Überfallen, ausgeraubt und niedergebrannt

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23. Dezember 2022 – Der Krieg in der Ukraine ist weit weg und doch so nah. Dass es keine Garantie auf Frieden gibt, musste vor 600 Jahren auch Zollikon erfahren: Unser Dorf wurde im Alten Zürichkrieg von Schwyzer Truppen überfallen und niedergebrannt.

Friedrich von Toggenburg auf dem Sterbebett
Friedrich von Toggenburg auf dem Sterbebett (Abb.: Amtliche Berner Chronik, 1484)

VON ADRIAN MICHAEL

Der Begriff «Alter Zürichkrieg» bezeichnet eine Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen, die zwischen 1436 und 1450 im Wesentlichen zwischen den eidgenössischen Orten Zürich und Schwyz sowie der Herrschaft Habsburg-Österreich ausgetragen wurden. Der erbittert geführte Krieg gilt als eines der düstersten Kapitel der Schweizer Geschichte.

Die Auseinandersetzungen begannen im April 1436 mit dem Tod des letzten Toggenburgers Friedrich VII.  Da er kinderlos war und kein Testament hinterliess, kam es zu einem Erbstreit zwischen Zürich und Schwyz: Beide beanspruchten die strategisch wichtigen Gebiete Gaster und March zwischen Zürich- und Walensee für sich.

Als die Schwyzer, gestützt auf ein mündliches Versprechen des Grafen, die March besetzten, fühlte sich Zürich um seine Ansprüche betrogen. Es suchte und fand 1442 Unterstützung beim deutschen Kaiser Friedrich III., dafür trat es die Grafschaft Kyburg an das Haus Habsburg ab.

Zürcher Kriegsschiff transportiert Versorgungsgüter
Ein Zürcher Kriegsschiff transportiert während des Alten Zürichkriegs Versorgungsgüter (Abb.: Berner Chronik)

Frauen und Kinder im Stich gelassen

Zum offenen Ausbruch der Feindseligkeiten kam es im Herbst 1440, als Schwyzer und Glarner plündernd und brennend am linken Seeufer bis vor die Stadt Zürich rückten. An beiden Ufern flüchtete ein grosser Teil der männlichen Bevölkerung hinter die Mauern der Stadt Zürich und liess Frauen und Kinder in den Dörfern zurück. Die Zolliker transportierten unter anderem auch ihre vollen Weinfässer – der Wümmet lag noch nicht weit zurück – in panischem Schrecken hinter die rettenden Mauern von Zürich.

Im Juli 1443 zogen die Schwyzer mit den verbündeten Glarnern erneut brandschatzend dem linken Zürichseeufer entlang. Oberhalb von Horgen kam es zur Schlacht am Hirzel: Die Innerschweizer überrannten die Letzi, die neben anderen auch von Küsnachtern, Erlenbachern und Zollikern vergeblich verteidigt wurde.

48 Zolliker kämpften mit den Zürchern

In einem Verzeichnis sind die Namen der aufgebotenen 48 Zolliker aufgeführt: Beteiligt waren sechs Schützen (weitgehend Armbrüste) unter der Leitung von Heini Hofmann, sechs Lanzenträger unter Heini Hottinger und drei Gruppen zu je rund zwölf Mann unter Cueni Kienast, Ruedi Hensler und Hans Eberhart. Diese drei Gruppen waren alle mit kurtzen geweren ausgerüstet, im Wesentlichen Hellebarden, Kurzspiesse und Streitäxte. Über die Zahl der Zolliker Opfer ist nichts bekannt.

Das Schicksal eines anderen Zollikers hingegen ist überliefert: Am 28. Mai 1444 wurde Bertschi Leimbacher zusammen mit etwa 60 Männern als einer aus der Besetzung von Greifensee bei Nänikon enthauptet. Das Massaker wurde später als Bluttat von Greifensee bekannt und löste auch unter der Innerschwyzer Bevölkerung Entsetzen aus.  In Nänikon erinnert die «Bluetmattstrasse» an das Geschehen.

Verwüstete Dörfer am See

Nun setzte rund um den Zürichsee ein zerstörerischer Kleinkrieg ein. Die Not in den Orten der zürcherischen Landschaft war entsetzlich; alle Dörfer am See wurden verwüstet und ausgeraubt, und in Rapperswil führte die andauernde Belagerung zu einer Hungersnot. Eine empfindliche Schlappe erlitten die Schwyzer am 13. Oktober 1444 bei Erlenbach, als sie dort – die Weinlese stand unmittelbar bevor ­– die Rebstöcke plündern wollten.  

