«Nur wenige Leute können über den Tod reden»

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Unser Beitrag zum Totensonntag vom 20. November: Der aus Zollikon stammende Pfarrer Christian Walti leitet in Bern das «Death Café», in dem sich Menschen treffen, die sich einen Abend lang über den Tod unterhalten wollen. (2 Kommentare)

Unser Beitrag zum Totensonntag vom 20. November: Der aus Zollikon stammende Pfarrer Christian Walti leitet in Bern das «Death Café», in dem sich Menschen treffen, die sich einen Abend lang über den Tod unterhalten wollen.

Porträt Christian Walti
Pfarrer Christian Walti (Foto: bl)

INTERVIEW: BARBARA LUKESCH

Christian Walti, der Begriff «Death Café» ist ein Eye-Catcher. Gleichzeitig kann er aber auch zum Ablöscher werden. Wer hat schon Lust, einen Abend in einem Café des Todes zu verbringen?

Das hat was. Beim Thema Tod schwanken viele zwischen Faszination und Erschrecken. Interessant ist, dass die Ankündigung unseres «Death Cafés» in Bern vor sechs Jahren allein 40 Interessenten aus der ganzen Schweiz bewogen hat, sich bei mir zu erkundigen, was es denn brauche, um ein solches Café auf die Beine zu stellen. Sie würden das bei sich im Kanton auch gern einführen. Letztlich haben zwei ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt. Dass sie überhaupt von unserem «Death Café» wussten, war eine Folge des riesigen Medienechos, das wir ausgelöst hatten. Es kamen Interviewanfragen von überallher, und zahllose Artikel erschienen. Trotzdem werden unsere Anlässe höchstens von 20, manchmal auch nur von 10 Personen besucht.

So genau will man es dann doch nicht wissen, wenn es ums Thema Tod geht?

Das ist ein Phänomen, das ich immer wieder beobachte: Man betrachtet den Tod als etwas, das andere trifft, und hält ihn so auf Distanz. Man liest auch gern einmal ein Buch, in dem der Tod eine grosse Rolle spielt, hört sich einen interessanten Vortrag dazu an. Das geht. Aber wenn der Tod einem zu nahe kommt, wird es plötzlich schwierig und beängstigend, man fühlt sich unsicher, wie auf schwankendem Grund.

Was hat Sie dazu bewogen, dem Tod, dem «Tabu schlechthin», wie Sie es einmal ausgedrückt haben, ein eigenes Café zu widmen?

Ich habe beobachtet, dass nur wenige Leute überhaupt über den Tod reden können. Mit dem «Death Café» möchte ich den Leuten Gelegenheit bieten, sich mit anderen darüber auszutauschen und so einen ersten Schritt auf dem Weg zu gehen, auf dem sie das Thema besser ins eigene Leben integrieren können. Dazu ist der Tod ein unendlich spannendes Thema. Man kann wunderbar philosophieren über ihn, und alle haben dazu ihren ganz individuellen Bezug. Ich habe in meinem Beruf als Pfarrer sicher 100 Todesfeiern durchgeführt und sage Ihnen: Keine war wie die andere. Man kann auch Trost empfinden, wenn man plötzlich erfährt, dass auch andere Menschen Angst vor dem Sterben haben oder dem Tod mit Ratlosigkeit begegnen. Wobei ich einräumen muss: Wir können so viel reden, wie wir wollen, an der Realität vom Tod können wir nichts ändern.

Kann man auch zu viel davon reden?

Es gibt tatsächlich Menschen, die in einen Sog geraten können und so etwas wie eine Todessehnsucht entwickeln. Nehmen Sie Männer und Frauen, die unter einer psychischen Krankheit leiden und teilweise eine starke suizidale Neigung haben. Ihnen gegenüber muss man das Thema wirklich sehr behutsam angehen.

Wie gelingt das im «Death Café»?

Ich lege sehr viel Wert darauf, dass unser rund zweistündiger Austausch einen klaren Anfang und ein ebensolches Ende hat. Die Teilnehmenden sollen unbedingt realisieren, dass es nachher wieder um etwas anderes geht, sie sollen, ja, sie müssen weiterleben. Würde man sich nur mit dem Tod beschäftigen, würde man sich ja überhaupt nicht mehr auf das Leben einlassen.

Welche Rolle spielt im «Death Café», dass Sie Pfarrer sind?

