«Alles wird Gut»

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27. Dezember 2021 – Sascha Ullmann war 19 Jahre alt, Mittelschüler und fuhr jeden Tag mit dem Zug von Affoltern am Albis nach Zürich. Kurz vor der Ankunft im HB sah er jeweils an einer Hauswand einen Satz, der in seinem Leben wichtig wurde. Er erzählt:

Porträt Sascha Ullmann
Sascha Ullmann (Foto: bl)

«Das grosse Gebäude gehörte zum Wohlgroth-Areal. Das  gleichnamige Unternehmen hatte aufgegeben und sich aus dem Komplex zurückgezogen. Was passierte? 1991 begann eine der grössten Häuserbesetzungen in der Geschichte der Schweiz, die erst Ende 1993 unter Einsatz der Polizei beendet wurde.

Im Verlauf der Besetzung hatten die linken Aktivisten die Fassade des grössten Hauses mit Graffiti besprayt. Unübersehbar: ZUREICH. Und drüber: Alles wird Gut. Der Spruch passte mir. Ich war mit 19 noch halb pubertär, hatte mal gute, aber auch einige schlechte Tage, an denen ich dachte, die Welt gehe unter. Und dann stand dort plötzlich: Alles wird gut. So simpel diese Aussage auch tönen mag, auf mich wirkte sie wie ein Mutmacher, spendete mir Trost und stattete mich mit so etwas wie Gottvertrauen aus.

Ich habe den Satz nie vergessen; er blieb mir als mein persönliches Wohlgroth-Prinzip erhalten. Und es sollte tatsächlich immer wieder Situationen in meinem Leben geben, in denen ich heilfroh um seine beruhigende Wirkung war.

Ein Beispiel: Ich war mit einer Gruppe zum Wracktauchen im Lac d’Annecy verabredet. Schon die Autofahrt war mehr als stressig, und wenn ich etwas vernünftiger gewesen wäre, hätte ich den Tauchgang absagen müssen, weil er viel zu anspruchsvoll für mich war.

Nichts da, das hätte mein jugendlicher Ehrgeiz nicht zugelassen. Als wir auf etwa 30 Meter Tiefe abgetaucht waren, muss ich einen Moment unkonzentriert gewesen sein: Ich hatte meine Gruppe verloren. Doch statt mich von Panik verrückt machen zu lassen, habe ich mir wie ein Mantra vorgebetet: Alles wird gut. Keine Minute später kam dann auch wirklich einer meiner Kollegen hinter dem Wrack wieder zum Vorschein. Ich war gerettet.

Was mir erst viel später bewusst wurde, ist die ursprüngliche Bedeutung des Wohlgroth-Graffitis: Alles wird Gut. Will sagen: Alles wird materialisiert, wird Geld oder eben Gut. Das habe ich damals nicht gemerkt. Für mich beinhaltete der Satz eine motivierende Aussage – und fertig.»

Sascha Ullmann (geb. 1972), ist Zolliker Gemeindepräsident (GLP)

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Danke Sascha für diesen heiteren Text. Ich habe eine ähnliche Erinnerung:
Als ich in den Siebziger Jahren die Kantonsschule Hottingen besuchte fuhr ich jeweils vom Zollikerberg mit der Forchbahn bis zum Kreuzplatz. Beim Aussteigen fiel mein Blick auf einen Spruch, der vor der Apotheke mittels einer Schablone auf das Trottoir gesprayt war: „NUR STÄMME WERDEN ÜBERLEBEN“.
Ich habe nie herausgefunden was dieser Satz genau auf dem Kreuzplatz zu suchen hatte. Trotzdem begleitet er mich durch mein Leben und kommt mir in schwierigen Situationen, auf einer anstrengenden Wanderung oder auch einfach nur so in den Sinn. Und – oh Wunder: Ich lebe noch!

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