Statussymbole und Markenzeichen

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Ich bin ein Kind der Sechzigerjahre. 1969, an meinem ersten Schultag in der 4. Klasse, tat unser Lehrer im Rüterwies uns kund, dass es nicht wichtig sei, wie wohlhabend und angesehen die Familie eines Kindes sei. Hauptsache, die Kleider seien sauber und hätten keine Löcher. (4 Kommentare)

Ich bin ein Kind der Sechzigerjahre. 1969, an meinem ersten Schultag in der 4. Klasse, tat unser Lehrer im Rüterwies uns kund, dass es nicht wichtig sei, wie wohlhabend und angesehen die Familie eines Kindes sei. Hauptsache, die Kleider seien sauber und hätten keine Löcher.

Tatsächlich gab es in unserer Schulklasse noch keinen Wettbewerb um richtige oder falsche Markenklamotten. Wir durften getrost mit Kleidern zur Schule kommen, die nicht dem Modetrend entsprachen. Ausgelacht wurde deshalb niemand.

Später besuchte ich die Töchterschule der Stadt Zürich. Im Laufe der Jahre wurde daraus die Kantonsschule Zürich. Wir waren die letzte reine Mädchenklasse, Statussymbole waren auch dort nicht wichtig. Wen hätten wir denn beeindrucken wollen?

Mein Musikstudium absolvierte ich in den Siebzigerjahren. Wolle, Seide, Bast waren jetzt angesagt und der Slogan «Zurück zur Natur» verbreitete sich schnell. Für richtig teure Musikinstrumente hatten wir kein Geld. Die goldene Querflöte, auf der James Galway spielte, der berühmteste Flötist der damaligen Zeit, blieb für uns ein Traum.

Dann waren unsere glücklichen Studentenjahre vorbei. Anfang der Achtzigerjahre waren wir wieder im Zollikerberg sesshaft und berufstätig geworden. Ich bemühte mich, nicht allzu bescheiden und hippiemässig aufzutreten und mich dem gehobenen Umfeld anzupassen.  Manchmal kaufte ich für Ehemann und Kinder die Polo-Shirts mit dem Krokodil. Für mich durfte es auch mal ein Gürtel mit einer edlen Schnalle oder ein teures Handtäschli mit schickem Logo sein. Ich fühlte mich dadurch aufgewertet und etabliert im neuen bürgerlichen Leben.

Für ein teures Auto konnte ich mich in all den Jahren allerdings nie begeistern. Ich sah darin immer nur einen fahrbaren Untersatz, der mich möglichst schnell von einem Schulhaus zum anderen bringen sollte. Manchmal tat auch das Velo diesen Dienst. Stets klemmte dann auf dem Gepäckträger mein Weidenkorb, in dem ich alles transportierte, was ich für den Tag brauchte. Dieses Körbli wurde zu meinem Markenzeichen. Ich blieb ihm treu, als ich mir längst schon die erträumte – unglaublich teure – goldene Querflöte geleistet hatte.

Heute fahre ich nur noch selten mit meinem Velo. Zu unserer neuen Wohnung im Züri Oberland gelangt man über die Tösstalstrasse, die in einer steil ansteigenden S-Kurve verläuft. Ich bin meistens mit dem Auto oder zu Fuss unterwegs, aber nach wie vor mit meinem alten Weidenkorb. Er ist häufig Anlass für Kommentare. So hat mich letzthin ein lieber Freund gefragt, weshalb ich eigentlich immer mit diesem bizarren Korb unterwegs sei. Ich war etwas überrumpelt und wusste keine Antwort.

Auch als ich letzthin meine Singstunde im Altersheim vorbereitete, sprach mich eine betagte Engländerin darauf an. Das berüchtigte Körbli lag neben mir auf einem Stuhl, angefüllt mit Singblättern, einer Lesebrille, dem Portemonnaie, meinem Smartphone und dem dazugehörigen Ladekabel. Die elegante Dame meinte, ich sei wohl eine richtige Schweizerin, wenn ich mit einem solchen «Basket» unterwegs sei. Das sehe sie auf den ersten Blick.

Darauf verfiel ich ins Grübeln. Was macht denn eine richtige Schweizerin aus? Bin ich bereits eine, wenn ich einen Weidenkorb habe? Zeichnet mich dann Bodenständigkeit und Naturnähe aus und rückt mich in die Nähe von «Heidi», dem rotwangigen Schweizer Mädchen aus den Bergen?

Fragen über Fragen. Das Körbli steht derweil in der Küche und wartet auf seinen nächsten Einsatz. Es ist und bleibt mein Markenzeichen. Nicht mehr und nicht weniger.

Betti Hildebrandt

Betti Hildebrandt war 40 Jahre lang Lehrerin an der Musikschule Zollikon. Sie ist ins Zürcher Oberland ausgewandert und pflegt seitdem ihr Heimweh.  

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Schöne Kolumne. Bitte irgendwann die goldene Querflöte in separater Erzählung. Die Gedanken schwirren ja schon, König Midas, James Bond und so.

Ja, liebe Betti. Unbedingt die Geschichte von der goldenen Querflöte erzählen!

Wie ich immer sage: Küsnacht hat Tina Turner – Zollikon hat Artur Beul! Seine Lieder werden hier immer noch gern und oft gesungen. Ich erzähle dann als Anekdote dazu, dass es für uns eine Ehre war, mit ihm befreundet zu sein.

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