«Sofa, Notebook auf dem Schoss, runder Rücken»

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15. November 2021 – Der 38-jährige Physiotherapeut Simon Maiwald führt seit zwei Jahren seine eigene Praxis in Zollikon. Er hat erfahren, was die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns bei den Menschen ausgelöst haben.

Physiotherapie-Team von Simon Maiwald
Physiotherapie-Team von Simon Maiwald (Foto: rs)

MIT SIMON MAIWALD SPRACH BARBARA LUKESCH

Sie haben Ihre Praxis im November 2019 eröffnet, im März 2020 kam der Lockdown. Was hat dieses Ereignis bei Ihnen ausgelöst?

Ich war sowieso schon auf 180, weil die Praxis meine erste Unternehmung in dieser Grösse ist. Am Anfang lief es richtig gut. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass bereits am ersten Arbeitstag Patienten kommen würden und sich mein Terminkalender zügig füllte. Also entspannte ich mich langsam. Als dann die Pandemie losging, sagten erstmal fast alle ab. Die Leute waren verunsichert, hatten Angst, sich anzustecken oder wussten schlicht nicht, ob wir Physiotherapeuten unsere Praxen überhaupt offenhielten. Das war ein Schreck, dauerte aber, Gott sei Dank, nur wenige Wochen.

Unterscheiden sich die Beschwerden, die Sie seit Ausbruch der Pandemie sehen, von jenen, die Sie von früher kennen?

Was mich überraschte, war zunächst einmal die grosse Anzahl jüngerer Patienten aus dem Alterssegment 14 bis 40 Jahre, die mit Haltungsproblemen und ganz vielen Schulter-Nacken- beziehungsweise Brustwirbelsäulen-Beschwerden kamen.

Worauf führen Sie das zurück?

Schnell merkte ich, dass viele im Homeoffice einen sehr unergonomischen Arbeitsplatz hatten. Da hatte überhaupt keine Anpassung stattgefunden. Der Klassiker war der Küchenstuhl vor Tisch und Notebook. Andere haben es genossen, auf dem Sofa zu sitzen mit dem Notebook auf dem Schoss, Kopf nach unten, runder Rücken. Solche Sachen rächen sich. Kommt dazu, dass die Fitness-Studios monatelang geschlossen waren und sich das Aktivitätsprofil der Leute während des Tages komplett verändert hatte.

Inwiefern?

Bei den meisten fiel der Arbeitsweg weg, dazu der Gang vom Büro in die Kantine oder nur schon an den Kaffeeautomaten oder zum Kopierer. Die Tage verliefen häufig gleich: Aufstehen und stundenlang sitzen. Einzelne haben immerhin in der Mittagspause einen kleinen Spaziergang gemacht, aber danach hiess es oft wieder: Sitzen ohne Ende.

Was haben Sie diesen Patienten empfohlen?

Ich habe versucht, mit ihnen zusammen ihren Arbeitsplatz ergonomischer zu gestalten. Dazu konnte ich mit unseren Fitness- und Kraftgeräten mindestens einen gewissen Ersatz für die vorübergehend geschlossenen Studios anbieten. Das haben viele sehr geschätzt und sich ein entsprechendes Programm zusammenstellen lassen.

Die Pandemie hat ja nicht nur Auswirkungen auf den körperlichen Zustand der Menschen, sie beeinträchtigt auch viele psychisch und verunsichert generell. Sind denn zu Ihnen auch Patienten gekommen, die sich emotionale Zuwendung und eine tröstende Hand gewünscht haben?

Ich habe häufig gehört, dass ich der einzige soziale Kontakt sei, den meine Patienten in der jeweiligen Woche hatten. Die kamen natürlich nicht allein deswegen, aber sie betonten tatsächlich, wie gut es ihnen tue, mal einen Menschen ausserhalb der eigenen Wohnung zu sehen und mit ihm reden zu können.

Wie hat sich Ihre Praxis entwickelt?

Wir arbeiten inzwischen zu dritt in drei Behandlungszimmern und haben dazu eine Praktikantin und eine Assistentin angestellt. Auch wenn ich von morgens um 7 Uhr bis abends um 22 Uhr und teilweise auch am Samstag arbeite, bin ich bis Ende Jahr ausgebucht und habe bereits eine Warteliste.  Meinen Kollegen geht es nicht viel anders. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie lässt sich dieser Run erklären? Zollikon und Zollikerberg haben rund zehn Physiotherapie-Praxen, die gut besucht bis ausgebucht sind, wie eine Umfrage gezeigt hat. Lastet zu viel Druck auf den Menschen?

