Susanne Baer, die Unverwüstliche

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28. Februar 2022 – Susanne Baer war 1992 die erste Gynäkologin in Zollikon. Doch plötzlich gab sie ihre erfolgreiche Praxis auf und zog sich zurück. Keine wusste warum. Jetzt ist sie seit einem Jahr ärztliche Leiterin der Ladies Permanence Stadelhofen.

Porträt Susann Baer
Susanne Baer (Fotos: bl)

Damit hatte niemand gerechnet: Susanne Baer Altorfer, Gynäkologin in Zollikon, schloss 2010 ihre Praxis, die exzellent lief. Die Fachärztin war gerade einmal 57 Jahre alt, geschätzt und sehr beliebt. Sie hatte in den fast zwanzig Jahren, die sie an der Alten Landstrasse 112 praktizierte, eine grosse Zahl treuer Patientinnen gewonnen. Viele von ihnen fragten sich damals irritiert, was wohl mit ihrer Ärztin passiert sei.

Die Antwort war heftig: Susanne Baer hatte selber eine schwere Krebsdiagnose erhalten. Seinerzeit weihte sie bloss enge Freundinnen und Bekannte ein. Der Schock sass zu tief, und sie mochte nicht ständig darauf angesprochen werden. 2011 unterzog sie sich am Universitätsspital Zürich einer Stammzellentransplantation und brauchte lange, um sich zu erholen. Sie blieb daheim, las viel, ging mit ihrem Mann auf kleinere Wanderungen, unternahm auch wieder Reisen. An Arbeit war zunächst nicht zu denken.

Doch mit der Zeit befiel sie eine gewisse Unruhe: «Ich merkte, dass ich zu suchen begann.» Sie war inzwischen 62, und es ging ihr auch gesundheitlich wieder deutlich besser. Was sollte sie tun? fragte sie sich. Wandern, hatte sie festgestellt, sei doch nicht ganz ihr Ding. Lesen habe sie nicht den ganzen Tag können, auch dem täglichen Putzen seien Grenzen gesetzt, und mehr als einmal pro Woche habe sie auch ihre Enkelkinder nicht hüten mögen. Was blieb? Malen und auf die Karte Kunst setzen? Noch ein Studium absolvieren? Oder an die Gynäkologie, ihr altes Fachgebiet, anknüpfen?

Ein attraktives Projekt …

Interessanterweise war sie nämlich noch immer vier- bis fünfmal jährlich als Co-Examinatorin bei den FMH-Prüfungen in Gynäkologie und Geburtshilfe tätig. «Ein Engagement», konstatiert sie, «das mich gezwungen hat, medizinisch auf der Höhe zu bleiben.» Als sie 2015 vom Spital Zollikerberg die Anfrage bekam, beim Aufbau der Frauenpermanence am Bahnhof Stadelhofen in Zürich mitzuwirken, war ihr Interesse sofort geweckt. Die Idee sprach sie an: Ein «Walk in» für Frauen, das 365 Tage pro Jahr geöffnet ist und bei gynäkologischen Problemen von Blutungen über Blasenentzündungen bis zu frühzeitigen Wehen unkompliziert Hilfe bietet – als Alternative zum Notfall eines Spitals.

Sie sagte zu und motivierte viele ehemalige Berufskolleginnen, es ihr gleichzutun. Rund zehn Frauen liessen sich von dem flexiblen Arbeitsmodell überzeugen: alle arbeiten Teilzeit, alle im Stundenlohn. Die gute Mischung aus Jung und Alt erlaubt es jenen, die ein Kind erwarten, Auszeiten gemäss ihren Wünschen zu nehmen, während ältere Kolleginnen zum Ausgleich vorübergehend ihr Pensum aufstocken. Susanne Baer hätte ärztliche Leiterin werden können. Doch sie verzichtete, weil sie nicht die «ganze Verantwortung» tragen wollte. Dafür übernahm sie die Aufgaben der Stellvertreterin.