Zürcher Krieger überfallen die den Rebberg plündernden Schwyzer
Die Zürcher überfallen in Erlenbach die den Rebberg plündernden Schwyzer (Abb.: Berner Chronik)

Im folgenden Jahr wurde der Krieg auf dem See geführt. Die Schwyzer und Glarner hatten zusätzlich zu den zwei bestehenden grossen Flossen «Kiel» und «Gans» noch ein 36 Meter langes Floss gebaut. Der «Bär» konnte 600 Mann samt schweren Waffen tragen. Mehrmals kam es zu regelrechten Seeschlachten, bei denen neben den mächtigen Flossen auch zahlreiche kleinere Schiffe beteiligt waren.

Geschlagene Zürcher Truppen ziehen sich über den See hinter die rettenden Mauern zurück
Geschlagene Zürcher Truppen ziehen sich über den See hinter die rettenden Mauern zurück (Abb.: Schodoler Chronik)

Besonders übel hausten die Schwyzer mit ihrer starken Flotte an den Ufern des Zürichsees in der ersten Hälfte des Jahres 1445. Bald erschienen sie am linken, bald am rechten Ufer und zündeten die noch vorhandenen Häuser, Scheunen und Trotten an. Sie nament schiff, viengend lüt, erstachent lüt und hatten den sew in, berichtet der Chronist und Augenzeuge Hans Fründ.

Zolliker Holz für Zürcher Kriegsschiffe

Anschliessend unternahmen die Zürcher grosse Anstrengungen, von den Schwyzern die Seeherrschaft wieder zurückzuerobern. In den Wäldern Zollikons fällte man Holz und baute an der Schifflände beim Gstaad neben zwei grossen Kriegsschiffen noch zwei mächtige Flosse, die «Gans» und die «Ente».

Über den Flossbau berichtet der Chronist Christoph Edlibach (1454–1530) anschaulich: «Da huvend die von zürich ouch gar vil holzes jn der von zollikon wald und machtend daraus zwen köstlich flöss, doch einen gar vil grösser als den der ander, und besunder der gross floss war fast gross der trug wol uff 800 gewoppnotter man und der minder wol 500 man zu allen büchssen und züg. und warend die über alle massen stritbarlichen zu gerüst, auch mit schirmen und schutzlöcher und brustwerinen unden und obnen, und die versächen, mit vil guter stritbüchsen klein und ouch gross. Die flöss warend ouch zugerüst mit vil zugruder, und wen man an denen zog, daz sy gar bald flussend, denn der eignossen floss und namptend den gross floss die ganss, und den kleinen die entten.»

Sinngemäss übersetzt: «Da schlugen die Zürcher viel Holz aus dem Zolliker Wald und machten daraus zwei grossartige Flosse. Das eine war grösser als das andere, und besonders das grosse war sehr gross. Es trug wohl 800 bewaffnete Männer und das kleinere wohl 500 bewaffnete Männer, dazu Gewehre und Material. Sie waren ausserordentlich gut ausgerüstet, auch mit Schildern und Schiessscharten und Brustwehren, und versehen unten und oben mit grossen und kleinen Waffen. Die Flosse waren mit vielen Zugrudern ausgerüstet, wenn man an denen zog, dass sie viel schnellerfuhren als das Floss der Eidgenossen. Sie nannten das grosse Floss ‹Gans› und das kleine ‹Ente›.»

Der furchtbare 23. Juli 1445

Diese massive Kriegshilfe an Zürich sollte Zollikon teuer zu stehen kommen. Am 23. Juli 1445, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach ihrem zerstörerischen Zug am linken Seeufer, setzten Schwyzer Truppen mit ihrem «Bär» über den See. Plündernd marschierten sie über Grüningen und den Pfannenstil Richtung Stadt. Als letzte Siedlung vor der Stadt wurde Zollikon überfallen und niedergebrannt. Mit dieser Provokation versuchten sie vergeblich, das habsburgische Heer unter Herzog Albrecht aus der Stadt zu locken.

Plünderung Zollikons
Ein Zolliker wird mit einer Lanze erstochen, Häuser brennen, Raubgut wird abtransportiert (Abb.: Chronik Benedicht Tschachtlan)

Der Chronist Bendicht Tschachtlan hielt die Zerstörung von Zollikon in einem Bild fest. Am Ufer liegt ein Boot mit Schwyzer Fahne. Davor trägt ein Kriegsknecht einen Sack und einen wohl mit Raubgut gefüllten Kessel, in einem anderen Boot liegen volle Säcke. Ein Schwyzer ersticht einen Zolliker, der in ein Haus flüchten will, mit seiner Lanze; dahinter versteckt sich ein weiterer Dorfbewohner. Ein anderer Schwyzer steckt mit einer Fackel ein Haus in Brand, die Häuser stehen in Flammen.

