«Das Haus ist dabei, eine Seele zu bekommen»
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4. Februar 2025 – Vor 100 Tagen ist das neue Kispi eröffnet worden. Das 735 Millionen-Haus von Herzog &de Meuron, ausgestattet mit modernster Technologie, weckte höchste Erwartungen. Wir fragten die Direktorin Pflege Bettina Kuster*, wie weit sie sich erfüllt haben.

MIT BETTINA KUSTER SPRACH BARBARA LUKESCH
Frau Kuster, die Eröffnung des Kispi war eine Riesensache mit grosser öffentlicher Resonanz. Wie hat sich der Spitalalltag am neuen Ort angelassen?
Der Umzug war für alle Beteiligten ein intensiver, emotional schöner Tag. Am Abend des 2. November waren alle überglücklich, dass die Kinder heil und gut versorgt im neuen Spital angekommen sind. Das war unsere Hauptsorge. Die Angewöhnung im neuen Haus braucht Zeit, weil sie mit zahlreichen Neuerungen verbunden ist: wir müssen uns in einem neuen Gebäude zurechtfinden, mit neuen Wegen und sehr viel neuer Technologie. So sicher wie am alten Ort in Hottingen bewegen wir uns noch nicht durch die Gänge. Es kann schon noch passieren, dass ein Arzt oder eine Pflegefachperson herumirrt und nach einem Sitzungszimmer fragt oder ein Elternpaar aufgeregt die Poliklinik sucht. Noch fehlt es uns an Routine und eingespielten Abläufen.
Was die Angewöhnung sicher erschwert hat, ist die Tatsache, dass nahezu alle Beteiligten am Punkt Null angefangen haben.
Es gab tatsächlich nur sehr wenige Personen, die sich am neuen Ort bereits gut auskannten. Bei einem gewöhnlichen Arbeitsplatzwechsel trifft man ja üblicherweise auf Mitarbeitende und Kollegen, die einem weiterhelfen können. Hier war das nur beschränkt der Fall.
Sie haben die neue Technologie angesprochen, die mit viel Lernbedarf verbunden ist. Nennen Sie uns doch ein, zwei Beispiele!
Da geht es beispielsweise um die Rohrpost, mit der man Laboranalysen verschicken kann. Früher sind wir mit dem Laborröhrchen in der Hand zum Labor gelaufen. Heute stecken wir es in die Rohrpost und schicken es ab. Eine super Geschichte. Nur muss man genau wissen, wie das Gerät funktioniert. Oder nehmen Sie die Kleintransportanlage. Wir bestellen Medikamente bei der Apotheke, die sie in die Kleintransportanlage legt und an die eingegebene «Haltestelle» fährt, wo wir das Gewünschte abholen können. Das ist sehr praktisch, nur müssen wir die Maschine auch gut bedienen können.
Die neue Technologie erspart Ihnen also Wege, die Sie früher zu Fuss gemacht haben.
Je besser wir das Haus kennenlernen, um so stärker wird dieser Effekt zum Tragen kommen. Momentan schöpfen wir das Potenzial allerdings noch nicht ganz aus. Im Umgang mit der neuen Technik müssen wir generell darauf bedacht sein, unsere Leute gut zu schulen. Wir haben neu auf allen Bettenstationen ein Monitoring installiert, dank dem die Kinder bei Bedarf ständig überwacht werden können. Das war in Hottingen nur vereinzelt der Fall und bedeutet natürlich, dass unsere Mitarbeitenden hier lernen müssen, mit diesem wichtigen Gerät klarzukommen. Das klingt nach einem kleinen Lernschritt, nur sind im Arbeitsalltag viele dieser kleinen Schritte zu machen, und die summieren sich dann am Ende des Tages zu einem rechten Aufwand.
Wie haben die jungen Patienten und Patientinnen und ihre Angehörigen auf das neue Spital reagiert?
Der Umzug ist von den meisten sehr gut aufgenommen worden. Viele Kinder fanden es cool, mit der Ambulanz fahren zu können. Der Spitalclown hat zusätzlich für gute Laune gesorgt. Heute hören wir viel Positives zum neuen Haus auch von den Angehörigen. Es mache Freude, sich in einem der gepflegten Patientenzimmer aufzuhalten. Die Atmosphäre sei angenehm, die Materialien schön.
Das Haus enthält auch sogenannte Spielräume für die Kleinen und Zimmer für Jugendliche. Wie stark wird dieses Angebot genutzt?
Die Spielräume sind sehr beliebt bei den Kindern. Gerade jenen, die hospitalisiert sind und immer wieder auf eine Untersuchung oder Behandlung warten müssen, bieten sie willkommene Abwechslungen. Kinder wollen spielen, sonst werden die Tage im Spital schnell einmal lang für sie. Auch die Jugendlichen schätzen ihr Zimmer, wo sie unter sich sind.
