«Hauptsache Freude, Mama»

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7. Oktober 2022 – Dieser Satz ist zu einem Lebensmotto von Özlem Bächli und ihrem Sohn Fabian geworden, der Trisomie 21 hat. Im «Talk am Puls» mit der Journalistin Barbara Lukesch erzählte sie gestern im Café am Puls über ihre Erfahrungen mit dem Thema Integration.

Vor rund 80 Besucherinnen und Besuchern schlugen Özlem Bächli und Barbara Lukesch einen grossen Bogen über ein Leben, das vor 30 Jahren völlig aus den Fugen geraten war. Als Özlem im Spital realisierte, dass ihr Sohn Fabian behindert war, empfand sie «grosse Trauer, alles war schwarz, ein Loch tat sich auf, und ich überlegte, wem sage ich das, wie komme ich mit einem solchen Kind zurecht, und was wird aus mir?»

Die Grossmutter versuchte die damals erst 26-Jährige zu trösten und sagte: «Mach dir keine Sorgen, das geht schon vorbei.» – «Das ist keine Grippe», habe sie ihr geantwortet, «das geht nicht vorbei!» Zuhause habe sie eine Karte der Schwiegereltern auf dem Stubentisch vorgefunden. Darauf stand: «Wir lieben Fabian so, wie er ist.» Das habe ihr über die erste Zeit hinweggeholfen.

Andere Menschen waren weniger einfühlsam. Als sie einmal mit Fabian unterwegs war, sagte eine Mutter zu ihr: «Hat das sein müssen, hast du keinen Test gemacht?» Die Eltern einer Spielgruppe stemmten sich gegen die Aufnahme des Kindes. Spätestens dann sei in ihr der Kampfgeist erwacht. Sie machte kurzerhand eine eineinhalbjährige Ausbildung als Spielgruppenleiterin, übernahm eine Gruppe im Familienclub und schaffte es so, dass Fabian unter anderen Kindern sein konnte.

Es war dieser Anfangserfolg, der Özlem die Kraft gab, auf allen Ebenen für die Integration ihres Sohnes zu kämpfen. Sie schaffte es, dass er in den Kindergarten aufgenommen wurde. Sie schaffte es, dass er zwei Jahre in der Regelschule verbringen konnte. Und sie schaffte es, für ihn einen Platz in der Montessori-Tagesschule zu finden.

Fabian – vielseitig talentiert

«Was würde Fabian heute nicht können, wenn du ihn nicht dermassen stark gefördert hättest», fragte Barbara Lukesch. Die Antwort löste im Publikum Lachen aus: «Er könnte weniger gut verhandeln», sagte Özlem, «bei uns geht es manchmal zu wie auf einem türkischen Bazar: ich will etwas von ihm, er verlangt eine Gegenleistung – das hätte er ohne jahrelange Übung nicht gelernt.»

Inzwischen sind viele weitere Fertigkeiten dazu gekommen. Fabian richtet sein iPhone selber ein, schneidet Filme und versieht sie mit Untertiteln, sammelt CDs. Als begehrter DJ unterlegt er Partys der Organisation Insieme mit Musik.

Im Gespräch wurde deutlich, wie sehr Özlem ihr Leben auf ihren Sohn ausgerichtet hat. Sie würde es nicht übers Herz bringen, ihn in ein begleitetes Wohnprojekt zu zwingen. Natürlich rede sie immer wieder mit ihm über dieses Thema und sage, dass andere junge Männer in diesem Alter diesen Schritt unternähmen. Wenn dann aber Fabian sage, «Mama, ich bin noch nicht so weit», schmelze sie dahin.

Am Ende der Veranstaltung kam aus dem Publikum ein berührendes Votum. Eine Mutter meldete sich und sagte, sie habe auch ein Kind mit Trisomie 21. Heute sei es mit der Integration viel einfacher als vor 30 Jahren. Sie wolle sich bei Özlem Bächli bedanken, was sie als Pionierin für nachfolgende Generationen erkämpft habe. (rs)

Der nächste Talk am Puls findet am 10. November um 19.30 Uhr statt. Zu Gast ist der Dorfzahnarzt und Menschenfreund Franz Pomsar.

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