Es lastet Druck auf Rücken, Nacken und Schultern. Das ist das Eine. Dazu hat auch eine Bewusstseinsveränderung stattgefunden. Die Leute nehmen ihre Gesundheit und die Prävention ernster. Viele absolvieren ein Training, bevor überhaupt etwas passiert ist; andere kommen schon früh bei Beginn der Beschwerden, damit es nicht schlimmer wird und werden darin auch zunehmend unterstützt von ihren Ärzten. So lassen sich tatsächlich Operationen vermeiden und die Lebensqualität länger hochhalten.

Haben Sie auch mit ehemaligen Covidpatienten zu tun?

Wir hatten einige, die nach ihrer Erkrankung stark abgebaut hatten, nachdem sie sehr lange liegen mussten und so schwach waren, dass sie Hilfe brauchten, um wieder auf die Beine zu kommen. Wir haben wirklich einige verheerende Fälle gesehen. Bei den schwersten mussten wir während des Trainings die Atmung und den Puls überwachen.

Hat die Pandemie die Menschen dünnhäutiger gemacht?

Ich glaube, dass viele mehr in sich hineinhorchen und empfindsamer geworden sind. Wenn man mehr Zeit mit sich allein verbringt, findet man in jeder Hinsicht mehr über sich heraus – auch über seine Gesundheit.

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UMFRAGE

Teils lange Wartelisten

Wir haben uns bei einigen Zolliker Physiotherapie-Anbietern, die über die Krankenkasse abrechnen, nach dem Stand der Dinge in Zeiten der Pandemie erkundigt.

Die Praxis von Regula Fischer und Maria Zeller an der Alten Landstrasse 63 besteht seit über 30 Jahren. Im Lockdown hätten sie nur medizinisch dringliche Fälle nach Operationen oder Unfällen oder chronische Patienten behandelt, sagt Maria Zeller. Der Umsatz sei dadurch markant eingebrochen. Ansonsten sei die Praxis seit Jahren permanent voll: «Wir hatten schon vor Corona eine lange Warteliste und mussten Leute weiterweisen. Das hat aber nichts mit der Pandemie zu tun.»

Sabine Buri, die Ihre Praxis an der Zollikerstrasse 79 hat, behandelte im Lockdown ebenfalls nur Notfälle. Sie sei derzeit «völlig ausgebucht, nicht nur pandemiebedingt». Generell würden mehr Physiotherapien verordnet als früher: «Die Menschen müssen schnell fit sei, sie kommen auch schneller aus dem Spital heraus und brauchen Nachbetreuung, so funktioniert unser Gesundheitssystem.» Der Kundenzulauf nehme stetig zu, sie habe eine lange Warteliste: «Das wird sich auch künftig nicht ändern. Es gibt in Zollikon trotz etlicher Praxen zuwenig Angebote.»

Der Bereich ambulante Physiotherapie im Spital Zollikerberg verzeichnet aufgrund der Pandemie keine Zunahme von Anmeldungen. Am Anfang der Pandemie hätten einige Patienten und Patientinnen wegen Corona möglicherweise Angst gehabt, ein Spital zu betreten. Das spiele aber mittlerweile keine Rolle mehr, die Situation habe sich normalisiert. Die Nachfrage liege aber immer noch deutlich unter den Zahlen der Jahre vor der Pandemie.

Neu im Dorf ist Ali Peters mit seiner Praxis Physio Zollikon an der Zumikerstrasse 18. Der Lockdown habe ihn gezwungen, die Eröffnung zu verschieben. Seit Juni 2021 seien nun drei Physiotherapeuten im Einsatz, die laut Peters auch Hausbesuche bei Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Mobilität machen.  Derzeit gebe es keine Warteliste. (red)

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Während der Pandemie war es für gewisse Zeit echt nicht sicher, ob physiotherapeutische Praxen offen bleiben würden. Mein Kollege hat sich während ein paar Wochen auch unglaubliche Sorgen gemacht. Es ist verständlich, dass auch ihr ein bisschen nervös wart.

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