«Die Erfolgschancen sind zehnmal höher»

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19. Dezember 2022 – Florian Götze, Reproduktionsmediziner und Leiter des 3600-Kinderwunschzentrums in Zollikon, wägt Chancen und Risiken der Eizellenspende ab. Diese Methode der künstlichen Befruchtung ist in der Schweiz (noch) verboten – im Gegensatz zur Samenspende, was immer mehr Kritik auslöst.

19. Dezember 2022 – Florian Götze, Reproduktionsmediziner und Leiter des 3600 Kinderwunschzentrums in Zollikon, wägt Chancen und Risiken der Eizellenspende ab. Diese Methode der künstlichen Befruchtung ist in der Schweiz (noch) verboten – im Gegensatz zur Samenspende, was immer mehr Kritik auslöst.

Porträt Götze
Florian Götze vom Kinderwunschzentrum Zollikon (Foto: zvg)

INTERVIEW: BARBARA LUKESCH

Herr Götze, nach dem Nationalrat hat sich nun auch der Ständerat für die Legalisierung der Eizellenspende in der Schweiz ausgesprochen. Wie bewerten Sie diesen Entscheid?

Ich bin überzeugt, dass dies ein Entscheid in die richtige Richtung ist. Eine Eizellenspende ist ja neben dem Wunsch nach einer Leihmutter der einzige Grund, der Patientinnen noch dazu bewegt, sich im Ausland Hilfe zu holen. Dass wir diese Dienstleistung künftig auch hierzulande anbieten können, erspart betroffenen Paaren diesen riesigen Aufwand. Dazu können sie sicher sein, dass sie es mit Medizinern zu tun haben, die einer fachlichen Aufsicht unterstehen und Schweizer Qualitätsstandards gewährleisten.

Wie viele Paare machen heute schon von der Möglichkeit einer Eizellenspende Gebrauch?

Man spricht von 500, die ins Ausland fahren. Es fehlen allerdings belastbare Zahlen, was sich sofort ändern würde, wenn man den Eingriff kontrolliert in der Schweiz vornehmen würde. Ich halte 500 für einigermassen plausibel, wobei in den USA rund 20 Prozent aller künstlichen Befruchtungen mit gespendeten Eizellen durchgeführt werden, was übertragen auf die Schweiz 2400 Fälle ergäbe. Das kommt mir etwas hoch vor, aber vielleicht trifft man es mit 500 bis 1000 hierzulande ziemlich gut. Man muss bei Behandlungen, die im Ausland durchgeführt werden müssen, immer von einer beträchtlichen Dunkelziffer ausgehen. Schliesslich bewegen sich die Paare in einem Graubereich, um den viele ein Geheimnis machen. Oft weiss nicht einmal die behandelnde Gynäkologin in der Schweiz, dass ihre Patientin eine Eizellenspende erhalten hat.

Erstaunlich ist ja, dass die Samenspende seit mehr als 20 Jahren in der Schweiz erlaubt ist, die Eizellenspende hingegen nicht. Wie lässt sich das erklären?

Eine Samenspende ist schnell und einfach gemacht. Daran nimmt niemand Schaden. Mit der Eizellenspende geht ein invasiver Eingriff unter Narkose einher, bei der sich die Spenderin einer Behandlung unterziehen muss, die gewisse Risiken birgt. Die sind zwar gering, und wenn alles unter seriösen Bedingungen stattfindet, auch vertretbar. Aber sie sind vorhanden, und man darf sie nicht wegdiskutieren.

Um Risiken welcher Art handelt es sich?

Risiken von Verletzungen bei der Eizellen-Entnahme oder von Nebenwirkungen nach der Einnahme von Medikamenten zur hormonellen Stimulation. Dazu auch das Risiko von emotionalen Schwankungen. All das muss nicht eintreten, muss aber im Vorfeld thematisiert werden.

Was sind überhaupt die medizinischen Gründe, die Frauen veranlassen, eine Eizellenspende in Anspruch zu nehmen?

Es gibt angeborene Krankheiten wie das Turnersyndrom, eine genetische Veränderung, die dazu führt, dass Frauen über wenig oder gar keine Eizellen verfügen. Nach einer Strahlen- oder Chemotherapie kann es zudem passieren, dass die Eizellenreserve einer Frau stark reduziert oder ganz erloschen ist. Eine dritte Gruppe bilden jene Frauen, die weit vor dem üblichen Zeitpunkt in die Menopause kommen und mit Mitte dreissig konsterniert feststellen, dass ihre Eizellenreserve erschöpft ist.