Die Idee der Frauenpermanence funktionierte: «Innert Kürze wurden wir überrannt von Patientinnen.» Zeitweise seien so viele gleichzeitig gekommen, dass einzelne im Wartezimmer auf dem Fussboden hätten sitzen müssen: «Es lief richtig gut.»

Susanne Baer selber erfuhr einen Zuwachs an Lebensqualität. Sie genoss es, wieder einer Tätigkeit nachzugehen, die sie als sinnvoll erachtete. Gleichzeitig bekam sie viel Anerkennung: «Ich hatte das Gefühl, wieder etwas wert zu sein.» Bereichernd sei auch der Austausch mit den jungen Kolleginnen gewesen, die viel zusätzliches Knowhow in Bereichen wie IT beisteuern, während die Älteren ihre Erfahrung bei Diagnosen ausspielen können.   

… nimmt ein jähes Ende

Doch nach rund vier Jahren machte sich Unzufriedenheit innerhalb der Belegschaft breit. Misstöne wurden lauter, ja, schriller. Die Probleme entstanden nicht im Team, sondern wurden von aussen herangetragen. Susanne Baer hält sich bedeckt, wenn man sie fragt, was denn mit dem einstigen Musterbetrieb passiert sei. «Ich möchte nur soviel sagen: Mit mir haben 14 von 15 Ärztinnen gekündigt und an einen neuen Ort gewechselt.»

Schild Ladies Permanence
Neuer Standort am Stadelhofen

Dieser neue Ort ist die Ladies Permanence Stadelhofen LPS, schräg gegenüber dem alten Wirkungsfeld, nur wenige Dutzend Meter entfernt. Im Dezember 2020 wurde der Betrieb eröffnet, der ähnlich wie die Frauenpermanence als «Walk in» mit gynäkologischer Rundum-Versorgung konzipiert ist. Susanne Baer hatte einmal mehr ihr Netzwerk aktiviert und einen Investor gefunden, der sich für das Projekt begeisterte. Nachdem sie fünf bis sechs mögliche Standorte inspiziert hatte, erwies sich das Bürogebäude direkt neben dem Kino Le Paris als ideal.

Lange Durststrecke in der Pandemie

Als die LPS eröffnet wurde, stand die Schweiz an der Schwelle zu einem neuerlichen Lockdown. Susanne Baer seufzt: «Am Stadelhofen herrschte tote Hose und wir erlebten eine monatelange Durststrecke.» Diesmal hatte sie sich bereit erklärt, die ärztliche Leitung zu übernehmen, allerdings nur unter der Bedingung, dass ihr mit Nina Salvisberg eine Direktorin für Administration und Finanzen an die Seite gestellt wurde.

Dessen ungeachtet sei die Belastung gross: «Ich bin doch inzwischen auch schon 69 Jahre alt und empfinde die Verantwortung als Riesenstress.» Schliesslich sei ihr Anspruch hoch:  Alle vier Untersuchungszimmer sollten durchgehend besetzt sein; jeden Monat sorgen Spezialisten und Spezialistinnen für die Weiterbildung des Teams, sei es in Referaten zum Thema Blasenentzündungen oder in Workshops zum Umgang mit Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen: «Der fachliche Standard muss einfach top sein.» Seit gut vier Monaten laufe es vielversprechend, freut sich die Ärztin: «Wir haben die Talsohle hinter uns.»

Obwohl sie sich seinerzeit nie hätte vorstellen können, wie sehr das Berufsleben sie nochmals fordern würde, sei es «hundertprozentig richtig» gewesen zurückzukehren: «Ich bin sehr zufrieden.» Wenn sie demnächst auch noch ihre Funktion als ärztliche Leiterin abgeben und sich auf die Arbeit mit den Patientinnen konzentrieren könne, wäre sie «überglücklich.» (bl)

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