essays und Beiträge für Bücher oder nochmals ein eigenes. Denkbar sei aber auch, dass er sich noch stärker mit dem Thema Alter identifizieren und in diesem Bereich aktiv werden würde. Als Reaktion auf sein Buch seien nämlich zwei Stiftungen gegründet worden, darunter das «Generationenforum Zürich», in dem er durchaus ein attraktives Wirkungsfeld für sich sehe. (bl)

Cover Buch von Hasler

*Ludwig Hasler, Für ein Alter, das noch was vorhat – Mitwirken an der Zukunft, rüffer & rub, 2020

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