Würden Sie also Unfruchtbarkeit als Krankheit definieren?

Absolut. Und zwar in Übereinstimmung mit der WHO, die auch das Recht, eine Familie zu gründen, als Menschenrecht bezeichnet. Wir bewegen uns als Kinderwunschzentrum also nicht in einer Lifestyle-Sparte, sondern in einem klassischen Medizinalbereich.

Was muss bei der Einführung der Eizellenspende in der Schweiz gesetzlich geregelt werden?

Im Fortpflanzungsmedizingesetz sind zur Samenspende wichtige Punkte geregelt, die auch die Grundlage für die Eizellenspende bilden können. So sind seit 2001 anonyme Samenspenden verboten. Kinder haben mit Erreichen des 18. Lebensjahres das Recht, die Identität des Spenders zu erfahren. Deshalb dürfen auch nicht die Spermien verschiedener Männer gemischt werden. Dann besteht die gesetzliche Verpflichtung, darauf zu achten, dass die künftigen Eltern überhaupt in der Lage sind, für ihre Kinder Sorge zu tragen. Das heisst, wir dürfen keinem 80-jährigen Mann mit einer Samenspende zum späten Vaterglück verhelfen. Entsprechend werden wir auch davon absehen, 70-jährigen Frauen eine Eizellenspende zur Verfügung zu stellen.

Stichwort Designerbabys. Haben Paare die Möglichkeit, sich einen schwarzhaarigen, blauäugigen, grossgewachsenen Spender mit einem IQ von 140 und einem akademischen Abschluss auszuwählen?

In der Schweiz nicht. Die Auswahl liegt in den Händen der Arztpraxen beziehungsweise Samenbanken, die höchstens darauf achten, dass äussere und medizinische Charakteristika von Samenspender und sozialem Vater ungefähr übereinstimmen. Mehr aber nicht. Das heisst, in der Schweiz sind wir noch nicht einmal in der Nähe der Idee eines Designerbabys. In den USA ist das anders. Da kann man auf Wunsch Samenspender und Eizellenspenderinnen sozusagen aus dem Katalog aussuchen.

Schildern Sie uns doch einmal das Prozedere bei einer Eizellenspende!

Das Paar wird auf mögliche Krankheiten, auch Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis, untersucht. Es braucht eine Spermogramm-Untersuchung, um zu ermitteln, ob der Mann überhaupt genügend brauchbare Spermien hat. Bei der Frau prüft man, ob sie körperlich dazu in der Lage ist, eine Schwangerschaft auszutragen. Anschliessend geht es an die Suche einer Spenderin, die natürlich auch gesund sein muss und nicht älter als 35, besser noch 30 sein darf. Dazu sollte sie äusserlich der künftigen Mutter entsprechen: gleiche Haar-, Augen- und Hautfarbe, in etwa ähnliche Statur. Dann folgt der Moment, den Kritiker der Eizellenspende als heikel, aber auch als ethisch nicht-vertretbar bezeichnen: die operative Entnahme der Eizellen unter Narkose, die äusserst selten Komplikationen wie eine Blutung auslösen kann. Im Anschluss daran kommt es zur Befruchtung mit den Spermien. Mitunter werden die Eizellen aber auch erst eingefroren, um die Befruchtung zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen zu können. Zuletzt wird die befruchtete Eizelle über mehrere Tage im IVF-Labor kultiviert und anschliessend der künftigen Mutter mittels Embryonentransfer in die Gebärmutter übertragen.

Wie genau lautet die Kritik an der Eizellenspende?

Es heisst, die Spenderinnen hätten nichts von dem Eingriff ausser einer bescheidenen Aufwandsentschädigung, würden aber gleichzeitig das ganze körperliche, aber auch psychische Risiko tragen.

Trotzdem stellen sich Frauen immer wieder für Eizellenspenden zur Verfügung. Warum?

Meistens werden altruistische Gründe genannt: man möchte Frauen helfen, die unter ihrer Kinderlosigkeit leiden. In Spanien sollen es mehrheitlich Studentinnen sein, die während ihrer Ausbildung Zeit haben und sich so einen, wenn auch geringen Verdienst sichern können.

Wieviel kostet eine Eizellenspende?

Schwer zu sagen. In Spanien kostet sie um die 6000 Euro. In den USA 20’000 Dollar und mehr. In der Schweiz wird es mit Sicherheit auch davon abhängen, wie umfangreich die bürokratischen Auflagen sein werden. 

Wie hoch ist denn die Erfolgsquote bei künstlicher Befruchtung?

