Ein lebensverändernder Schritt

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24. Januar 2025 – Christina Caprez, die Zolliker Soziologin und Autorin des Buchs «Queer Kids. 15 Porträts»* spricht von einem neuen Selbstbewusstsein junger trans** Menschen. Sie wagten es vermehrt, sich öffentlich zu zeigen und ihre Bedürfnisse anzumelden.

Geschlechtervielfalt (Abb. Pixabay)
Geschlechtervielfalt (Abb. Pixabay)

MIT CHRISTINA CAPREZ SPRACH BARBARA LUKESCH

Christina Caprez, wie wichtig sind die Geschlechtsänderungs- und Namensänderungs-Einträge für die Betroffenen?

Sehr wichtig. Machen wir ein Gedankenexperiment: Wie wichtig ist es für Sie, dass in Ihrem Pass Ihr Name und Ihr Geschlecht stehen? Vermutlich eine seltsame Frage, weil es für Menschen, die nicht trans sind, selbstverständlich ist, dass diese Angaben korrekt sind. Noch wichtiger als der Eintrag im Pass ist vermutlich, dass wir im Alltag von den Menschen im eigenen Umfeld mit dem richtigen Namen und den richtigen Pronomen angesprochen werden. Das gilt für trans genauso wie für cis** Menschen, denn das spüren wir unmittelbar, während wir den Pass ja nicht jeden Tag brauchen. Dennoch ist auch der amtliche Eintrag zentral, denn von ihm hängen ja nicht nur der Pass, sondern auch Ausbildungszeugnisse ab, die bei Bewerbungen beigelegt werden.

Es reicht den Betroffenen also nicht, mit Kleidung, Frisur und Accessoires ihr wirklich empfundenes Geschlecht zu signalisieren?

Warum sollte denn der amtliche Eintrag nicht korrigiert werden? Wer sollte das verhindern wollen und in wessen Interesse? Abgesehen davon lässt sich an der Kleidung das Geschlecht nicht ablesen. Es gibt heute ja viele Frauen, die sich nicht typisch weiblich kleiden, darunter nicht nur cis Frauen, sondern auch trans Frauen, die keine Lust haben, Make Up und High Heels zu tragen, damit sie eindeutig als Frauen erkennbar sind. Man darf nicht vergessen, dass der Geschlechtsausdruck, also wie sich eine Person kleidet und gibt, und die Geschlechtsidentität nicht dasselbe sind. So kleiden und geben sich manche cis Frauen heute ja sehr androgyn – oder in den Augen einer Person, die vor 100 Jahren gelebt hat, als die Frauen noch Röcke tragen mussten – sogar komplett männlich. Müsste man sie dann als Mann ansprechen? 

In welchem Moment eines Transitionsprozesses stellen die Betroffenen ihre Änderungsanträge? Schon früh, sobald sie spüren, dass bei ihnen das eingetragene Geschlecht nicht mit dem von ihnen empfundenen übereinstimmt? Oder erst zu einem Zeitpunkt, wo bereits andere Massnahmen wie Hormoneinnahmen oder auch operative Eingriffe erfolgt sind?

Das ist sehr individuell – wie übrigens auch die Entscheidung, ob und welche körperlichen Transitionsschritte eine Person macht. Es gibt viele, gerade non-binäre Menschen, die gar keine körperlichen Veränderungen wünschen. Oder Personen wie Sam in meinem Buch «Queer Kids», eine 19-jährige non-binäre Person, die sich nie als Mädchen fühlte, aber auch nicht als Junge. Sam erfuhr mit 14, dass es non-binäre Menschen gibt und merkte: «Das ist es, genauso fühle ich mich auch.» Sam hat den amtlichen Namen mit 16 ändern lassen. Das amtliche Geschlecht weiblich hat Sam beibehalten, weil es in der Schweiz noch nicht möglich ist, ein anderes Geschlecht als männlich (m) oder weiblich (f) eintragen zu lassen. Vor kurzem hat sich Sam dann die Brüste entfernen lassen, die sich immer wie ein Fremdkörper angefühlt hatten, und fühlt sich jetzt endlich im eigenen Körper wohl.

Welche Probleme können mit den Geschlechtsänderungs- und Namensänderungseinträgen verbunden sein?

Anders als in vielen anderen Ländern wie Deutschland existiert noch keine Möglichkeit, kein oder ein anderes Geschlecht als Mann/Frau eintragen zu lassen. Eine dritte Variante – wie «divers» in Deutschland – fehlt. So entscheiden sich non-binäre Personen wie Sam in meinem Buch manchmal dazu, zumindest den Vornamen ändern zu lassen. In der Schweiz ist die vereinfachte Änderung des amtlichen Namens jedoch nur in Verbindung mit der Änderung des amtlichen Geschlechts möglich, weil das Parlament bei der Gesetzesänderung nicht daran gedacht hat, dass jemand den Wunsch haben könnte, lediglich den Namen zu ändern. Dabei gibt es ja auch andere Gründe, einen Namen ändern zu wollen, denken wir nur an Kinder, die «Adolf» getauft wurden. Wer nur seinen Namen ändern möchte wie Sam in meinem Buch, muss einen begründeten Antrag stellen. Kommt dazu, dass die Namensänderung teurer ist, als wenn man gleichzeitig das amtliche Geschlecht ändern lässt.

