«Nicht lange diskutieren! Machen!»

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15. März 2022 – Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine sind inzwischen auch in der Gemeinde Zollikon spürbar. Die ersten Flüchtlinge mit ihren Kindern sind eingetroffen und brauchen Hilfe. Pfarrer Simon Gebs schätzt die aktuelle Situation ein. Dazu die neuesten Informationen der Gemeinde.

Karte Ukraine und Zollikon hilft
Zollikon hilft Flüchtlingen aus der Ukraine

Man hat Glück, dass man Pfarrer Simon Gebs heute Nachmittag kurz vor 15 Uhr erreicht. Er habe allein am Vormittag mindestens 25 telefonische Anfragen beantwortet, erzählt er, obwohl er unterwegs gewesen sei.

Der reformierte Pfarrer betont, wie sehr ihn das gemeinsame Vorgehen aller in Zollikon und Zollikerberg berühre: angefangen bei der Gemeindeverwaltung über die Schule, wo Wochenend- und Nachtschichten geleistet wurden, um beispielsweise die DaZ-Klasse im Schulhaus Oescher  aus dem Boden zu stampfen, die beiden Kirchen, dazu die vielen Freiwilligen: «Das ist alles sehr eindrücklich.»

Besonders gefreut habe ihn natürlich, dass es künftig jeden Mittwoch um 18 Uhr  in der reformierten Kirche Zollikerberg ein ökumenisches Friedensgebet geben werde, mit wechselnden Zweierteams, Liedern, einer Lesung, einem Input und einem Kerzenritual. Damit wolle man einen Ort schaffen, an dem man sich mit andern verbinden, durchatmen und die Erfahrung von Betroffenheit, auch Ohnmacht, Angst oder Wut teilen könne.

Er selber spüre, dass die Belastung, die dieser Krieg mit sich bringe, auch für ihn und all die Menschen, mit denen er täglich zu tun habe, anders als alles bisher Erlebte sei: «Ich habe in meinem bisherigen Leben noch nie eine solche Erfahrung gemacht». Auch die Begegnung mit syrischen Flüchtlingen 2015 sei unter die Haut gegangen: «Aber diesmal sind die Auswirkungen noch massiver und geballter.»

Man dürfe nicht vergessen, dass wir nach zwei Jahren Pandemie und mehrmaligen Lockdowns mit nur kurzen Phasen der Erholung direkt in den nächsten Ausnahmezustand geraten sind: «Das hängt vielen an.»

«Wir können und müssen nicht trösten»

Fragt man ihn, was man denn den Flüchtlingen unter solchen Umständen bieten könne, seufzt er: «Wir können und müssen nicht trösten.» Man könne der Frau, die seit acht Tagen keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann und ihren Eltern in Kiew hatte, nicht sagen: «Das kommt schon gut.» Nein, billiger Trost sei tabu.

Was vielleicht helfe, sei der Versuch, den Frauen und ihren Kindern ein Stück Normalität zu ermöglichen, indem beispielsweise die Buben und Mädchen schnell in die Schule gehen können oder die Familien so reibungslos wie möglich zu einem Gratis-Billet für den Öffentlichen Verkehr kommen, auch Erwachsene eine Tagesstruktur erhalten oder Freizeitaktivitäten organisiert werden.

Wertvoll könne auch die Bereitschaft sein, gemeinsam mit den Betroffenen die belastende Situation auszuhalten, aber auch so etwas wie trotzigen Widerstand zu zeigen: «Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir sind für euch da.» In erster Linie müsse man jedoch gut zuhören, um zu erkunden, was sie wirklich brauchen.

Treffpunkt Café am Puls

Einer der Wünsche, die sich schnell herauskristallisierten, war jener nach dem Austausch mit anderen Landsleuten. Da kam das Café am Puls (CaP) neben der reformierten Kirche in Zollikerberg wie gerufen. Gemeinsam mit der Gemeinde, die bereit war zu unbürokratischen Entscheiden, habe man innert Kürze beschlossen, den Flüchtlingsfrauen und ihren Kindern im Café am Puls einen Ort zu offerieren, wo sie sich treffen und austauschen, WLAN nutzen, gratis Kaffee, Kuchen und Gipfeli konsumieren können. Morgen Mittwoch-Nachmittag (15.3.) um 14 Uhr informieren die beiden Pfarrer Simon Gebs und sein katholischer Kollege Pascal Marquard und Gaby Scheidegger von der Fachstelle Alter und Gesundheit vor Ort über das Angebot.

Gefragt, wie man es schaffe, die Betroffenen auch wirklich zu erreichen, schmunzelt Gebs. Da liefen heutzutage verschiedene Drähte heiss: Mund zu Mund-Propaganda in einem Dorf, wo die Wege kurz seien; Telefon, Mail, Whatsapp, dazu natürlich Social Media: «Eine Zollikerin, die in Singapur lebt, hat auf Facebook gepostet, dass man sich an Pfarrer Gebs wenden solle.»