Ausser der Kirche blieben nur zwei Häuser verschont: das Haus «Tollen» am See (es stand an der Seestrasse etwa gegenüber der Seebadi und wurde 1868 abgebrochen) und das Haus «Hinter Zünen». Da dieses damals vermutlich erst aus einem massiven steinernen Wohnturm bestand, entging es der Zerstörung.

Im Buch «Das alte Zollikon» von 1899 wird der Chronist Hans Fründ zitiert:

«Also fuhren die von Schwyz mit ihrem Panner und der Eidgenossen Krieger mit ihnen in der Nacht über den See gen Grüningen und marschierten abwärts gegen Zürich zu.

Und am Morgen da kamen sie ob Zollikon. Da überfielen sie das Dorf und erstachen einen Mann und verbrannten das Dorf zu Grund und zogen am See wieder hinauf gen Männidorf und Ürikon. Da holte man sie mit den Schiffen und hatten geraubt 43 Kühe.»

Der Autor Heinrich Bruppacher fährt fort: «Diesmal hatte Zollikon seine schöne hohe Lage in der Nähe der Stadt bitter büssen müssen. Den Anblick des brennenden Dorfes von der Stadt aus und die Gefühle der Bewohner sich vorzustellen und auszumalen, kann füglich der Fantasie des Lesers überlassen werden. Es dauerte wohl ziemlich lange, bis die geplünderte und abgebrannte Gemeinde sich wieder erholt hatte.»

Vernichtung der Schwyzer Flotte

In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1445 erfolgte ein Zürcher Angriff über den See und auf beiden Ufern Richtung Rapperswil, der zur Schlacht bei Wollerau führte. Das Ziel dieser Expedition war die Rückeroberung von Pfäffikon und die vollständige Vernichtung der schwyzerischen Flotte. Dies jedoch misslang, nur das grosse Floss «Bär» konnten sie wegführen.

Am 24. Dezember 1445 lief die Zürcher Flotte erneut aus, mit dem Ziel, noch die letzten verbleibenden Schwyzer Schiffe unschädlich zu machen, insbesondere die beiden grössten, die «Kiel» und die «Gans».

Vor Pfäffikon und Altendorf schossen sie mit ihren Geschützen so heftig in die Dörfer, dass niemand auf den gassen bleiben konnte. Weil die übrigen Schiffe der Schwyzerflotte in Pfäffikon aber teilweise auf trockener Erde lagen, konnten die Zürcher sie nicht wegführen. Vergeblich versuchten sie, sie mit Feuerpfeilen in Brand zu stecken. Zuletzt liefen die Zürcher auf die feindlichen Boote und zerstörten sie. Umb bättgloggen zogen sie ab.

Das Jahr 1445 endigte mit der vollständigen Vernichtung der schwyzerischen Flotte, die Zürcher hatten endlich die Seeherrschaft erringen können. Oft fuhren sie jetzt in den Obersee hinauf und verheerten dessen Ufer. Bald waren sie vor Pfäffikon, bald vor Freienbach, bald oben, bald unten in der March, schossen grülich aus ihren Schiffen und Flössen, stiegen an Land, erstachen Feinde und zündeten Häuser und Scheunen an.

Endlich wieder Frieden

Aber alle Parteien waren nun des Krieges müde. Es wurden Friedensverhandlungen eingeleitet, die am 12. Juni 1446 zu einem Waffenstillstand führten. Am 13. Juli 1450 schlossen die Kriegsparteien in Einsiedeln Frieden.

Quellen: Urs Bräm: Zollikon im alten Zürichkrieg. Zolliker Jahrheft 2012; Alfred Cattani: Der Alte Zürichkrieg im Spiegel der Schodoler-Chronik, NZZ, 31. Juli 1981; Bruppacher/Nüesch: Das alte Zollikon, 1899; Albert Heer: Die Kriegsflotte auf dem Zürichsee, 1914; Walter Letsch: Zollikon im Mittelalter, 2021; Schlatter/Humm: Unser Zollikon, 1968; E. Stauber: Kriegs-Bilder vom Zürichsee, 1904

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