Können die Namens- und Geschlechtsänderungen die Betroffenen auch unter Druck setzen? Im Sinne von: jetzt ist das alles verbrieft, jetzt muss es so sein.

Nein: Amtliche Einträge sind ja nicht in Stein gemeisselt. Im sehr selten auftretenden Fall, dass eine Person sie wieder ändern möchte, ist das ja durchaus möglich – ein simpler Verwaltungsakt. Vergleichbar mit einer Eheschliessung oder Scheidung, die oft ja auch mit einer Namensänderung einhergeht. Auch diese Entscheidungen sind im Moment, in dem man sie trifft, für die Ewigkeit gedacht, aber das Leben spielt manchmal anders als wir meinen.

Was bedeutet es für die Betroffenen, wenn sie sich zurückentscheiden wollen?

Ein amtlicher Geschlechts- und/oder Namenswechsel ist ein lebensverändernder Schritt, egal in welche Richtung. Da vorher oft ein grosses Unwohlsein mit dem Status Quo besteht, bedeutet ein Entscheid zu einer Änderung meist eine grosse Erleichterung, oft verbunden mit euphorischen Gefühlen. Dies im Gegensatz zur «Dysphorie», dem bedrückenden Gefühl, nicht im eigentlichen, gefühlten Geschlecht zu leben.

Ist es Ihrer Einschätzung nach richtig, dass junge Menschen ab 16 Jahren eigenständig diesen, wie Sie sagen «lebensverändernden» Entscheid fällen können?

Trans Kinder spüren oft schon sehr früh, dass ihr gefühltes Geschlecht nicht dem entspricht, was ihre Eltern und die Umgebung aufgrund ihrer körperlichen Geschlechtsmerkmale über sie denken. Ein Beispiel aus meinem Buch: Lia sagte schon im Alter von zwei Jahren, dass sie kein Junge ist. Viele Kinder in diesem Alter gehen spielerisch mit dem Geschlecht um, und so dachten die Eltern zuerst, es sei ein Spiel. Doch als Lia dabeiblieb, liessen sich die Eltern beraten. Den Kindergarten besuchte Lia zuerst noch mit ihrem Jungennamen. Nach einer Weile teilten sie und die Eltern den Kindern und der Lehrerin mit, dass ihr Kind ab jetzt Lia und «sie» genannt werden möchte. Für die anderen Kinder war das kein Problem, weil sie Lia immer schon als Mädchen wahrgenommen hatten. Inzwischen ist Lia elf Jahre alt und hat immer als Mädchen gelebt – trotz männlicher Geschlechtsmerkmale und amtlichem Geschlecht.

Wann würden körperliche Massnahmen bei ihr aktuell?

In der Pubertät. Viel wichtiger ist aber, dass die Menschen in Lias Umfeld sie seit jeher als Mädchen anerkannt und angesprochen haben.

Ich stelle es mir für betroffene Eltern nicht ganz einfach vor, auf die Äusserungen und Wünsche eines Kindes wie Lia adäquat und für alle stimmig zu reagieren.

Das ist für Eltern in der Tat nicht einfach. Dennoch reagieren die Eltern der Kids in meinem Buch sehr unterschiedlich. Die Mutter eines anderen trans Kindes aus meinem Buch – eine Walliserin, die in einer Fabrik arbeitet und zuvor noch nie mit dem Thema zu tun hatte – sagte mir: «Ich habe Lara von klein auf gesagt: Wenn es dir irgendwo weh tut, musst du mir sagen, wie sich das anfühlt. Ich kann nicht in dich hineinschlüpfen. Und darum kann auch nur sie mir sagen, ob sie ein Mädchen ist.» Dieses Vertrauen in das Kind finde ich wahnsinnig schön – und richtig. Auch wenn ich verstehen kann, dass es vielen Eltern schwerfällt, so eine Haltung zu entwickeln, weil sie selber das eigene Geschlecht oder das von Menschen in ihrer Umgebung noch nie hinterfragt haben.

** Cis Personen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen anhand ihrer angeborenen Körpermerkmale zugeschrieben wird, trans Personen nicht. Cis (lat.) heisst diesseits, trans (lat.) darüber hinaus, jenseits.

*Christina Caprez, «Queer Kids» – 15 Porträts von Kindern und Jugendlichen, darunter auch einige mit trans oder non-binärer Geschlechtsidentität, 245 Seiten, Limmat Verlag 2024, www.queerkids.ch.

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