Die hängt normalerweise stark vom Alter der künftigen Mutter ab. Bei Frauen im Alter von 20 bis 35 Jahren sind 40 bis 50 Prozent der Versuche mit künstlicher Befruchtung erfolgreich, zwischen 35 und 40 Jahren halbiert sich die Erfolgsquote. Ab 40 sinkt sie noch drastischer. Das Erstaunliche: Wenn man sich Behandlungserfolge mit gespendeten Eizellen anschaut, hat man eine Erfolgschance von gegen 55 Prozent – und zwar unabhängig vom Alter. Diese Methode ist also extrem erfolgreich.

Wie lässt sich das erklären?

Die Spenderinnen sind jung, am besten zwischen 20 und 30 Jahren. Dann können auch die Empfängerinnen älter sein, und die Erfolgsquote bleibt trotzdem hoch.

Dann müssten Sie ja einer – sagen wir 42-Jährigen – die sich unbedingt noch ein Kind wünscht, dazu raten, sich gespendete Eizellen einpflanzen zu lassen.

Es ist tatsächlich so, dass eine solche Frau auf herkömmliche Art einen Kampf kämpft, den sie fast nicht oder nur mit Glück gewinnen kann. Sie investiert Unmengen an Zeit, Energie, Emotionen und viel Geld. Schildere ich ihr, dass sie mit einer Eizellenspende zehnmal höhere Erfolgschancen hat, wirkt das einerseits wie ein Augenöffner, andererseits ist es aber auch ein Schock für viele, weil sie die Eizellenspende nicht auf der Agenda hatten und sich auch nicht vorstellen konnten.

Dann heisst es: Das ist ja gar nicht mein Kind.

Genau.

Warum nehmen Paare teils fast nicht auszuhaltende Belastungen in Kauf, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen?

Da geht es um ein ureigenes Interesse, einen Instinkt, der mit dem Wunsch einhergeht, eine Familie zu gründen. An einem bestimmten Punkt gehören im Lebensplan dieser Menschen eigene Kinder einfach dazu.

Sie sagen es: eigene Kinder.

Sagen wir: Kinder. Kinder, die dank einer Eizellenspende geboren sind, haben zwar einen genetisch anderen Background als die Frau, die sie neun Monate ausgetragen und geboren hat und mit ihnen im Wochenbett gelegen ist. Aber dank dieser Erlebnisse wird auch diese Frau sich diesem Kind so verbunden fühlen, dass sie es sehr wohl als eigenes empfindet.

Trotzdem kann man die Zweifel verstehen: das künftige Elternpaar weiss ja wirklich nicht genau, welche Vergangenheit die Spenderin hat.

Das kann tatsächlich beunruhigend sein. Ein Grund mehr, die Eizellenspende in der Schweiz zu legalisieren, wo wir eine grössere Kontrolle darüber haben, dass die Spenderinnen korrekt behandelt und nicht ausgenutzt werden und nicht aus prekären Verhältnissen stammen.

Welche Rolle spielen Sie als Reproduktionsmediziner in diesem ganzen Prozess?

Ich bin zunächst einmal derjenige, der einem Paar Wissen dazu vermittelt, was die realistischen Chancen einer künstlichen Befruchtung und wie hoch die Risiken und der Aufwand sind. Dazu muss ich herausfinden, was genau die Bedürfnisse eines Paares sind und wo seine Grenzen liegen. Das sind intensive, mehrteilige Gespräche. Bei der Umsetzung ist Teamwork gefragt: Ein Mix aus unterschiedlichen Berufsleuten arbeitet eng zusammen. Angefangen bei den medizinischen Praxisassistentinnen über die Embryologen, Biologinnen, die Fachärztin für Anästhesie, Psychologen, Akupunktur-Spezialisten bis hin zu den Gynäkologinnen. Alle müssen an einem Strang ziehen, um diesen hoch technologisierten Prozess, der mit grossen Emotionen einhergeht, zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Dass das Gesamtteam funktioniert, ist entscheidend.

Florian Götze wurde 1976 in Berlin geboren. Er studierte an der Charité Medizin. In dieser Zeit lernte er auch die Reproduktionsmedizin kennen. Er war fasziniert von der Vielseitigkeit des Fachs, das Themen wie Chirurgie, Gynäkologie, Genetik, Bildgebung mit dem Ultraschall, aber auch sehr viel Psychologie umfasst. Seit 2003 lebt er in der Schweiz. 2014 gründete er das 3600 -Kinderwunschzentrum in Zollikon. Er ist verheiratet mit der Gynäkologin Dominique Götze-Frank, mit der er drei Söhne hat und in Gockhausen lebt.

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