Zur Zeit funktioniere man voll und ganz nach dem Prinzip Learning by doing. Regeln und Vereinbarungen gebe es noch keine. Entscheidend sei die Devise: «Nicht lange diskutieren! Machen!» (bl)

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Informationen der Gemeinde

In Zollikon haben sich bereits 25 Personen in Gastfamilien angemeldet. Bürgerinnen und Bürger, die ihnen helfen wollen, können sich an folgenden Orten informieren:

Anlaufstelle für Flüchtlinge und Gastfamilien in der Gemeinde: Der Sozialdienst der Gemeinde Zollikon hilft Flüchtlingen aus der Ukraine und der Bevölkerung weiter bei Fragen rund um die Unterbringung (Angebote von Privatunterbringungen) und die Notfallunterstützung: Sozialdienst der Gemeinde Zollikon, 044 395 35 60 oder sozialdienst@zollikon.ch.

Freiwilligenarbeit für die Flüchtlinge aus der Ukraine: Es ist wichtig, dass die Hilfe koordiniert und bedürfnisorientiert angeboten wird. Im Bereich Freiwilligenarbeit ist die Fachstelle Alter und Gesundheit die richtige Anlaufstelle: Fachstelle für das Alter und Gesundheit, Rosengartenstr. 3, 8125 Zollikerberg, 044 391 60 86, fachstelle.alterundgesundheit@spitex-zollikon.ch

Die Fachstelle Alter und Gesundheit nimmt Anfragen für Hilfsangebote, die zur Freizeitgestaltung und der Integration der Flüchtlinge sowie zur Unterstützung der Gastfamilien dienen, entgegen und koordiniert sie in enger Zusammenarbeit mit den katholischen und reformierten Kirchgemeinden. Als niederschwelliger Treffpunkt steht für Flüchtlinge zudem von Montag bis Freitag, 10 bis 17 Uhr, das «Café am Puls» im reformierten Kirchgemeindehaus Zollikerberg zur Verfügung.

Eröffnung DaZ-Klasse im Schulhaus Oescher für schulpflichtige Kinder: Die Schule Zollikon hat eine DaZ-Klasse (DaZ=Deutsch als Zweitsprache) für schulpflichtige Kinder eröffnet, die in Zollikon bei Familien aufgenommen worden sind. Die DaZ-Klasse wird im Moment altersdurchmischt von der 1. Primarklasse bis zur 3. Sekundarschule geführt. Kindergartenkinder werden direkt in die regulären Kindergartenklassen integriert. Sollten weitere Kinder in Zollikon ankommen, ist geplant, die Klassen in Altersgruppen aufzuteilen. Dazu wird Zollikon, um Synergien zu nutzen, sowohl mit Zumikon als auch mit Küsnacht zusammenarbeiten.

Die Webseite der Gemeinde Zollikon gibt einen laufend aktualisierten Überblick rund um Informationen zum Ukraine-Konflikt mit zusätzlichen Hinweisen zu den kantonalen Koordinationsstellen und neusten Informationen wie beispielsweise dem Schutzstatus S, der seit dem 12. März 2022 für Schutzbedürftige aus der Ukraine eingeführt worden ist.

Kontakte: Gabriela Scheidegger, Fachstelle Alter und Gesundheit, 044 391 60 86; Simon Gebs, Pfarrer reformierte Kirche Zollikon, 044 391 45 65; Corinne Hoss-Blatter, Schulpräsidentin, 079 414 85 14, Urs Rechsteiner, Leiter Bildung, 079 661 86 15.

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Ich empfinde in den letzten Wochen den Einfluss der Social Media Plattformen als unangenehm und laut. Plötzlich ist jeder nicht nur Covid- sondern auch noch Ukraine-Experte und muss es auf Instagram, Twitter und anderen Kanälen kundtun. Und plötzlich ist jeder ein Gutmensch.

Die Gemeinde Zollikon hat 1998 während des Kosovokrieges viele Flüchtlinge aufgenommen; viele Flüchtlingskinder gingen hier zur Schule. Dies geschah still, leise und selbstverständlich – auch in der Schule Zollikon.

Manchmal wünsche ich mir die „gute“ alte Zeit zurück. Aber das ist wohl eine Alterserscheinung meinerseits.

Guten Abend Frau Hildebrandt

Wie Sie bereits selber bemerkt haben, hat sich seit 1998 viel geändert, die Kommunikationskanäle sind andere geworden. Eventuell haben Sie damals auch einfach nicht alles mitbekommen, was geredet wurde?

Anstatt sich darüber zu empören, dass „Gutmenschen“ (was bitte ist daran verwerflich, ein „Guter-Mensch“ zu sein?), freuen Sie sich doch lieber darüber, dass auch heute noch die Gemeinde Zollikon hilft, wenn Hilfe gefragt ist.

Ich wünsche Ihnen an Ihrem neuen, ruhigeren Wohnort, der ja nun bekanntlich ausserhalb der Gemeinde Zollikon liegt, alles Gute, vielleicht werden sie mit der Zeit auch in Wald ab und an Ukrainisch sprechende Menschen hören.

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

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