Todesangst

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Barbara Lukesch: «Ein Zwischenfall in den Ferien weckte bei mir Erinnerungen an furchtbare Kindheitserlebnisse: die Besuche bei einem herrischen, unsensiblen Zahnarzt. Gedanken zu einer Beziehung, die im Leben von nahezu allen Menschen von Bedeutung ist.»

VON BARBARA LUKESCH

Als Kind habe ich mich vor allerlei Sachen gefürchtet. Ich hatte Angst, dass es im Klassenlager Spinat geben würde, den ich hasste. Eine Schlange, die auf einer Bergwanderung meinen Weg kreuzte, versetzte mich in Panik. Unwohl war mir auch, wenn meine Eltern ins Kino gingen und mich allein zuhause liessen.

Richtig schlimm aber war meine Angst vor dem Zahnarzt. Sobald der Termin für die jährliche Kontrolle feststand, war ich todunglücklich. Wie eine schwarze Wolke schob sich der drohende Besuch über mein Leben. Die Bohrer machten damals einen Höllenlärm. Dazu rumpelten sie, schüttelten meinen kleinen Kinderkörper regelrecht durch und fügten mir fürchterliche Schmerzen zu, weil man damals noch keine Spritzen bekam. Das ungnädige «Mund auf!» des Zahnarztes, und wie er dann meinen Kiefer unsanft auseinanderdrückte, wenn ich die Zähne zusammenbiss, brachten mich in höchste Not. Ich konnte kaum noch atmen und war überzeugt, dass ich diese Tortur nicht überleben würde.

Ich glaube, meine Eltern und ich hatten einen ganz besonders schrecklichen Vertreter dieses Berufsstandes erwischt. Es hätte damals sicher auch angenehmere Zahnärzte gegeben. Keine Ahnung, warum wir bei ihm geblieben sind. Heute würde man wohl sagen, dass ich traumatisiert worden bin.

Seither lastet Angst, tiefsitzende Angst auf mir, wenn irgendetwas mit meinen Zähnen ist.  Ich habe verschiedene Male den Zahnarzt gewechselt. Ein falsches Wort, und ich war weg. Grobe Eingriffe, Zerren, Pressen, Reissen, Nervosität und Hektik des Personals versetzten mich in helle Aufregung.

Dann hatte ich für einmal Glück und fand den Zahnarzt meines Lebens. Einfühlsam, behutsam, fachlich grossartig. Das ist auch darum so wichtig, weil ich – eine Kapriole des Schicksals – keine guten Zähne habe. Alle Weisheitszähne bereits gezogen, nahezu jeder Zahn kaputt und behandelt, anfälliges Zahnfleisch. Die volle Packung.

Wenn mein Zahnarzt nun eine ein- bis eineinhalbstündige Sitzung anberaumt, schlucke ich im Vorfeld eine halbe Beruhigungstablette, ein rezeptpflichtiges Präparat, das er mir verschrieben hat. Mutproben liefere ich in anderen Bereichen meines Lebens ab. Auf diese Art habe ich meine Angst allmählich auf ein erträgliches Mass reduzieren können.

Nun wollte es der Zufall, dass ich in den Ferien im Appenzell schreckliche Zahnschmerzen bekam. Auf der Stelle war mir klar, was das hiess: ein neuer, mir unbekannter Zahnarzt. Alle alten Ängste standen Spalier, als ich mich aufmachte in die Höhle des Löwen. Ist er ein Rüpel? Versteht er sein Handwerk? Findet er überhaupt heraus, was mich plagt? Ich will nicht dramatisieren. Drum hier postwendend die Entwarnung: Er war freundlich, rücksichtsvoll, kompetent und hat meine Schmerzen behoben.

In diesen Stunden wurde mir nochmals bewusst, wie nahe Zahnärzte und Zahnärztinnen ihren PatientInnen kommen, wie stark sie in deren emotionales, aber auch ganz leibhaftiges Innere eindringen und wie wunderbar es ist, wenn sich eine freundliche und fachkundige Person um unsere Zähne kümmert.»

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