Das Bündner Schönwetter-Schnäppchen

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Thomas Widmer: «Gibt es etwas Besseres, als einer Schlechtwetter-Prognose ein paar Stunden Sonne abzutrotzen? Meinem Wanderfreund Peider und mir ist das kürzlich in der Bündner Herrschaft und dem Prättigau wieder einmal gelungen.»

VON THOMAS WIDMER

An einem kühlen Herbstmorgen fahren Wanderkollege Peider und ich in die Bündner Herrschaft im Wissen, dass von Westen her eine Regenfront heraneilt, mit der auch ein Temperatursturz verbunden sein soll. Wir hoffen, dass wir die Wanderung beenden können, bevor uns die Turbulenz ereilt.

Malans, Bahnhof, wir steigen aus, schauen noch einmal auf die Karte. Wir wollen ins Prättigau wandern. Aber nicht an der Landquart, die in der Nähe durch die Chlus strömt, eine Engstelle. Sondern hoch über der Landquart, um das Szenario von oben zu sehen. Alles klar mit der Geografie? Wenn nicht, so bitte ich, das PDF anzuklicken.

Kurz nach dem Start in Malans, die Sonne scheint. Hinten das Rheintal Richtung Chur (Fotos: Thomas Widmer)
Kurz nach dem Start in Malans, die Sonne scheint. Hinten das Rheintal Richtung Chur (Fotos: Thomas Widmer)

Los geht’s. Wir freuen uns über die Sonne, die schon einen Teil der Rebberge der Herrschaft bescheint. Gehen das Dorf hinauf, biegen ab, ziehen oberhalb der Reben quer durch den Hang. Unser erstes Ziel ist der Fadärastein, ein Aussichtspunkt gut 600 Meter höher.

Bald sind wir an dem Punkt, wo die Sache ein wenig anstrengend wird, der Weg biegt nun in die bewaldete Steilflanke ein.

Kehre um Kehre machen wir im Wald Höhe. Halten inne, als wir an einem Punkt vorbeikommen, an dem Leute Steinherzen an den Wegrand platziert haben. Keine von Menschenhand irgendwie geschliffene oder veredelte Herzen sind das, sondern Herzen, die irgendwo im Geröll lagen und aufgeklaubt wurden.

Steinherzli am Kehrenweg zum Fadärastein
Steinherzli am Kehrenweg zum Fadärastein

Wir steigen und steigen, höher oben sind zwei Kurven mit Zäunen gesichert, dahinter fällt das Gelände praktisch senkrecht ab zum Marontobel; weiter links sehen wir Malans wie aus dem Helikopter. Kurz darauf folgt eine schmale Passage, an der wir durchgehend hart an der Kante wandern, auch hier schaffen Zäune und Geländer Sicherheit.

Die obersten Kurven vor dem Fadärastein touchieren den Abgrund
Die obersten Kurven vor dem Fadärastein touchieren den Abgrund
Hart an der Kante – nur noch ein paar Meter bis zum Fadärastein
Hart an der Kante – nur noch ein paar Meter bis zum Fadärastein

Und dann … sind wir oben. Zum Fadärastein gehören ein Unterstand, ein paar Bänkli und vor allem ein atemberaubender Blick. Wir haben gegenüber den Haldensteiner Calanda und den Pizol und die Grauen Hörner, erkennen weit hinten den Piz Beverin, der mit seiner Spitze den Himmel zu ritzen scheint.

Blick vom Fadärastein auf Landquart (rechts der  Mitte). Hinten der Haldensteiner Calanda
Blick vom Fadärastein auf Landquart (rechts der Mitte). Hinten der Haldensteiner Calanda

Apropos: Am Himmel übernehmen immer mehr die Wolken, sie umschwaden den Calanda, die Sonne scheint resigniert zu haben. Und also ziehen Freund Peider und ich bald weiter. Überraschend, wie abrupt das Felsenszenario endet und wir an grasgrüne Alpwiesen geraten. Und ebenfalls überraschend, dass wir die nächsten gut 20 Minuten abwärts gehen.

Vor uns zeigt sich auf diesem Abschnitt der Crupspitz, der mit 1164 Metern in etwa gleich hoch ist wie der Fadärastein. Im Einschnitt der Furgga beginnt der Weg im Wald wieder zu steigen. Wir daher auch. Schmal ist der Pfad, links und rechts liegt Totholz, an einer Stelle gehen wir wieder an einer Kante – Vorsicht, Widmer!

