Anregender Abend mit der «Queen of Crime»

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13. Mai 2022 – «Ich war ein sehr lebendiges Kind, umgeben vom Tod», sagte die Erfolgsautorin Christine Brand im Gespräch mit «ZollikerNews»-Redaktorin Barbara Lukesch. «Mein Vater war Bestatter, ein Nachbar war Metzger, ein anderer Jäger, das hat mich schon geprägt.»

Als Kind habe sie gelernt, «dass man in jedem Alter sterben kann». Sie habe ihre Urgrossmutter auf dem Totenbett schmücken dürfen, die Familie sei jeweils mit dem Leichenauto in die Ferien gefahren. Die Kinder schliefen im Laderaum, wo der Vater sonst Särge transportierte. Mit 20 sei sie überrascht gewesen, dass sie immer noch am Leben sei. In ihr sei die Überzeugung gewachsen, «dass man so viel wie möglich ins Leben stecken muss, solange man es noch hat.»

Zwei Schlüsselerlebnisse weckten bei ihr das Interesse am gewaltsamen Sterben. 1973 geboren, schockierte sie als Achtjährige, dass am Polizeiposten im Dorf Vermisstenanzeigen von kleinen Kindern hingen, die auf rätselhafte Weise verschwunden waren. Die Serie unaufgeklärter Morde schlug die Öffentlichkeit damals in den Bann. Sie habe sich gefragt, wie man herausfinden könnte, wer der Täter sei.

Jahre später, am Lehrerseminar, faszinierte sie der «Mord von Kehrsatz», der in der ganzen Schweiz Schlagzeilen machte. Eine 24jährige Frau war 1985 ermordet und in der Tiefkühltruhe ihres Hauses deponiert worden. Ihr Mann wurde in erster Instanz zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt, im Revisionsverfahren aber freigesprochen, was hohe Wellen warf. Sie habe den Mordprozess atemlos verfolgt.

Beeindruckende Verkaufszahlen

Kein Wunder deshalb, dass sie als Gerichtsberichterstatterin beim Berner «Bund» und bei der NZZ am Sonntag anheuerte. Die 20 Jahre Prozesserfahrung verschafften ihr das nötige Rüstzeug, um Krimi-Schriftstellerin in einem grossen deutschen Verlag zu werden. Ihr erster Roman «Blind» verkaufte sich 88’000 mal, der Zweitling «Die Patientin» 60’000 mal und «Der Bruder» trotz Corona 45’000 Mal. Phänomenale Zahlen für eine Schweizer Autorin.

Barbara Lukesch nutzte vor dem interessierten Publikum im Café am Puls die Gunst der Stunde. Denn nur wenige Wochen nach Erscheinen ihres neusten Buches «Der Unbekannte» steht die Schweizer «Queen of Crime» schon wieder auf Platz 1 der Bestsellerliste. Sie erzählte lebendig und temperamentvoll, wie ihre Plots entstehen.

Bei ihren frühen Büchern für den kleinen Emmentaler «Landverlag» habe sie sich im Kopf ein grobes Muster zurechtgelegt: Täter, Opfer, Delikt, Motiv. Die Geschichte sei ganz spontan während des Schreibens entstanden. Beim Münchner Blanvalet-Verlag müsse sie vorab ein 25seitiges Exposé abgeben. Das habe sie anfangs fast ein wenig gelähmt. Sie habe dann die Verlagsfrau gefragt, ob sie sich wirklich hundertprozentig an die Vorlage halten müsse. Die Antwort habe sie beruhigt: «So lange es kein historischer Liebesroman wird, ist alles ok.»

Zweites Zuhause in Sansibar

Um ein 400seitiges Buch zu recherchieren und zu schreiben, benötigt Christine Brand ungefähr 5 bis 6 Monate. Am liebsten schreibt sie in Sansibar, das zu ihrem zweiten Zuhause geworden ist. Sie lebe dort bescheiden bei einer afrikanischen Familie, mit der sie das WC und die Küche teile. Sie schreibe gerne am Pult in ihrem Zimmer, aber noch lieber in einem Café oder am Strand.

Der Tagesablauf habe fast rituelle Züge: «Aufstehen, das Geschriebene vom Vortag lesen und schleifen, frühstücken, joggen, Siesta machen und dann, ab 15 oder 16 Uhr bis in die Nacht hinein schreiben – 12 Seiten an einem guten Tag, 3 an einem schlechten, aber das kommt selten vor.»

Wenn ein Krimi in Arbeit ist, kann sie sich auf ihr grosses Netz von Fachleuten, Freunden und Gerichtsreportern stützen. Zuvorderst auf Felix Wenger, einen ehemaligen Mordermittler bei der Zürcher Kantonspolizei, oder auf den Berner Rechtsmediziner Ueli Zollinger. Da könne sie ganz ungeniert anfragen, «wie man einen Menschen umbringen und an einem Ast aufhängen kann, dass es wie ein Selbstmord aussieht». Diese Fachleute seien dann auch ihre strengsten Gegenleser.

Das Publikum im «Talk am Puls» erlebte einen spannenden und zugleich unterhaltsamen Abend mit einer Autorin, die auch freimütig über schwierige Momente im Dasein einer Schriftstellerin sprach. Beim Schreiben habe sie meistens ungefähr auf Seite 50 eine Krise, erzählte sie. «Dann schicke ich das Manuskript meinem Mami, weil ich weiss, dass sie alles super findet, was ich schreibe.» (rs)

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