«Ich empfinde grosse Ehrfurcht vor dem Tier»
0 KOMMENTARE
25. November 2024 – Louis Wirtz, der langjährige Wirt der «Zolliker Stube», ist nicht nur Koch, sondern selber auch Jäger. Er schildert, was es braucht, damit Wildgerichte gelingen und welche Fehler man unbedingt vermeiden sollte.
INTERVIEW: BARBARA LUKESCH
Louis Wirtz, was macht den Reiz von Wild für den Koch beziehungsweise die Köchin aus?
Es ist zunächst einmal eine schöne Tradition: Im Herbst gibt es Wild. Darauf freuen sich die Leute. Dazu liefern Rehe und Hirsche wunderbares Fleisch: kein Gramm Fett, weder mit Antibiotika noch Wachstumshormonen behandelt, aufgewachsen in der freien Natur, ernährt mit Gras, Blättern, Kräutern, Knospen – gesünder geht es doch gar nicht.
…was natürlich auch die Restaurants veranlasst, im Herbst/Winter jeweils Wild auf die Karte zu setzen.
Interessant für einen Wirt ist alles, was seinen Gästen Abwechslung verspricht. Und wenn man den Leuten auch noch ankündigen kann, dass sie «Wild aus hiesigen Wäldern» bekommen, sind sie schnell begeistert. In der «Zolliker Stube» habe ich während der Wildsaison jeweils rund 40 Rehe gebraucht. Die Gäste, darunter viele Stammkunden, wussten natürlich, dass ich selber auf die Jagd gehe.
Nun kann ja nicht alles Wild, das im Kanton Zürich konsumiert wird, aus «hiesigen Wäldern» stammen.
Der grössere Teil stammt tatsächlich aus Österreich, Polen und Ungarn. Aber auch aus Australien und Neuseeland mit ihren riesigen Wildparks kommt viel. Selbst wenn wir so grossen Wert auf einheimisches Wild legen, muss ich zugeben, dass nicht einmal ich als Profi einen Unterschied zu unserem Fleisch feststellen kann.
Rehfleisch in allen Variationen dominiert das Wildangebot hiesiger Metzgereien, Grossverteiler und Restaurants. Täuscht dieser Eindruck?
Im Kanton Zürich stammt das Wildfleisch tatsächlich zu 90 Prozent vom Reh. Es liefert Edelstücke wie Rehschnitzel, Rehrücken und Filet, dazu die als eher zweitklassig bewerteten Schlegel oder Schulterstücke sowie Gehacktes, Voressen oder Würste. Dass so wenig Hirschfleisch im Angebot ist, liegt einfach daran, dass es in unseren Wäldern viel weniger Hirsche als Rehe gibt.
Die Wildkarten sehen seit Ewigkeiten gleich aus: Rehrücken Baden-Baden, Rehschnitzel Mirza, Rehgeschnetzeltes an Rahmsauce. In der Regel mit Rotkraut, Rosenkohl, Marroni, Spätzli und einem Apfel oder einer Pfirsichhälfte aus der Dose gefüllt mit Preiselbeeren. So lecker diese Gerichte auch schmecken, bieten sie fast keine Überraschung. Man weiss bereits im Vorfeld, was einen erwartet.
Genau das haben viele Leute ja gern. Auch wenn Metzgete ist, erwarten die Liebhaber dieser Küche Blut- und Leberwurst mit Sauerkraut, Apfelstückchen und Rösti. Wenn ein Wirt stattdessen einmal Knödel anbietet, sind nicht alle Gäste glücklich.
Zu den Klassikern zählen auch Reh- und Hirschpfeffer. Die einen schwören darauf, andere haben es überhaupt nicht gern.
Interessanterweise ist es die aufwändigste Zubereitungsart. Man braucht qualitativ gute, gleichmässig geschnittene Stücke, beispielsweise aus der Schulter, die während mindestens einer Woche in einer Beize aus Rotwein, Gemüse, Kräutern, Wacholderbeeren und Pfefferkörnern eingelegt werden. Diese Prozedur macht das Fleisch schön mürbe. Nachher muss man es gut zwei Stunden leise köcheln lassen. Der entscheidende Eingriff folgt dann: Man giesst Schweineblut zum Pfeffer, das sofort stockt und die Flüssigkeit bindet. Das Blut gibt einen speziellen Geschmack, der nicht allen Leuten passt. Anderen reicht schon der Gedanke an das verwendete Blut, und sie lehnen dankend ab, wenn man ihnen Reh- oder Hirschpfeffer anbietet.
Hatten Sie denn auch Wildgerichte auf der Karte, die etwas unkonventioneller sind?
Eines meiner Lieblingsrezepte ist Szegediner Gulasch mit Reh- statt wie üblich mit Rind- oder Schweinefleisch. Das haben viele Gäste geliebt. Sehr gut verkauft habe ich zudem meine Eigenkreation, ein Rehcurry mit orientalischen Gewürzen wie Curry, Kurkuma, Garam Masala, serviert mit Reis und einer gebratenen Banane.
Welche Fehler sollte man unbedingt vermeiden, wenn man Wildgerichte kocht?
Edelstücke wie Rücken, Filets und Schnitzel darf man nur à la minute zubereiten. Einen Rehrücken oder ein Entrecote schiebe ich zusätzlich allerhöchstens noch eine Viertelstunde in den Backofen. Bereite ich einen Gulasch oder ein Rehpfeffer zu, muss ich darauf achten, dass mein Gericht nur simmert und keinesfalls zu stark kocht. Sonst wird der Geschmack des Fleischs schlecht.
In welchem Zustand haben sich die 40 Rehe befunden, die Sie pro Saison in der «Zolliker Stube» verwendet haben?
Die habe ich jeweils noch ganz mit dem Fell bekommen. Dann lässt man sie ein paar Tage abhängen, damit das Fleisch reifen kann und der Wildgeschmack stärker wird. Um ein Wild, wie es unter Jägern heisst, «aus der Decke schlagen», also häuten zu können, braucht es einiges an Fachwissen. Ebenso für das Zerlegen, das Auslösen der Knochen und die Feinbehandlung, bei der man gebrauchsfertige Stücke zuschneidet. Nach dem Ausnehmen, also dem Entfernen der Eingeweide, wiegt ein Reh zwischen 14 und 20 Kilogramm. Davon kann ich rund 60 Prozent in der Küche verwenden.
Wie erleben Sie als Jäger den Moment, wenn Sie ein Tier töten?
Es kostet mich Überwindung, wenn ich ein Muttertier mit zwei Jungtieren vor mir habe, von denen ich gemäss gesetzlicher Vorgaben das Schwächere entnehmen werde.
Entnehmen?
(seufzt) Das ist die etwas beschönigende Formulierung für Töten. Töten wäre ehrlicher. In diesem Moment empfinde ich grosse Ehrfurcht vor dem Tier, ja, der ganzen Natur.
Wildfleisch aus heimischen Wäldern ist in erster Linie über die örtliche Jagdgesellschaft erhältlich. Je nach Jagderfolg kann sie Rehfleisch oder auch ganze Rehe abgeben. Kontakt über die Jagdgesellschaft Zollikon.
Louis kocht Szegediner Rehgulasch
Teil 1: Thomas Gugler: «Ich empfinde die Jagd als Berufung»
Lesen Sie demnächst: Die «ZollikerNews» gehen auf die Jagd