Wie kommen die Grünzonen mit Pflanzen und Bäumen an, mit denen man Licht und Natur ins Haus holen will?
Wir sprechen von Lichthöfen. Da sind wir momentan dran zu definieren, welche begehbar sein sollen und welche nicht. Diejenigen, bei denen der Zugang jetzt schon möglich ist, werden von Eltern und Kindern gern genutzt. Wobei ich mir vorstellen kann, dass steigende Temperaturen dieses Angebot noch attraktiver machen werden.




Hat das Haus schon eine Seele?
Zunehmend halten Leben und Freude bei uns Einzug, aber auch Trauer und Wut, alle Emotionen halt, die wir immer im KiSpi haben. Ich würde es so ausdrücken: Das Haus ist auf dem besten Weg, eine Seele zu bekommen, aber es hat noch keine Geschichte. Am alten Ort lagen 150 Jahre Eleonoren-Stiftung hinter uns; alle Häuser waren voller Geschichten. Jetzt stehen wir an dem Punkt, wo wir jeden Tag neue Geschichten mit den Mitarbeitenden, den Kindern und deren Eltern schreiben.
Brauchen Sie mehr Personal als am alten Ort?
Da sind wir noch am Justieren. Wir sind mit den Kapazitäten von Hottingen – 161 Betten und dem entsprechenden Personal – umgezogen. Hier könnten wir maximal 201 Betten betreiben, mit meinem jetzigen Personal wäre ich allerdings nicht in der Lage, 201 Patienten zu betreuen. Natürlich wollen wir wachsen, auch effizienter werden, aber den Anstieg planen wir peu à peu. Diese Entwicklung müssen wir genau verfolgen und analysieren. Das betrifft übrigens nicht nur die Pflege. Auch in anderen Bereichen hat es entsprechende Veränderungen gegeben. So hatten wir in Hottingen ein Personalrestaurant, hier haben wir ebenfalls eines, dazu eine Cafébar und ein Bistro im Gebäude für Forschung und Lehre. Auch da stellt sich natürlich die Frage, wie viele Mitarbeitende der Betrieb auf Dauer brauchen wird.
Im Vorfeld war häufig die Rede vom Verkehr, sei es öffentlicher oder privater, der mit dem KiSpi deutlich steigen würde. Wie berechtigt waren diese Befürchtungen aus heutiger Sicht?
Die Trams und Busse sind tatsächlich sehr voll, wenn man in Stosszeiten zum Balgrist hochfährt, etwa um 7 Uhr morgens. Viele unserer Leute benutzen den ÖV auf dem Weg zur Arbeit, was wir ja ausdrücklich begrüssen. Um hier wenigstens ein bisschen Spielraum zu schaffen, haben wir auf den Bettenstationen eine leichte Gleitzeit eingeführt, so dass die Leute zwischen 6.45 Uhr und 7.15 Uhr anfangen können und nicht mehr alle um Punkt 7 Uhr. Wir hoffen, dass sich der Pendlerstrom so etwas besser verteilt.
Wo haben Sie momentan am meisten Probleme und damit auch Handlungsbedarf?
Die Hotellerie auf den Stationen muss optimiert werden. Das betrifft die Zusammenarbeit zwischen Pflegedienst und Hotellerie-Mitarbeitenden. In Hottingen gingen Mitarbeitende, Patientinnen, Eltern in die Küche, kochten sich etwas und nahmen ihr Essen oder das für ihre Kinder mit. Die Stationsküchen in der Lengg dürfen nur vom Personal bedient werden und stehen den Eltern aus hygienischen Gründen nicht mehr zur Verfügung.
Fällt Ihnen gerade noch eine «Baustelle» ein?
Was auch gewisse Energie absorbiert, ist die Telefonie. In der Lengg ist eine neue Telefonieanlage eingebaut worden. Unsere alten «Knochen» waren damit leider nicht mehr kompatibel. Darum haben wir alle neue Smartphones mit neuen Nummern erhalten. Das fordert uns sehr.
Welche Verbesserung wünschen Sie sich am dringendsten?
Ich wünsche mir, dass die Freude unserer Mitarbeitenden über das neue gute Spital noch stärker spürbar wird und auch die Begeisterung für unsere sinnstiftende Arbeit wieder mehr lebt. Die Leute sind müde vom letzten Jahr, das anspruchsvoll war. Die Anstrengung hängt uns noch etwas an, wir haben aber natürlich auch viel positive Energie, um unsere Arbeit leisten zu können.
*Bettina Kuster ist seit über 40 Jahren im Gesundheitswesen tätig. Die diplomierte Pflegefachfrau hat einen Master in Pflegewissenschaft. Dazu hat sie sich weiterbilden lassen im Bereich Management und Bildung. Seit März 2016 ist sie im Kispi tätig, seit Oktober 2017 als Direktorin Pflege und medizinisch-therapeutische Berufe (MTB).