Als Pfarrer will ich im Grunde immer das gleiche: Ich will neue Leute kennenlernen, Menschen aus Holligen, meinem Quartier, das stark von Arbeitern und zunehmend auch von jüngeren Leuten aus der links-grünen Ecke bewohnt wird. Zwei Gruppen also, die einen sehr geringen Bezug zur Kirche haben und auf die ich zugehen muss, weil ich sie nur so erreichen kann. Tue ich das nicht, habe ich bald keine Arbeit mehr. Das «Death Café» ist eine solche Initiative, um dieses Ziel zu erreichen.

Wie muss man sich einen Abend im «Death Café» vorstellen?

Zum Auftakt schlage ich mit einem Löffel zwölfmal auf ein Klangelement, was so viel bedeuten soll wie: «Es schlägt 12. Die Zeit, die dir zur Verfügung steht, ist wertvoll! Nutze sie gut!» Nachher ist die Diskussion frei. Ich moderiere die Runde, manchmal setze ich einen gedanklichen Impuls, manchmal ergreift sofort ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin das Wort. Ganz wichtig: Niemand muss sich vorstellen oder seinen Namen nennen. Es redet immer nur eine Person zur Zeit, und die anderen hören zu. Niemand unterbricht die anderen. Nach rund einer Stunde ertönt leise Musik im Hintergrund; die Leute verteilen sich in kleineren Gruppen im Raum und reden weiter. Nach rund zwei Stunden schliesse ich die Veranstaltung. Wer Lust hat, kann noch bleiben und etwas trinken.

Welche Art von Leuten besuchen das «Death Café»?

Es sind tendenziell mehr Frauen als Männer, eher Menschen vor der Pensionierung, den Älteren geht das Thema möglicherweise zu nahe, oder vielleicht steht diese Generation auch noch zu stark unter dem Eindruck des Tabus: Über den Tod redet man nicht! Der Büezer, der den ganzen Tag den Presslufthammer bedient hat, will abends nicht noch über den Tod reden. Zu uns kommen eher Lehrerinnen, Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiter, Menschen also, die es sich gewöhnt sind, mit und vor anderen zu reden. Was wirklich unglaublich anspruchsvoll ist.

Kennen Sie die Gründe, warum die Leute ins «Death Café» kommen?

Nicht von allen. Ich erinnere mich an einen 50-jährigen Mann, dessen Frau zwei Jahre zuvor gestorben war. Er erzählte, seine Umgebung habe nach einem Jahr aufgehört, ihn auf sein Befinden, seine Trauer und den Verlust seiner Frau anzusprechen. Er sei jetzt hier, weil er wieder mal in einem Rahmen darüber reden wolle, wo das Thema Tod hinpasse und nicht als störend wahrgenommen werde. Dieser Mann hat seine Motivation offengelegt. Viele tun das nicht, sie müssen es ja auch nicht. Meiner Einschätzung nach kommen etliche aus Neugier. Sie wollen wissen, wie andere Menschen mit dem Tod umgehen, wollen Geschichten teilen und so ein soziales Verständnis vom Tod, diesem grossen Unbekannten, gewinnen. Es hilft doch, wenn man nicht die einzige Person ist, die sich dem Tod gegenüber unsicher, ja, unbeholfen fühlt.

Schildern Sie uns doch noch ein, zwei konkrete Beispiele aus dem «Death Café»!

Ein Mann, der mehrmals ins «Death Café» gekommen ist, er war von Beruf Mathematiklehrer an einem Gymnasium, erklärte als Erstes, er sei Atheist und glaube nicht an Gott. Darum halte er es auch für Blödsinn, über die Zeit nach dem Tod nachzudenken. Der Tod bedeute in seinen Augen die Auflösung des Körpers in seine Einzelteile, wodurch sich im Universum rein gar nichts verändere. Das halte er für eine tröstliche Vorstellung.

Das klingt souverän.

Daraus ergab sich denn auch mehr eine philosophische Diskussion. Andere erzählen sehr viel persönlichere Geschichten. Einmal sass eine junge Frau an der Theke, eine Kellnerin, die eigentlich nicht Teilnehmerin unserer Runde war. Sie hatte uns aber offenbar zugehört und ergriff gegen Schluss das Wort. Unter Tränen erzählte sie, dass das Schlimmste, was ihr nach dem Tod ihres Vaters – sie selber war erst 16 – passiert sei, seien ihre Schulkollegen und Freundinnen gewesen, die seither nicht mehr mit ihr redeten. Sie hatten offenbar Angst sie zu verletzen. Das ist ja ein häufiges Phänomen: Die Menschen wissen nicht, wie sie einem trauernden Menschen begegnen sollen.