Der zweite Gupf des Tages, der Crupspitz, zeigt sich
Der zweite Gupf des Tages, der Crupspitz, zeigt sich

Schliesslich langen wir auf dem Crupspitz an, der zweite Minigipfel des Tages ist geschafft. Neu sehen wir jetzt auch ins Prättigau hinein, sehen die Landquart noch oberhalb der Chlus. Und natürlich kommen neue Berge hinzu.

Auf dem Crupspitz. In der Tiefe das Prättigau mit der Landquart und den Verkehrssträngen
Auf dem Crupspitz. In der Tiefe das Prättigau mit der Landquart und den Verkehrssträngen

Der lange Abstieg nach Grüsch beginnt. Zwischenziel eins ist das stille Islatal. Von dort gehen wir auf einem Asphaltsträsschen nach Seewis. Haben den stattlichen Sassauna vor uns, einen Gipfel, auf dem ich leider noch nie war. Bald erscheint unser zweites Zwischenziel, das Dorf Seewis. Der annähernd quadratische Bau im Dorfzentrum stellt sich als das ehemalige Schloss der Adelsfamilie Salis-Seewis heraus, er dient heutzutage als Gemeindehaus und Schulhaus.

Schloss Seewis. Im Adelssitz ist heute die Gemeindeverwaltung einquartiert
Schloss Seewis. Im Adelssitz ist heute die Gemeindeverwaltung einquartiert

Wird das Wetter noch halten? Reicht es für einen Zmittag in Seewis? Peider, der Optimist, findet: Ja, auf jeden Fall. Das Restaurant der Rehaklinik Seewis hat offen, wir treten ein, werden freundlich empfangen. Peider bestellt eine Gerstensuppe, ich einen gemischten Salat und einen Teller Pommes frites. Die Gerichte am Nachbartisch wirken deftig, ich gebe zu, ein wenig neidisch zu sein. Aber mein Bauch muss lernen, sich ab und zu ein wenig zu bescheiden.

Die Rehaklinik von Seewis. Im Restaurant isst man gut
Die Rehaklinik von Seewis. Im Restaurant isst man gut

Als wir wieder ins Freie kommen, ist der Himmel grau. Und ein sinistres Lüftchen ist aufgekommen. Wir haben Gott sei Dank nur noch 40 Minuten Abstieg vor uns. Das dürfte gut gehen. Der Weg von Seewis hinab nach Grüsch führt durch die Wiesen, fast unten, leisten wir uns den kurzen Abstecher zur Ruine Solavers. Auf dem Felssporn stand im Mittelalter zuerst ein Kirchenkastell, also eine befestigte, wehrhafte Kirche. Später kam eine Burg hinzu. Beide Anlagen sind entschwunden bis auf die Mauerreste, durch die wir nun flanieren.

Mauerrest der Ruine Solavers, unten das Schlussziel Grüsch
Mauerrest der Ruine Solavers, unten das Schlussziel Grüsch

Noch zehn Minuten bis zum Bahnhof Grüsch. Als wir aufs Perron treten, erscheint wie von uns bestellt der Zug nach Landquart. Wir steigen ein, setzen uns, sind uns einig, dass das eine ergiebige Wanderung war. Eine, die wieder einmal beweist, dass auch kleine Berge eine grosse Aussicht schenken können. Eine halbe Stunde später, kurz vor dem Walensee, setzt mit Macht der Regen ein. Im Zollikerberg, auf dem Weg von der Station zu meinem Haus, muss ich dann doch noch die Regenjacke montieren und die Kapuze überstülpen.

Anforderung: 12,3 km, 885 Meter aufwärts, 792 Meter abwärts. 4 ½ Stunden.

Route: PDF von SchweizMobil

Thomas Widmer wohnt im Zollikerberg, ist Reporter bei der «Schweizer Familie» und hat mehrere Wanderbücher verfasst. Er wandert zwei Mal pro Woche und sagt: «Man wandert nicht nur durch eine Landschaft. Sondern auch durch die Kultur, die Geschichte, die Politik. Wenns dazu etwas Gutes zu essen gibt: grossartig!»

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