Pengcheng Zhang im Wohnheim Beugi

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17. Februar 2023 – Pengcheng Zhang studiert Mathematik an der Uni Zürich und wohnt seit zehn Monaten im Studentenwohnheim Beugi. Er schätzt an der Schweiz sehr, wie behindertengerecht der ÖV ist und wie hilfsbereit die Menschen ihm begegnen. (1 Kommentar)

17. Februar 2023 – Pengcheng Zhang studiert Mathematik an der Uni Zürich und wohnt seit zehn Monaten im Studentenwohnheim Beugi. Er schätzt an der Schweiz sehr, wie behindertengerecht der ÖV ist und wie hilfsbereit die Menschen ihm begegnen. 

Pengcheng Zhang vor dem Beugi
Pengcheng Zhang vor dem Eingang des Studentenwohnheims Beugi (Fotos: bl)

Als er acht Monate alt war, erkrankte Pengcheng Zhang an Polio, einer hochansteckenden Infektionskrankheit. Obwohl er geimpft war, befiel ihn das Virus und schädigte sein zentrales Nervensystem. Gleichzeitig behinderte es das Wachstum seiner Beinmuskeln. So konnte er weder gehen noch seine Beine strecken.

Doch der kleine Bub hatte Glück im Unglück: seine Eltern, der Vater Lastwagenfahrer, die Mutter Hausfrau, taten alles für ihn und schafften es, dass die Beweglichkeit seiner Beine dank zwei Operationen stark verbessert werden konnte.

«Ein Privileg, mobil zu sein»

Das alles ist nicht selbstverständlich, stammt der inzwischen 25-Jährige doch aus einer abgeschiedenen, ja, regelrecht isolierten Provinz Chinas: Shaanxi grenzt direkt an die Innere Mongolei und besteht zu grossen Teilen aus Wüste. Pengcheng Zhangs Heimatstadt Yulin hat zwar dreieinhalb Millionen Einwohner, ist in den Augen seiner Landsleute aber gleichwohl eine «kleine Stadt» – «a small city».

Heute kann sich der junge Chinese mit Hilfe einer Krücke rund zwanzig Minuten am Stück auf seinen Beinen fortbewegen. Den grössten Teil des Tages ist er allerdings auf seinen Elektrorollstuhl angewiesen. Doch Pengcheng Zhang hadert nicht mit seinem Schicksal. Er sagt, er kenne nichts anderes als ein Leben mit Behinderungen und habe gelernt sich damit zu arrangieren. Ausserdem fühle er sich privilegiert, dass er so mobil sei und über sehr viel Eigenständigkeit verfüge.

Wenig Goodwill in China

Sein Werdegang ist denn auch beeindruckend. Er studierte bereits in seiner Heimat Mathematik und erreichte den Bachelor-Abschluss. Viele seiner Kolleginnen und Studienfreunde beschlossen dann, ihren Master im Ausland, am liebsten in Europa oder den USA zu machen. Pengcheng Zhang folgte ihren Diskussionen jeweils mit grossem Interesse, weil er schon lange mit der Idee spielte, seine Heimat zu verlassen: «Als Mensch mit einer Behinderung zähle ich in China zu einer Minderheit, die nicht sehr viel Goodwill und Unterstützung erfährt.»

In Yulin, aber auch grösseren Städten sei es nahezu unmöglich sich als Rollstuhlfahrer in der Öffentlichkeit zu bewegen. Es gebe keine barrierefreien Busse oder Züge; die öffentlichen Gebäude seien überall nur über Treppen erreichbar. Von Seiten der Regierung bestehe wenig Interesse daran, die Infrastruktur zu verbessern. Viel zu teuer, heisse es lakonisch. So sei sein Alltag damals ein einziger Hindernislauf gewesen und er habe sich sehr eingeschränkt gefühlt: «Ich habe tagelang das Haus nicht verlassen», erinnert er sich.

Kritik in den Social Media

Dazu habe er immer wieder auch Probleme bekommen, wenn er via Social Media Kritik an seiner Situation, aber auch an anderen politischen Entwicklungen übte. Wiederholt sei sein Account gesperrt worden. Er litt zusehends unter solchen Repressionsmassnahmen und beschloss schliesslich, europäische Universitäten zu kontaktieren, um sein Mathematikstudium dort abzuschliessen. In Mailand und Göttingen wäre er auch angenommen worden. Dass er sich für Zürich entschied, habe vor allem damit zu tun gehabt, dass der Ruf der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät an der hiesigen Universität ausgezeichnet sei.

