ETH-Professor setzt Publikum unter Strom

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26. Oktober 2022 – Ist die Schweiz in der Lage, ihren CO2-Ausstoss bis im Jahr 2050 auf Netto-Null zu senken? Ja, sofern wir unser Energiesystem konsequent optimieren, sagte ETH-Professor Konstantinos Boulouchos gestern in einem spannenden, teils witzigen Vortrag im Gerenhaus.

26. Oktober 2022 – Ist die Schweiz in der Lage, ihren CO2-Ausstoss bis im Jahr 2050 auf Netto-Null zu senken? Ja, sofern wir unser Energiesystem konsequent optimieren, sagte ETH-Professor Konstantinos Boulouchos gestern in einem spannenden, teils witzigen Vortrag im Gerenhaus.

Votrag Prof Boulouchos
Engagiert und witzig: Professor Konstantinos Boulouchos (Fotos: rs)

Boulouchos (66) wohnt mit seiner Familie seit eineinhalb Jahren in Zollikon. Der emeritierte Professor für Energietechnik an der ETH Zürich ist spezialisiert auf Energiesysteme. Unter seiner Leitung entstand der kürzlich publizierte Report zum «Schweizer Energiesystem 2050: Wege zu netto null CO2 und Versorgungssicherheit». Interessierte finden die Kurzfassung (16 Seiten) unter diesem Link.

Rund 50 Besucherinnen und Besucher folgten auf Einladung des Quartiervereins dem Vortrag mit dem Titel «Wie schaffen wir eine gesicherte, wirtschaftliche und klimaverträgliche Energieversorgung in der Schweiz?» Boulouchos‘ wichtigste Aussagen publizieren wir hier auszugsweise in geraffter Form.

Die Schweiz – ein CO2-Monster

Derzeit bläst die Schweiz pro Jahr ungefähr 43 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) in die Luft. Wenn wir diesen Wert bis zum Jahr 2050 auf Null senken wollen, muss das sogenannte 5-E-Konzept umgesetzt werden:

E1: Weniger Energie verbrauchen. Zum Beispiel durch die Senkung von Raumtemperaturen, die Reduktion von beheizten Flächen, weniger Autofahren. Hier kann die Bevölkerung kurzfristig einen wichtigen Beitrag leisten.

E2: Die Energie-Effizienz von Geräten, Maschinen, Gebäuden etc. deutlich verbessern. LED- statt Glühlampen sind ein Beispiel im Kleinen, Gebäudesanierungen schlagen stärker zu Buche. Wer im Effizienzbereich sündigt, wird von der Politik mit einer Lenkungsabgabe bestraft, die grösstenteils an die Bevölkerung zurückfliessen sollte, «am besten im Form eines Checks per Ende Jahr, dann weiss man, wofür man Energie gespart hat».

E3: Ersatz der fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energien.

E4: Ausbau des Recyclings von Energie und Materialien. Anzustreben sind geschlossene Materialkreisläufe.

E5: Als Notnagel die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre mittels chemischer oder biologischer Prozesse.

Das Energiesystem muss laut Boulouchos ganzheitlich aus einer Art «Helikopter-Perspektive» betrachtet werden. Die Massnahmen müssen ineinandergreifen. Ein Beispiel: Wenn man in der Schweiz die gesamte Energiebezugsfläche – 775 Millionen m2 – mit Wärmepumpen beheizen würde, wären dafür 25 Terawattstunden (TWh) Strom pro Jahr nötig. Würde man in einem ersten Schritt die Gebäude auf Minergiestandard bringen, also besser isolieren, wären nur noch 9.3 TWh Wärmepumpen-Zusatzenergie nötig.

Fossile Energien ersetzen

Die Schweizer Bevölkerung verbraucht pro Jahr ungefähr 230 TWh Energie. Der Löwenanteil entfällt auf den Verkehr (38%), es folgen die Haushalte (28%), die Industrie (18%) und die Dienstleistungen (16%). 67% dieser Energie sind importierte, klimaschädliche fossile Stoffe wie Öl und Benzin. Dort liegt klimatechnisch gesehen das grosse Problem.

Natürlich sei der Ersatz fossiler Energieträger nicht überall möglich, räumte Boulouchos ein. Eine direkte Elektrifizierung sehe er bei den Personenwagen, den Lieferwagen und bei der Gebäudeheizung. In den weniger geeigneten Sektoren plädiert er für eine möglichst weitgehende Nutzung erneuerbarer Brenn- und Treibstoffe, sogenannte E-Fuels. Zum Beispiel bei schweren Lastwagen, die weite Strecken zurücklegen müssen, Flugzeugen, Hochseeschiffen und Hochtemperatur-Prozessen in Industrieanlagen. Dort reicht Batterieenergie nirgends hin.

Import von klimaschonenden E-Fuels

Diese E-Fuels kann die Schweiz nicht selber herstellen. Die Technik ist uns zwar bekannt: Man erzeugt aus Wind- oder Sonnenenergie Elektrizität, mit deren Hilfe man Kohlendioxid (CO2) und Wasser (H2O) aufspaltet. Die chemischen Bestandteile CO + H2 können zu Kerosin, Diesel oder Gas synthetisiert werden.

Was uns fehlt, sind genügend Photovoltaik-Anlagen und Windräder, welche die gewaltige Menge des für diesen Prozess benötigten Stroms produzieren könnten. Die Lösung sieht Boulouchos darin, dass die E-Fuels in sonnenreichen und windstarken Gegenden hergestellt werden, zum Beispiel in Ländern Südamerikas, von wo die Schweiz den annähernd klimaneutralen Kraftstoff importieren könnte. Die Kosten sieht er bei relativ bescheidenen 1.30 Franken pro Liter im Jahr 2050. Nötig wären allerdings langfristige Partnerschaften mit solchen Ländern und die Bereitschaft, zunächst hohe Beträge in die Produktionsanlagen zu investieren.

Stromverbrauch steigt rasant

Was die Elektrizität angeht, verbraucht die Schweiz derzeit 58 TWh pro Jahr. Der Bedarf wird bis 2050 um 25% auf 72 TWh steigen. Auf dieses Ergebnis kommt Boulouchos mit folgender Rechnung: 58 TWh minus 10 TWh dank verbesserter Effizienz plus 8 TWh für den Betrieb von Wärmepumpen plus 16 TWh für die Elektromobilität.

Wie kann dieser Bedarf gedeckt werden? Aus der Sicht des ETH-Professors mit 33 TWh Wasserkraft, 24 TWh Photovoltaik und 15 TWh erneuerbaren Brennstoffen (E-Fuels). Die Kernenergie, die auch in Frage käme, versah der Redner angesichts der politischen Auseinandersetzungen um dieses Thema mit einem Fragezeichen.

Zusammengefasst lautete die Botschaft des ETH-Professors so: Wir haben es in der Hand, unseren CO2-Ausstoss innert 20 bis 30 Jahren auf Null zu senken und die Versorgungssicherheit bei tragbaren Energiepreisen zu gewährleisten, wenn Kurz- und Langzeitspeicher für Strom zur Verfügung stehen, die Strom-, Wärme- und Brennstoffnetze «zusammen gedacht und optimiert werden» und langfristige globale Partnerschaften zur Produktion von klimaneutralen Kraftstoffen zustande kommen. Ohne eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit sei das Ziel Netto-Null bis 2050 kaum zu erreichen. (rs)

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