«Mein Festnetztelefon strahlt Ruhe aus»

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Vor drei Monaten bin ich umgezogen und lebe jetzt in meiner ersten eigenen Wohnung. Ich liebe das Alleine-Wohnen, aber gut, das wäre ein Thema für sich. Auf jeden Fall habe ich wieder ein Festnetztelefon. Der Anschluss und die Nummer sind in meinem Internet-TV-Package inbegriffen, das Gerät hatte meine Mutter bei sich herumliegen.

Für mich war klar, dass ich diesen Anschluss will, auf dem ich nun seit drei Monaten erreichbar bin. Das Telefon hat seither allerdings kaum geklingelt – logisch irgendwie, denn a) haben nicht alle meine Freunde diese Nummer und b) hat sich das Handy nun mal durchgesetzt.

Umso mehr habe ich mich gefragt: Wieso liegt mir so viel an diesem Telefon? Ich glaube, die Antwort gefunden zu haben. Mein Festnetztelefon fühlt sich an wie ein Relikt aus einer Zeit, in der weniger los war. In der es die Tagesschau oder den Tagi gab, wenn man sich informieren wollte. Den CD-Player, wenn man Musik hören wollte oder das Fotoalbum, für die Ferienbilder. Die Menge an Informationen und Eindrücken war irgendwie begrenzt. Ich freute mich, wenn das Telefon klingelte. Dann war was los.

Heute stresst es mich, wenn mein Handy klingelt, weil ich darauf gerade Musik höre und einen Artikel lese, den ich schon seit zwei Wochen habe lesen wollen, aber irgendwie nicht dazugekommen bin, weil in der Zwischenzeit eine neue Folge «Keeping up with the Kardashians» erschienen ist und ich doch auch die Abstimmungsarena schauen wollte.

Das Festnetztelefon hingegen strahlt für mich Ruhe aus. Es ist da und macht sich nur bemerkbar, wenn’s irgendwie wichtig ist. Ich kann darauf nichts machen, ausser ein paar Nummern einspeichern und telefonieren. That’s it. Das Festnetztelefon gibt mir das Gefühl, ein Haus auf dem Land zu haben. Mit einem grossen Garten und bunten Lichterketten. Darauf rufen mich Freunde an, um anzukündigen, dass sie zur nächsten Grillparty einen Pasta-Salat mitbringen werden.

Neben meinem Festnetztelefon steht ein Radiowecker. Ich nutze ihn täglich, um mich zu wecken. Damit ich die ersten 30 Minuten meines Tages ohne Handy verbringe. Und still hoffen kann, dass mich jemand auf meinem Festnetztelefon anruft.

Olivia Porträt

Olivia Eberhardt (geb. 1994) hat 2017 ihr Studium an der ZHAW abgeschlossen und seither vor allem in der Musikbranche gearbeitet. Sie bezeichnet sich als «Beobachterin mit feinen Antennen und dem Wunsch, die Essenz dieser Beobachtungen mit einem humoristischen Ansatz niederzuschreiben».

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