Pengcheng Zhang informierte sich im Internet, wo er in Zürich wohnen könne, wie hoch die Studiengebühren seien und ob die Stadt barrierefrei sei. Im September 2021 traf er ein, ausgestattet mit einer Aufenthaltsbewilligung zu Ausbildungszwecken.

Seine Eltern unterstützen ihn weiterhin finanziell. Das ist grosszügig, hat Pengcheng doch zwei Schwestern, die sich ebenfalls noch in der Ausbildung befinden. Die eine an der High School, die andere an der Universität, wo sie Geschichte studiert. Um mit den hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz klarzukommen, verdient er sich als Online-Coach für Mathematikstudierende einiges dazu.

Die Zeit der Einsamkeit ist vorbei

Für die erste Zeit seines Aufenthalts fand er eine Bleibe in Zürich. Bei der Fachstelle Studium und Behinderung an der Universität erhielt er wertvolle Tipps und viel Hilfe. So stellte man ihm während dem ersten Semester eine Assistentin zur Seite, die ihn jeweils zum Campus begleitete.

Mit der jungen Frau, einer Schweizerin, freundete er sich an und lernte über sie andere junge Menschen kennen. Das habe sein Leben in der Schweiz sehr viel schöner und abwechslungsreicher gemacht. In der Anfangszeit, erinnert er sich, habe er sich oft einsam gefühlt. Seine Studienkollegen seien sehr auf ihre Arbeit konzentriert gewesen. Er habe keine Schweizer gekannt und auch nur zu wenig Landsleuten Kontakt gehabt: «Das hat sich inzwischen stark verändert.»

Nicht zuletzt auch wegen seinem Umzug ins Zolliker Studentenwohnheim Beugi. Im Mai 2022 wechselte er in das ehemalige Alters- und Pflegezentrum, das wie gemacht ist für seine Bedürfnisse als Rollstuhlfahrer. So gibt es einen Lift, alle Zimmer, die Gemeinschaftsküche und die Aufenthaltsräume sind barrierefrei. Er kann gemeinsam mit seinen Kollegen kochen, darunter etliche Chinesen und Chinesinnen, und hat auch auf diesem Weg Anschluss gefunden.

Das Handzeichen der BusfahrerInnen

Die Haltestelle Beugi, an der er den Bus Richtung Zürich nimmt, liegt direkt um die Ecke, zwei Minuten von seiner Unterkunft entfernt. Er geniesst es auch, dass der öffentliche Verkehr in Zollikon und Zürich weitgehend behindertengerecht organisiert ist. Viele BusfahrerInnen kennen ihn inzwischen und begrüssen ihn bereits bei Einfahrt in die Haltestelle mit einem Handzeichen. Dann weiss er, dass sie aussteigen und ihm die Rampe parat machen, auf der er in den Bus hineinfahren kann.

Es bedrücke ihn zwar manchmal, dass er sie mit seinem Rollstuhl zum Aussteigen nötige: «Am liebsten hätte ich Verhältnisse wie in vielen französischen Städten, wo die Fahrer die Rampe mittels eines Knopfs elektronisch ausfahren können». Die Menschen in der Schweiz machten es ihm aber wirklich leicht, sich hier wohlzufühlen. Sie seien unglaublich hilfsbereit und freundlich und voller Interesse für sein Heimatland. Am Anfang sei er fast ein wenig überrascht gewesen, weil er gehört hatte, dass die Schweizer eher kühl seien.

Offen für Neues

So könnte er sich gut vorstellen, auch nach dem Erwerb seines Masterdiploms im August dieses Jahres in Zürich zu bleiben, an seiner Dissertation zu arbeiten und an der Universität verschiedene Aufgaben zu übernehmen. Leider hätten ihm alle Professoren, die in Frage kämen, abgesagt; sie seien bereits voll ausgelastet.

Doch Pengcheng Zhang ist offen für Neues. Er liebe Italien, könne sich aber auch vorstellen, in andere europäische Länder oder nach Kanada weiterzuziehen. Ob er eines Tages nach China zurückkehren wird, weiss er noch nicht. Jetzt muss er sich zunächst einmal für seinen Masterabschluss in die algebraische Geometrie vertiefen, ein hochabstraktes Teilgebiet der Mathematik, das ihm alles abverlangt. Er lächelt schüchtern: «Es ist wirklich ziemlich schwierig.» (bl)

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Vielen Dank für diesen anschaulich und einfühlsam verfassten Bericht. Ich finde es sehr wertvoll, wenn über ein solches Portrait eine regelmässige Begegnung auf der Strasse plötzlich ein «menschliches Gesicht» erhält und die Anonymität schwindet. Ich wünsche Pengcheng Zhang einen ihn erfreuenden weiteren Lebensweg!

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