Man zeigt ja auch seine Trauer kaum noch.

Wir haben tatsächlich all die Rituale, die den Menschen früher das Trauern erleichtert, ja, überhaupt ermöglicht haben, aufgegeben: Kaum noch jemand trägt über die Beerdigung hinaus schwarz. Der Trauerumzug durchs Dorf existiert nicht mehr. Und wenn jemand seine Mutter verliert, fragt man sich allen Ernstes, ob man deshalb einen halben oder sogar ganzen Tag freinehmen könne. Wir haben den gesellschaftlichen Konsens, dass es einen Trauerprozess braucht, aus den Augen verloren. Interessant ist ja, dass sich immer mehr Leute zu Trauerbegleiterinnen und -begleitern ausbilden lassen, nach denen offenbar auch eine Nachfrage besteht. Dass die Trauer vermehrt wieder ins Zentrum der Gesellschaft rückt, halte ich für eine gute Entwicklung.

Wie gehen denn Sie persönlich mit dem Thema Tod um?

Ich bin erst 40 Jahre alt und habe abgesehen von allen vier Grosseltern noch keine mir nahestehenden Menschen verloren. Wenn ich allerdings als Pfarrer einen 22-jährigen Mann beerdige, der an einer Überdosis Medikamente gestorben ist, und am Grab neben seinen Eltern stehe, kann ich mir als Vater zweier Kinder nicht vorstellen, wie man einen solchen Verlust verkraften kann. Ein solcher Tod ist unfassbar und gleichzeitig so nah, ja, mitten unter uns. Zusätzliche Erfahrungen mit dem Tod habe ich gesammelt, als ich einige Jahre als Pfarrer für das hiesige Altersheim verantwortlich war. Da gab es zwar schlimme Konflikte innerhalb von Familien, aber als der verhasste Vater dann tot war, lösten sich die Spannungen plötzlich auf und ein Sohn sagte einmal: «Mein Vater ist jetzt ein Engel.» Ich hatte das Gefühl, dass er das ernst meinte.

Christian Walti lebte in Zollikon, bis er 20 Jahre alt war. Die Eltern des 40-Jährigen wohnen heute noch in der Gemeinde. Sein Theologiestudium hat er an der Universität Zürich absolviert, sein erstes Praxisjahr verbrachte er in Zürich-Altstetten. Als er schon mit 27 ordiniert wurde und damit eine erste Pfarrstelle hätte annehmen können, entschied er sich, zunächst eine Dissertation zu schreiben. Die Universität Bern machte ihm das Angebot, eine Arbeit über Gottesdienst-Rituale zu verfassen. Nachdem er promoviert war, nahm er seine erste und bisher einzige Stelle als Pfarrer in Bern-Holligen an. Walti ist verheiratet und Vater zweier Kinder im Alter von drei und fünf Jahren. 

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Danke für den interessanten Bericht. Das Verb «müssen», wie immer es verwendet wird, macht mir keine Freude. Müssen? Müssen wir in unseren Breitengraden wirklich Sachen tun? Sterben müssen wir! Okay! Leben und Sterben, das ist normal. Warum soll man vor dem Tod Angst haben? Natürlich möchte ich vor dem Tod nicht ein schlimmes Leiden durchlaufen. Wenn ein geliebter Mensch von uns geht, bedauert man sich doch selber. Lassen wir doch die Verstorbenen in Frieden ruhen.

Sterben kann eine Zumutung oder eine Gnade sein, es gibt Leute, die sterben «dürfen». Wie jedoch nach dem Sterben mit dem Körper umgegangen wird, finde ich schwierig. Ich habe selber erlebt, dass ein naher Angehöriger im Spital gestorben ist. Danach wurde der Körper ins Krematorium gefahren. Für mich war es wichtig, dass ich mitfahren durfte, aber dies ist vielleicht nicht immer möglich. Ich finde es wichtig, dass individuell bessere Lösungen angeboten werden, um Abschied zu nehmen und jemanden bis zuletzt begleiten zu dürfen.

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